# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ohne Ab kein Auf | |
> Er kann modernen Teamfußball spielen wie kein Anderer: Warum wurde | |
> Philipp Lahm eigentlich nicht zu Europas Fußballer des Jahres gewählt? | |
Bild: Nicht unsympathisch, aber glatt: Winkekatze Philipp Lahm. | |
Die internationale Fußballmoderne wird in diesem Moment von | |
Champions-League-Sieger Bayern München definiert. Es mag für den einen oder | |
anderen hart sein, aber die Bayern haben den FC Barcelona abgelöst. Bis auf | |
Weiteres. Die Wahl von Franck Ribéry zu Europas Fußballer des Jahres ist | |
eine Anerkennung dieser Entwicklung. Unter den ersten Zehn sind vier | |
Bayern-Spieler: Neben Ribéry noch Robben (4.), Müller (6.) und | |
Schweinsteiger (7.). | |
Umso seltsamer jedoch, dass ausgerechnet derjenige fehlt, der den modernen | |
Teamfußball spielen kann wie kein anderer und der als Kapitän der Bayern | |
und der deutschen Nationalmannschaft auch in der öffentlichen Wahrnehmung | |
eine herausgehobene Rolle spielen müsste. Warum, das ist die Frage, wurde | |
am Donnerstag nicht Philipp Lahm zu Europas Fußballer des Jahres | |
ausgerufen? | |
Die naheliegende Antwort kommt von Lahm selbst: „Defensivspieler haben es | |
schwerer.“ Stimmt, aber dennoch wurde Kapitän Franz Beckenbauer 1972 | |
gewählt (und nicht Netzer oder Müller, also Gerd), als die Deutschen | |
letztmals den modernen Fußball definierten. Und 1996 wählte man Matthias | |
Sammer. Als Anerkennung für einen EM-Titel, der trotz fußballerischer | |
Rückständigkeit gewonnen wurde. Der mit Erd- und Blutkrusten gezeichnete | |
Leader Sammer bediente die nostalgische Sehnsucht nach den | |
Erfolgsparametern von gestern. | |
Was Lahm angeht, so hat ein komplexer Job als Außenverteidiger für | |
ballorientierte Zuschauer nicht höchste Priorität, auch ist er dadurch beim | |
Fernsehfußball benachteiligt. Im Fußballstadion sieht man sofort, wie gut | |
er ist. Vorn, hinten, mit Ball, ohne Ball, praktisch fehlerlos, ein | |
Trainerspieler par excellence. Und: Er ist immer gut. Jedes verdammte | |
Spiel. Grandios – und gleichzeitig ein Grund, warum er nicht so | |
wertgeschätzt wird. | |
Die klassische Fußballkultur orientiert sich am herausragenden Ereignis, am | |
Glauben, dass ein einziger Künstler die Verteidigung des Gegners und damit | |
die Welt aus den Angeln heben kann. Aber auch am Bruch. Torflauten, Krisen, | |
Kicker-Note 5,5. Ohne Ab kein Auf. | |
Die Welt des Fußballs ist nicht auf das Faktische zu reduzieren. Sie | |
besteht auch aus dem Gefühlten. Aus Sehnsüchten. Aus etwas, das über den | |
Fußball hinausweist. Lahm setzt durch seine Perfektion kalte Wissenschaft | |
gegen den Mythos des Spiels durch. Er ist auf eine fast schon erschreckende | |
Weise eine Sehnsuchtsleerstelle. | |
Bastian Schweinsteiger, der gleichaltrige Weggefährte, verbindet seine | |
unspektakulär scheinende Extraklasse zumindest latent mit etwas, das über | |
den Fußball hinausweist. Noch offensichtlicher ist das bei Xavi, dem | |
Kapitän des FC Barcelona. Er ist der Inbegriff der Demut Barças, er | |
verkörpert spürbar die Werte der Solidarität, des modernen Kollektivs und | |
deren Wichtigkeit für das Leben und den Erfolg. (Und selbst er war nie | |
Europas Fußballer des Jahres.) | |
Philipp Lahm dagegen wirkt bei seiner modernen Sozialarbeit wie ein perfekt | |
Geschäftsmann. Nicht unsympathisch, aber glatt. Vor allem aber: Ob er sich | |
zu Sieg, Niederlage, schwulen Fußballern, der Lage in der Ukraine oder zu | |
Reklamezwecken pro Bild äußert: Das perfekte Funktionieren, das ihn auf dem | |
Rasen faktisch zu einem Großen macht, lässt ihn jenseits des Spielfelds zu | |
einem Zwerg schrumpfen. | |
Dies alles führt dazu, dass man Philipp Lahm vergisst, wenn man vom Fußball | |
träumt. | |
30 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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