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# taz.de -- Kommentar Kanzlerschaft: Lasst mich mit eurem „nett“ in Ruhe
> Merkel ist uneitel und authentisch. Na und? Was hat das mit Politik zu
> tun? Wie ein Politiker tickt ist egal. Es geht um Klugheit und Härte.
Bild: Authentisch, humorvoll, bescheiden, schlagfertig, was auch immer. So ein …
„Irgendwie ist sie ja schon nett, die Merkel.“ Wie ich diesen Satz hasse.
Er fällt immer, wenn es um die Bundeskanzlerin geht – und fast immer wird
beifällig genickt. Den Satz gibt es in vielen Varianten. Die Kanzlerin sei
ja schon authentisch, humorvoll, bescheiden, schlagfertig, was auch immer.
So ein Unsinn.
Dabei geht es mir nicht um Merkel. Jeder kann gut finden, wen er will, es
ist ein freies Land. Es geht mir um dieses Wort. Nett. Was bitteschön hat
„nett sein“ mit Politik zu tun?
Als ich vor Jahren mit einem amerikanischen Freund über eine
Präsidentschaftswahl in den USA sprach, sagte er etwas verzweifelt, für
viele Amerikaner sei vor allem das Gefühl ausschlaggebend. Sie fänden
wichtig, dass ihr Präsident ein Typ sei, mit dem man abends am Grill gut
ein Budweiser trinken könne.
In Deutschland funktioniert das längst genauso. Sympathie entscheidet die
Wahl, nicht so etwas Lästiges wie Programme. Auf ihrer Homepage wirbt
Merkel mit Streuselkuchen für sich. Ihrem Mann, verrät sie, tue sie immer
zu wenig Streusel drauf. Das schürt die abseitige Illusion, der Alltag
einer Kanzlerin lasse ein normales Familienleben zu.
## Das Streuselkuchen-Gefühl
Diese wichtige Frau ist so wie ihr, so wie ihr Deutsche, suggerieren
Merkels PR-Strategen. Sie haben Erfolg. Merkels Normalität trifft ein
Bedürfnis, anders ist ihre Beliebtheit nicht zu erklären. Nur, dass die
Kanzlerin nicht Budweiser trinkt, sondern selbst gebackenen Kuchen
mitbringt.
Dieses Streuselkuchen-Gefühl. Diese Sehnsucht nach Identifikation. Ich
verstehe nicht, warum man unbedingt will, dass ein Kanzler so ähnlich ist
wie man selbst. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass Merkel bei mir
zu Hause auf ein Schwätzchen vorbeikommt, gleich Null. Zum Glück.
Ich will von einem Politiker eigentlich nur eines. Er soll klug und hart
das Programm vertreten, das er mir verspricht. Wie er sonst tickt,
interessiert mich nicht. Mein Bundeskanzler darf viel mehr Geld verdienen
als ein Sparkassendirektor, solange er für die Bedürfnisse der Armen
kämpft. Er darf Champagner trinken, solange er in Europa solidarisch
agiert. Er darf seine Hände zur Raute zusammenlegen oder den Mittelfinger
emporrecken, solange er dafür sorgt, dass Deutschland endlich Einwanderer
willkommen heißt.
Ich verstehe auch nicht, wie man einem Politiker vorwerfen kann, er sei ein
arroganter Besserwisser. Ja klar, Typen wie Steinbrück, Trittin,
Westerwelle oder Röttgen sind Rechthaber. Sie haben ständig alle Fakten
parat, ihnen strahlt die Selbstgewissheit aus jedem Knopfloch. Na und?
Ginge es nach mir, sollte jeder Politiker möglichst viel wissen, damit er
sich vernünftige Urteile bilden kann. Das dient doch nur der Sache. Ich
sage: Willkommen, Besserwisser!
## Es geht um Überzeugungen
Ich will, dass der Bundeskanzler seinen Job erledigt. Ich will den oder die
Klügste, den oder die Härteste, kurz: den oder die Beste. Etwas
Verschlagenheit nehme ich gerne mit dazu. Politik ist ein brutales
Geschäft, in dem etwas abgründige Bosheit nicht schadet, sondern nutzt.
Politiker stehen für die Interessen gesellschaftlicher Gruppen, die sie
miteinander aushandeln. Meinen Bundeskanzler werde ich deshalb nach meinen
Interessen und Überzeugungen aussuchen, aber nicht danach, ob er mein
bester Kumpel sein könnte. Lobbyverbände wie der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag haben eine beispiellose Kampagne gegen Rot-Grün gefahren,
weil sie wissen, dass diese Koalition ihre Interessen angreifen würde. Von
ihnen kann man sich viel abschauen.
Ja, ja, ich verstehe schon. Erst Persönlichkeiten machen Politik
glaubwürdig, in der Postmoderne ist auch der Auftritt politisch und
Habituelles entscheidet heute Wahlen. Ich weiß das alles. Aber lasst mich
in Ruhe damit. Mit Erbsensuppe, Pinot Grigio oder Stinkefinger. Euer „nett“
kann mir gestohlen bleiben.
21 Sep 2013
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Wahlkampf
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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