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# taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Die leere Wohnung und ich
> In meinem Haus ist seit Jahren eine Wohnung frei. Warum? Weil sie eine
> Keimzelle des Widerstands gegen Gentrifizierung ist, bilde ich mir ein.
Bild: Dummerweise flog eine Rakete direkt durchs Fenster
An meiner Haustür klingelten vor einiger Zeit Menschen, die wissen wollten,
ob meine Wohnung bald frei werden würde. Diese oder ähnliche Menschen
hatten damals mutmaßlich auch jene Zettel an Bäume getackert, auf denen die
Suche nach einer Zweiraumwohnung bis maximal 900 Euro annonciert wurde.
Aus meiner Zweiraumwohnung, die maximal die Hälfte von 900 Euro kostet,
hatte ich ein paar Jahre zuvor eine türkische Arbeiterfamilie
weggentrifiziert. Allerdings hatten die vorher der Hausverwaltung
annonciert, dass sie nach 35 Jahren ausziehen und einen Nachmieter suchen
würden.
Schon damals stand eine Wohnung leer, die ein paar Stockwerke unter mir
liegt. Und das tut sie bis heute. Einzig ein paar Obdachlose und Betrunkene
liegen in fiesen Wintern schlafend vor ihrer Tür. Hinter der Tür, so
behauptet die Hausverwaltung, befinde sich Schwarzschimmel, weshalb die
Wohnung unvermietbar sei. Warum die Hausverwaltung den Schwarzschimmel
nicht einfach entfernt? Der Vermieter sei derzeit nicht erreichbar, um
diese Frage zu klären.
So sehr man sich darüber wundern kann, dass eine Wohnung mitten in einem
Kreuzberger Kiez nicht vermietet wird, in dem man derzeit sogar für ein
Außenklo ein paar hundert Euro Miete verlangen kann, so sehr passt diese
leerstehende Wohnung auch in das Berlin der Brachen.
Einige Zeitlang sah es zwar so aus, als wäre diese Ära der Leerstellen an
ihr Ende gelangt. Doch weit gefehlt. Kaum werden die alten Brachen
überbaut, entstehen schon wieder neue. Zu DDR-Zeiten war das ehemalige
Zentrum Naziberlins, der Potsdamer Platz, die Brache schlechthin. Heute ist
das Zentrum Berlins zwischen Alexanderplatz und Schlossbaustelle ebenfalls
eine Brache, auch wenn manche dazu Baustelle sagen. Aktuell ist dort im
Ephraim-Palais eine Ausstellung zu sehen, die die „Arisierung“ des
jüdischen Grundeigentums in Berlins Mitte unter der Naziregierung
thematisiert – die Grundlage für die megalomane Stadtplanung sowohl der
Nazis als auch der DDR.
Das Haus, in dem die leere Wohnung und ich leben, hatte zu Nazizeiten auch
einen jüdischen Besitzer. Das jedenfalls kann man einer 1983 in einer
Kreuzberger Stadtteilzeitung namens Südost Express veröffentlichten
„Kiezkarte“ entnehmen. Dort kann man auch sehen, dass in diesem kleinen
Wrangelkiez die Nazis und der Widerstand Tür an Tür lebten: Über die
Straße, in der unser Haus steht, ist dort zu lesen: „Bis zu den Wahlen am
5. März 33 viele rote Fahnen. 25. 2. 33: Schießerei mit den Nazis, 2 Tote.
26. 10. 32: SA-Leute angegriffen.“ An der einen Ecke ist eine SPD-Kneipe
verzeichnet und an der anderen die Volksküche der KPD. Doch nur eine Straße
weiter ein NSDAP-Büro und ein Folterkeller der SA.
Immer, wenn ich an der Geisterwohnung in meinem Haus vorbeilaufe, habe ich
ein komisches Gefühl. Und manchmal werden die Gedanken düster: Wurde da
drinnen jemand erschossen? Wird dort jemand gefoltert? Aber schon ein paar
Treppenstufen weiter wache ich wieder auf aus dem Albtraum und bilde mir
ein, dass die brachliegende Wohnung die Keimzelle des Widerstands gegen die
Gentrifizierung ist, wenn auch unfreiwillig.
22 Sep 2013
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
taz.gazete
Kreuzberg
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