# taz.de -- Kommentar Massenproteste in Tunesien: Das Chaos regiert | |
> Zehntausende demonstrieren in Tunesien täglich gegen die von Islamisten | |
> geführte Regierung. Neuwahlen sind der einzige Ausweg aus der Krise. | |
Bild: Botschaft aus Tunis: Wir leben nach unserer Religion, aber wollen niemand… | |
Wenn das Fastenbrechen in einem islamischen Land mit politischem Protest | |
Hand in Hand geht, dann hat das große Symbolkraft. Es bewegt, es vereint. | |
Jeden Abend treffen sich derzeit die TunesierInnen zu Zehntausenden vor | |
ihrem Parlament, um dort die erste Mahlzeit des Tages gemeinsam | |
einzunehmen. Mit Gottes Gebot gegen die regierenden Islamisten: Wir leben | |
nach unserer Religion, aber wir wollen niemand, der sie uns politisch | |
verordnet – das ist ihre Botschaft. | |
Ihre Forderung ist: Rücktritt der Regierung und Auflösung der | |
Verfassunggebenden Versammlung, die mit Streit und Misstrauen die Geduld | |
der Gesellschaft nach fast zwei Jahren erschöpft hat. | |
Die aus zwei säkularen Parteien und der islamistischen Mehrheitspartei | |
Ennahda bestehende Regierung ist ohnehin schon auf dem Rückzug. Ihren | |
Befriedungsversuch, Neuwahlen für den 17. Dezember zu versprechen, nimmt | |
keiner ernst. Denn es sind bislang keinerlei Maßnahmen für den aufwendigen | |
Urnengang unternommen worden, etwa die Einführung einer Wahlkommission. | |
Dabei wären Neuwahlen, die vor allem die Islamisten fürchten müssten, der | |
einzige Weg zur effektiven Befriedung des Landes – wichtiger als eine neue | |
Verfassung, denn so schlecht, so undemokratisch ist die alte nicht. | |
Warum nagelt man also die Regierung nicht auf ihr Wahlversprechen fest? Die | |
anhaltenden Rücktrittsforderungen in Tunesien zeigen umfassendes Misstrauen | |
und die Unfähigkeit zum politischen Dialog. Nach dem Sturz der | |
islamistischen Regierung in Ägypten ist der politische Islam verwundbar und | |
noch unberechenbarer geworden. | |
Die Drohung der Regierung, ihr Rücktritt könnte Chaos im ganzen Land | |
auslösen, führt sich denn auch selbst täglich ad absurdum. Das Chaos | |
regiert schon: politische Morde an Oppositionellen, Salafistenterror an der | |
Grenze, Tausende junge Männer, die als Gotteskrieger für Syrien angeworben | |
werden, verschleierte Studentinnen, die Professoren an den Universitäten | |
bedrohen. | |
Fragt sich nur, welche politische Kraft in Tunesien Neuwahlen herbeiführen | |
könnte. Eine aus Technokraten bestehende Regierung der nationalen Einheit? | |
Das ist ein schwammiger Begriff – aber dennoch einen Versuch wert, der | |
anhaltenden Krise des Landes endlich mit Kompetenz und Sachverstand zu | |
begegnen. | |
7 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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