# taz.de -- Punkpoet King Krule: Sommersprossen, Segelohren | |
> Gilt als Punkpoet des britischen Prekariats und singt wie ein geprügelter | |
> Hund: Der 19-jährige Londoner King Krule und sein Debüt „6 Feet beneath | |
> the Moon“. | |
Bild: Dauerregen in London: King Krule. | |
Zeit für eine Verschwörungstheorie. Sie würde ungefähr so gehen: Dieser | |
„King Krule“, der gerade sein Debütalbum „6 Feet Beneath the Moon“ | |
veröffentlicht hat, ist eigentlich ein 47-jähriger Alkoholiker, der | |
allerdings so fertig und kaputt aussieht, dass die Plattenfirma es für | |
unzumutbar hielt, ihn den Leuten zu zeigen. Deswegen haben sie sich ein | |
19-jähriges Milchgesicht geschnappt – rote Haare, Sommersprossen, | |
Segelohren, die Unschuld in Person – und ein paar Videoclips aufgenommen, | |
auf denen das Milchgesicht den Mund bewegt und so tut, als sei es ein ganz | |
Großer. | |
In dem Video zu „Easy Easy“ trägt der Junge zum ersten Mal in seinem Leben | |
einen richtigen Anzug, und dass der einige Nummern zu groß und deplatziert | |
wirkt (weil er nämlich eigentlich für den 47-jährigen Alkoholiker gedacht | |
war), versuchen die Leute von der Plattenfirma damit zu übertünchen, dass | |
sie den Kleinen ständig beim Rauchen zeigen. | |
Wenn man aber nicht an eine solche Theorie glaubt, ist „6 Feet Beneath the | |
Moon“ wohl tatsächlich ein sehr gelungenes Album des 19-jährigen Londoners | |
Archy Marshall, der zuvor unter den Künstlernamen Zoo Kid, DJ JD Sports und | |
Edgar The Beatmaker von sich reden machte – und jetzt als King Krule. | |
Dieser King Krule singt so verstörend tief, krächzt und heult, klagt und | |
leidet wie ein geprügelter Hund, dass man meint, er habe bereits Jahre vor | |
seiner Geburt mit dem Trinken angefangen. Mit „6 Feet Beneath the Moon“ hat | |
er ein Album geschaffen, das lauter handwerklich gute, ausgetüftelte | |
Variationen von Kaputtheit präsentiert. | |
## Komplexe Arrangements | |
Es ist keine Musik, die man nebenbei so weghört, dazu sind die 14 Songs zu | |
unterschiedlich, zu komplex arrangiert. Es gibt gitarrenlastige, dunkle | |
Stücke wie „Easy Easy“, und langsame, wie das melancholisch-träge „Ceil… | |
oder das bekifft-suizidale „Cementality“. Dann plötzlich „A Lizard State… | |
der getriebene, wütende Blues, der eine „fucking bitch“ beschimpft, und das | |
mehr gesprochene als gesungene „Neptun Estate“. | |
Verbindendes Element ist Marshalls tiefe, klagende Stimme, die die Wörter | |
durchkaut und ausspuckt, in einem Nebel aus Hall. Ab und an ein paar | |
Jazzharmonien, Dubstep-Beats, schläfrig aufgelöste Akkorde. Es ist diese | |
musikalische Unverbindlichkeit, die in keine bestimmte Richtung drängt, und | |
die das Album doch so interessant macht, in Verbindung mit den Texten, | |
sofern man es schafft, sie zu verstehen. | |
## Wenn Doggen sprechen könnten | |
Wenn Hunde, vornehmlich Doggen, wie Papageien sprechen lernen könnten, | |
hätten sie wahrscheinlich eine ähnliche Aussprache wie Marshall. Die | |
Themen, um die die Songs kreisen, sind Enttäuschung, Müdigkeit und grauer | |
Himmel. King Krule besingt mit derselben „Ach, das ist doch | |
Scheiße“-Haltung die Frau, die sein Herz gebrochen hat und das Sandwich, | |
das er im Tesco-Supermarkt gekauft hat und das schon schlecht war. | |
Es gibt viel „I tried so hard“ und „I’m drifting away“, ständiges Sc… | |
und Sichverlieren, und mindestens genau so viel „Girl“ und „Baby“, | |
Herzschmerz und Desillusionierung und die Suche nach jemandem, der (bzw. | |
die) das alles auffängt: „Girl I could have been someone to you“ heißt es | |
in „Baby Blue“. Und in „Has this Hit“: „I know when I look into the s… | |
There is no meaning.“ | |
## Totaler Zweifel | |
King Krules Mischung aus Zweifel am Privaten und am Sozialen ist es wohl, | |
die dazu geführt hat, dass er für dieses Album nicht nur als „Wunderkind“ | |
bezeichnet wurde – eine unvermeidliche Zuschreibung für alle | |
SolokünstlerInnen unter 20, von denen man noch viel erwartet –, sondern vor | |
allem als „Stimme einer neuen Generation“ und als „Stimme des britischen | |
Prekariats“. | |
Der Guardian nannte ihn einen romantischen Punk-Poeten, was vielleicht | |
etwas kitschig ist, aber deutlich angemessener für jemanden, in dessen | |
Texten das eigene Leiden so sehr im Mittelpunkt steht, und der vermutlich | |
genau dann ein Gebäude in Brand setzen würde, wenn seine Angebetete | |
zufällig Pyromanin wäre. Die anderen sind, wenn sie nicht sein „Girl“ oder | |
sein „Baby“ sind, King Krule herzlich egal, für sie hat er nur wenige | |
Ratschläge parat: „If you’re going through hell / Well just keep going.“ | |
Leiden ist eine Kunst, und auf diese Kunst versteht sich King Krule | |
selbstzerstörerisch gut. In einem Interview sagte er, es sei ihm egal, ob | |
Leute seine Musik illegal runterladen. Sollen sie ruhig. Er selbst lade | |
sich ja auch all die Musik, die er hört, runter. Er liebe, sagt er, „die | |
Tatsache, dass das Internet die Musikindustrie wirklich gefickt hat“. Eine | |
Scheiß-drauf-Haltung in Perfektion. Deswegen wäre ihm wahrscheinlich auch | |
die Sache mit der Verschwörungstheorie ziemlich egal. | |
13 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
## TAGS | |
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Boris Becker | |
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