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# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: In Kraichgaus goldenem Käfig
> Tim Wiese darf nicht zurück nach Bremen. Das ist nur ein weiterer
> Nackenschlag für den Torwart, der mal Nationaltorhüter war.
Bild: Och Menno.
Ein Hoffnungsschimmer schien sich abzuzeichnen am Horizont des Kraichgaus.
Aber es handelte sich nur um eine optische Täuschung. Denn Tim Wiese, der
sich in Hoffenheim in der legendären Trainingsgruppe zwei mit
Trizepsübungen fit hält, wird nie wieder in Bremen spielen vor seinen
treuen Werder-Fans, die ihn anlässlich des Abschiedsspiels von Torsten
Frings so herzlich umarmt und getröstet haben.
„Wiese ist bei uns kein Thema, bei uns gibt es überhaupt keine
Torwartdiskussion“, sagte Werder-Manager Eichin. Das muss sich für Wiese
wie eine Watsche angefühlt haben. Doch es gab noch mehr verbale Dresche von
Eichin: „Er hat seinen Zenit schon etwas überschritten.“
Da war es wieder, das Bild von Wiese als Punchingball. Jeder darf mal
draufhauen auf den Keeper. Einmal sind es Fußballfans, die ihn in sozialen
Netzwerken verhöhnen. Ein andermal ist es ein Kreisligist, der BSC
Mückenloch, der den 31-Jährigen via Facebook zu sich holen will. Wiese ist
Everybody’s Depp, der Sonnenstudio-Proll, der nichts anderes verdient hat.
## Wiese, das Relikt
Nur ein paar hartnäckige Fans von Werder Bremen scheinen das anders zu
sehen und feiern Wiese als jemand, der anders ist. Anders als die
durchgestylten und gnadenlos karrierebewussten Jungprofis von heute. Wiese
erscheint ihnen als Relikt, als ein Überbleibsel aus einer Zeit, als
Fußballer noch rauchten und soffen und verdammt viel dummes Zeug redeten.
Im neuen Fußball fällt dieser Wiese irgendwie aus dem Rahmen. Er passt da
nicht mehr rein. Er gehört nicht mehr dazu.
„Wiese gilt als doof, arrogant, überheblich, prollig. Wenn man es
wohlmeinend ausdrückt, ist er der letzte einsame Cowboy, der letzte Macho
der Liga, nach all den Ballacks und Baslers“, hat die Zeit diagnostiziert.
11 Freunde hat sogar Mitleid bekommen mit dem schrägen Typen, der sich
verhalte wie ein „zweimal sitzen gebliebener Schulhof-Proll, der die
kleinen Jungs früher in der großen Pause mit dem Kopf ins Klo stopfte und
zur Belohnung trotzdem mit der Oberstufen-Blondine auf der Rückbank seines
Golf-Cabrios knutschen durfte“.
Jetzt steckt Wiese selbst mit der Rübe in der Kloschüssel – und hat nur
noch seinen Trotz, den er dem Rest der Welt entgegen schleudern kann: Dann
sitze ich eben meinen Vertrag in Hoffenheim aus, kassiere dickes Geld für
quasi nichts und dreh dem Hopp eine Nase. Natürlich ist auch diese Aussage
verdammt unklug. Fast jeder andere Fußballprofi hätte gesagt: Ich bin zwar
nicht zufrieden mit meiner derzeitigen Situation, aber ich will jetzt noch
mal voll angreifen und mich zurückkämpfen in die Mannschaft. Oder so
ähnlich. Wiese schmollt lieber. Und erstickt seinen Groll unter einer
Schicht Selbstbräuner. Tja, so ist er eben, der Wiese.
## Rasanter Wertverlust
Wiese hätte für seine Schrullen ein geeignetes Biotop gebraucht. In
Hoffenheim, der SAP-Fußballretorte, ist er als Star gestartet – und als
Aussätziger gelandet. In den letzten 26 Monaten ist Wieses Marktwert jeden
Monat um 361.500 Euro geschrumpft.
Jetzt könnte der Keeper für die vergleichsweise lächerliche Summe von
875.000 Euro transferiert werden. Trotzdem ist Tim Wiese schwer
vermittelbar. Die Bundesligavereine wissen, dass nicht nur ein Torwart zu
ihnen käme, sondern mit ihm auch die Schwarmpestilenz seiner
Internetfeinde. Damit umzugehen ist vielleicht noch schwieriger, als mit
den Marotten eines merkwürdigen Ballfängers.
13 Sep 2013
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Werder Bremen
Tim Wiese
Schwerpunkt Rassismus
Tim Wiese
Fußball
Fußball
Babak Rafati
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