# taz.de -- Autorin Hanke über die "Heldin der Göhrde": „Ich mache sie zum … | |
> Die Bremerin Birgid Hanke hat einen Roman über Eleonore Prochaska | |
> geschrieben, die als Mann verkleidet gegen Napoleon kämpfte. Im Wendland | |
> wird die Schlacht nun nachgespielt. | |
Bild: Unheroisch: 12.300 Preußen kämpften gegen 3.000 Franzosen. Am 21. Septe… | |
taz: Frau Hanke, im Wendland wird die Göhrdeschlacht von 1813 gegen | |
Napoleon nachgespielt. Sind Sie dabei? | |
Birgid Hanke: Nein, ich glaube nicht. Drei Tage auf dem Schlachtfeld | |
herumzulaufen, ist nicht so mein Ding. | |
Aber Sie haben gerade einen großen Roman über Eleonore Prochaska vorgelegt, | |
die als „Heldin der Göhrde“ gefeiert wird. | |
In meinem Buch nimmt die Schlacht, an der Eleonore als Mann verkleidet | |
teilnahm, gar keinen so großen Raum ein. Es haben sich deswegen schon | |
einige Leser beschwert, denen das Soldatenleben bei mir zu kurz kommt. | |
Übrigens nicht nur Männer! Eine Freundin, die mich während des | |
Schreibprozesses kritisch begleitete, sagt irgendwann zu mir: Jetzt hör | |
aber auf mit den kreischenden Komtessen, die Eleonore muss jetzt endlich | |
mal in den Krieg ziehen! | |
„Komtessen“ bezieht sich darauf, dass Sie die Halbwaise Eleonore in einem | |
Potsdamer Adelshaushalt aufwachsen lassen. Ist Ihr Roman Teil des aktuellen | |
Preußen-Hypes? | |
Nein, der Anlass ist ein Jubiläum: Vor 200 Jahren wurde Prochaska bei der | |
Schlacht tödlich verwundet. | |
In Berlin wird die Hohenzollern-Residenz neu errichtet, in Potsdam die | |
Garnisonskirche … | |
… und die Kinder heißen wieder Sophie, Luise und Konstantin. | |
Es geht bei der neuen Lust am Neo-Feudalen aber nicht nur um Fassaden und | |
Vornamen. Sondern um den reaktionären Trend, mit der preußischen Glorie den | |
Nationalstolz zu nähren. | |
Das ist aber keineswegs mein Anliegen. Der Verlag hatte als Arbeitstitel | |
„Die Patriotin“ vorgegeben – und der hatte mich total blockiert. In meinem | |
Roman verherrliche ich keinen Dschingdarassabumm-Militarismus à la Kaiser | |
Wilhelm, sondern beschreibe das arme, von Napoleon geschlagene Preußen um | |
1800. | |
Das ist das gute Preußen? | |
Wenn Sie so wollen – meine Gräfin Dorothea, die sich um Eleonore kümmert, | |
ist jedenfalls eine sehr liberale, fortschrittliche Person. | |
Mittlerweile heißt Ihr Roman „Flamme der Freiheit“ und die Hauptperson ist | |
durchdrungen von preußischer Pflichterfüllung, Soldatentum und | |
vaterländischem Eifer. | |
Ja, aber das ist nicht mein Denken – sondern ihre Zeit und ihr Denken, das | |
ich darstelle. | |
Ziehen Sie die LeserInnen da nicht mit rein, weil man sich mit der | |
sympathisch-tragischen Protagonistin solidarisiert? | |
Das glaube ich nicht, da können sie durchaus unterscheiden. Man sollte | |
nicht aus der Arroganz der Jetzt-Wissenden heraus argumentieren. | |
Die Märkische Allgemeine aus Potsdam wirft Ihnen in einer Rezension | |
„reaktionäre Fantasie“ vor, schreibt aber gleich darauf selbst über den | |
„heiligen Krieg gegen Napoleon zur Überwindung der Fremdherrschaft“ und | |
über Prochaskas „Heldentod“ – alles so gemeint, ohne Anführungszeichen. | |
Zeigt das nicht, wie sehr eine nationalistische Geschichtsbetrachtung | |
verbreitet ist? | |
Mein Buch ist aber keineswegs nationalistisch und auch nicht | |
anti-französisch, sondern höchstens anti-napoleonisch. | |
Dem stockkonservativen und ständisch erstarrten Bremen hat die Besetzung | |
durch Napoleons Truppen richtig gutgetan. Wären die Franzosen ein bisschen | |
länger geblieben, hätten sie sogar ihre Pläne für eine | |
Universitäts-Gründung realisieren können. | |
Mag sein, und die Franzosen führten mit dem Code Civil eine | |
fortschrittliche bürgerliche Rechtsprechung ein. Trotzdem kann man auch den | |
Zustand der Besatzung beschreiben, ohne dadurch anti-französische | |
Ressentiments zu schüren. | |
Ihre Titelheldin entgeht nur knapp der Vergewaltigung durch einen | |
französischen Soldaten. | |
Ich musste einen Grund finden, warum sie auf einmal alles hinter sich lässt | |
und in den Krieg zieht. | |
Just am darauf folgenden Tag flattert ihr der Aufruf des preußischen Königs | |
zum „letzten entscheidenden Kampf für unsere Existenz“ in die Hütte, | |
Friedrich Wilhelm III. verspricht „ehrenvollen Frieden oder ruhmvollen | |
Untergang“. Solche „Alternativen“ werden von Herrschenden gern aufgemacht… | |
Aber in dem ich Eleonore Prochaska nicht nur politische, sondern auch | |
persönliche Motive für ihre Verwandlung in eine Soldatin unterstelle, | |
entmystifiziere ich sie doch! | |
Eine Entmystifizierung durch Emotionalisierung? | |
Genau. Sie ist nach ihrem Tod von diversen Regimes vereinnahmt worden, aber | |
ich mache sie vom Mythos zum Menschen. | |
Sie machen Eleonore Prochaska in Ihrem Roman auch zur angehenden | |
Opernsängerin. Ist das dadurch inspiriert, dass Beethoven seine berühmte | |
Eleonoren-Ouvertüre angeblich in Gedenken an Prochaska komponiert haben | |
soll? | |
Diese Legende zeigt, welche Popularität Prochaska mit ihrem Tod auf dem | |
Schlachtfeld gewann. Sie wird sogar als Jeanne d’Arc Preußens bezeichnet – | |
was ich maßlos übertrieben finde. Aber eine Schauspielmusik samt | |
Trauermarsch hat Beethoven tatsächlich für Prochaska geschrieben. Das | |
dazugehörige Theaterstück ist verschollen. Dafür wird im Wendland heute | |
Abend mit „Liebe und Tod in der Göhrde“ von Gabriel Reinking ein aktuelles | |
Werk über Prochaska aufgeführt. | |
In Ihrem Roman spielt unglückliche Liebe ebenfalls eine entscheidende | |
Rolle, Sie dichten Eleonore ein Verhältnis mit einem Grafen an. Der | |
Klappentext verkauft das als weitere Antwort auf die Frage, warum Prochaska | |
fortlief und Soldatin wurde. Für wie wahrscheinlich halten Sie das? | |
Für total unwahrscheinlich. Ich habe eben einen Zielgruppen-Roman | |
geschrieben – aber die historischen Fakten stimmen trotzdem alle. Ich habe | |
sogar extra bei den Preußens angerufen, um mir die richtigen Titel und | |
Anreden durchgeben zu lassen. | |
Bei den Hohenzollern in Potsdam? | |
Ja, die haben extra einen Freiherrn als Referenten für so etwas. | |
Die Märkische Allgemeine nennt Ihr Werk eine „unerträgliche | |
Adels-Schmonzette“. | |
Das finde ich bösartig zutreffend! Ich habe selbst immer gesagt: Ich | |
schreibe eine Schmonzette. Allerdings ist es auch ein Entwicklungsroman – | |
das wird dabei dann verkannt. | |
Durch die patriotische Begeisterung für Prochaska gab es einige | |
Nachahmerinnen, die sich als Soldaten verkleideten und in die | |
„Befreiungskriege“ zogen. Zum Beispiel Anna Lühring, nach der in Bremen | |
eine Straße benannt wurde – 1938. | |
Eleonore Prochaska wurde auch von den Nazis vereinnahmt, alle haben das | |
gemacht. In der DDR war sie die proletarische Heldin, heute verehren die | |
Burschenschaften sie. Das macht mir durchhaus Bauchschmerzen. | |
7 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Napoleon | |
Preußen | |
Liebe | |
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