| # taz.de -- Kandidaten mit Migrationshintergrund: Eine von 99 | |
| > Cansel Kiziltepe kämpft in Berlin um ein Direktmandat. Nur drei Prozent | |
| > aller Direktkandidaten haben bundesweit einen Migrationshintergrund. | |
| Bild: Verkörpert das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen: Cansel Kiziltepe | |
| BERLIN taz | Am Hermann-Hesse-Gymnasium in Berlin-Kreuzberg hat Cansel | |
| Kiziltepe ein Heimspiel. Vor 18 Jahren hat die Kandidatin hier ihr Abitur | |
| gemacht, und als sie dort am Donnerstag zu einer Wahlkampfveranstaltung mit | |
| ihren Konkurrenten aus den anderen Parteien antritt, wird sie mit tosendem | |
| Applaus empfangen. „Ein bisschen Herzklopfen hatte ich schon“, sagt sie | |
| hinterher. | |
| Die Nachwuchspolitikerin ist eine von 99 Direktkandidaten mit | |
| Migrationshintergrund.Cansel Kiziltepe tritt in ihrem Kiez für die SPD an – | |
| gegen Christian Ströbele, den grünen Platzhirschen, der gern zum vierten | |
| Mal wieder ein Direktmandat erringen will. Die 37-Jährige könnte ihm dabei | |
| in die Quere kommen. Sie ist jung, energisch, eloquent und eine | |
| Hoffnungsträgerin ihrer Partei, denn sie verkörpert das sozialdemokratische | |
| Aufstiegsversprechen: Als „Gastarbeiter“-Tochter hat die Volkswirtin | |
| Karriere gemacht, ihr politischer Ziehvater war der SPD-Linke Ottmar | |
| Schreiner. | |
| Aufmerksamkeit erregt hat sie im Wahlkampf mit Videoclips, die sie in | |
| Alltagssituationen zeigen, in denen sie mit ihrer Tochter über Mindestlöhne | |
| und soziale Gerechtigkeit plaudert. Der Charme des Selbstgemachten kann | |
| vergessen machen, dass hier jemand eine hochprofessionelle Kampagne führt. | |
| Auch wenn sie diesmal noch an Ströbele scheitern sollte, hat sie gute | |
| Chancen, trotzdem über die Landesliste in den Bundestag einzuziehen – und | |
| ihn spätestens bei der nächsten Bundestagswahl 2017 zu beerben. | |
| ## Niemand bei der CSU | |
| In keiner anderen Stadt treten, gemessen an den Einwohnerzahl, so viele | |
| Kandidaten mit Migrationshintergrund an wie in Berlin. Gefolgt von Hamburg | |
| und Bremen. Der [1][„Mediendienst Integration“ hat errechnet], dass | |
| bundesweit aber nur drei Prozent aller Bewerber für den Bundestag aus | |
| Einwandererfamilien stammen. Vor allem Bayern, Niedersachsen und NRW, wo | |
| viele Migranten leben, liegen im Schnitt weit hinten. | |
| Die meisten Kandidaten mit Zuwanderungsgeschichte finden sich bei den | |
| Grünen – insgesamt 24 –, gefolgt von SPD und Linkspartei (je 20), die | |
| wenigsten bei CDU (8) und CSU (keine). Echte Chancen haben davon allerdings | |
| nur je fünf bis sechs Kandidaten bei Grünen, SPD und Linken – darunter | |
| Prominente wie Cem Özdemir (Grüne), Aydan Özoguz (SPD) und Philipp Rösler | |
| (FDP). | |
| Insgesamt 5,8 Millionen der Wahlberechtigten haben einen | |
| Migrationshintergrund, das sind 10 Prozent potenzielle Wähler. In der | |
| Gesamtbevölkerung sind es sogar fast 20 Prozent, aber viele davon besitzen | |
| keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zahl der Migranten unter den Wählern | |
| dürfte, durch Einbürgerungen und die demografische Entwicklung, aber noch | |
| weiter steigen. Denn die Wähler mit Migrationshintergrund sind | |
| überdurchschnittlich jung. Ein Zehntel von ihnen sind Erstwähler. | |
| Der Politologe Orkan Kösemen hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung das | |
| [2][Wahlverhalten der verschiedenen Migrantengruppen] erforscht. Dabei | |
| stellte er fest, dass deren Parteibindungen immer lockerer werden. Bis in | |
| die späten 90er Jahre stimmten die meisten Aussiedler für die | |
| Unionsparteien – teils aus Dankbarkeit dafür, von ihnen ins Land geholt | |
| worden zu sein, teils weil sie deren Antikommunismus teilten. Die Gruppe | |
| der ehemaligen „Gastarbeiter“ und deren Nachkommen hingegen war der SPD | |
| lange treu, weil sie über ihr Herkunftsmilieu und die Gewerkschaften zu | |
| ihnen gekommen waren. Doch diese Bindungen bröckeln. | |
| ## Wahlnavi für migrantische Wähler | |
| Welche Themen aber interessieren die migrantischen Wähler? Das hängt, wie | |
| bei der Mehrheit, ganz von deren sozialer Schicht, ihren Werten und | |
| politischen Überzeugung ab. Doch manche Themen sind ihnen besonders | |
| wichtig. Zur besseren Orientierung haben die Initiative [3][DeutschPlus] | |
| und das migrationspolitische [4][Onlinemagazin] [5][MiGAZI]N seit Montag | |
| einen [6][„Wahlnavi“ ins Netz] gestellt, der mit dem „Wahlomat“ der | |
| Bundeszentrale für politische Bildung vergleichbar ist, sich aber auf | |
| Fragen beschränkt, die für Migranten besonders interessant sein könnten. | |
| Etwa: Wie stehen die Parteien zu anonymisierten Bewerbungsverfahren? Wie | |
| zum Doppelpass? Und wer tritt dafür ein, dass Asylbewerber schneller einer | |
| regulären Arbeit nachgehen können? | |
| In der Aula des Hermann-Hesse-Gymnasiums hat Cansel Kiziltepe einen guten | |
| Stand. Drei Viertel der Schüler haben wie sie einen Migrationshintergrund. | |
| Doch deren Sympathien sind ihr nicht automatisch sicher. Als es um die | |
| doppelte Staatsbürgerschaft geht, bekommt sie viel Applaus, während der | |
| CDU-Kandidat einen aussichtslosen Kampf führt. | |
| Auch bei Arbeits- und Sozialthemen steht sie gut da. Nur als es um die | |
| Drogenpolitik geht, sieht sie gegen Piraten und Linke blass aus, und | |
| Ströbele kann mit seinem Evergreen „Gebt das Hanf frei“ punkten. Am Ende | |
| sagt ein türkischstämmiger Junge grinsend zu seinem Lehrer, ihm hätten die | |
| Linke und die Grünen am besten gefallen. | |
| 3 Sep 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://mediendienst-integration.de/artikel/kaum-kandidaten-mit-migrationshi… | |
| [2] http://mediendienst-integration.de/artikel/wenn-aus-auslaendern-waehler-wer… | |
| [3] http://deutsch-plus.de/ | |
| [4] http://www.migazin.de/ | |
| [5] http://www.migazin.de/ | |
| [6] http://wahlnavi.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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