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# taz.de -- Debatte über Sexualbegleitung: Ein Recht auf Zärtlichkeit
> In Berlin wird über Senioren, Behinderte und Sex diskutiert: auch
> Puffbesuche sind kein Tabu. Doch selbstbestimmte Sexualität bleibt
> abstrakt.
Bild: Ihre Hände brauchen auch pflegebedürftige Menschen nicht nur zum Festha…
BERLIN taz | „Ich habe schon mein Studium mit Anschaffen finanziert“,
erzählt die Dame auf dem Flur. Die Pausengespräche sind etwas
gewöhnungsbedürftig auf dieser Fachtagung am Freitag im Roten Rathaus in
Berlin. Es treffen sich Sexualbegleiterinnen, Behinderte,
WissenschaftlerInnen und Angestellte aus Behinderten- und Altenheimen. Sie
reden über Sex. Genauer gesagt: über „Sexualität in Einrichtungen“. Da g…
es um peinliche Momente und die Frage, wie Sex eigentlich an solchen Orten
stattfinden kann.
Ein Thema, das relativ neu ist. Jahrzehntelang war Konsens: Alte Leute
haben keinen Sex mehr. Und Behinderte gelten ohnehin als so eine Art
Neutrum. Erst 1992 wurde die Zwangssterilisation behinderter Frauen
verboten. Dagegen kam es immer dann zu peinlichen Momenten, wenn der Sex
dann trotzdem auftauchte.
Da masturbiert ein Mädchen mit Down-Syndrom auf einer Gruppenreise, und die
Reiseleitung schickt sie schockiert nach Hause. Schwestern sehen sich beim
Betreten des Zimmers mit einem masturbierenden Bewohner konfrontiert und
wissen nicht so recht weiter. Oder ein leicht dementer älterer Herr fragt
jedes weibliche Wesen, ob es nicht mit ihm ins Bett gehen will.
Inzwischen hat sich der Diskurs zu einem Konsens darüber entwickelt, dass
alle Erwachsenen ein Recht auf Sex haben. Aber was kann das in
Behinderteneinrichtungen und Heimen bedeuten? Zum einen, so der
Mitorganisator der Tagung, der Sexualberater Matthias Vernaldi, der im
Rollstuhl sitzt, bitte schön den Schutz der Privatsphäre: „Wenn die
Schwester so ins Zimmer platzt, wenn ich mir gerade einen von der Palme
wedle – so schnell kann ich gar nicht reagieren“, kritisiert er.
Zeiten, in denen das Zimmer für Schwestern und Pfleger tabu ist, sind
gefragt. Und die Möglichkeit, das Zimmer auch mal abzuschließen. Aber ist
es ok, wenn demente Leute sich in ihrem Zimmer verbarrikadieren? Wer
haftet, wenn etwas schief geht oder die Verhütung nicht klappt?
## Kein Konsens über die Praxis
Die in der Pflege immer asymmetrischen Machtbeziehungen können das Recht
auf Sex empfindlich einschränken. In einer Demenz-WG wurde eine Gummipuppe
angeschafft. Dann aber kam eine osteuropäische Pflegerin und versteckte das
unanständige Ding ganz hinten im Schrank.
Aufgeschlossene Pflegekräfte organisieren ihren Bewohnern ab und an eine
Sexualbegleitung. Problem: Das ist teuer. Die anwesenden Begleiterinnen auf
der Tagung nehmen 150 bis 200 Euro pro Besuch. Und: Auf Sex sind Heime
nicht eingestellt. Die Betten etwa, beklagt eine vollschlanke Begleiterin,
seien oft nur 80 Zentimeter breit: „Versuchen Sie da mal, Spaß zu haben.“
Und Konsens herrscht über die Praxis der Sexualbegleitung keineswegs. Auf
der einen Seite rühmen sich die Prostituierten, dass sie extra für die
Sexualbegleitung qualifiziert sind und auch pflegerische Grundkenntnisse
haben. Die Vorstellung etwa von Sexualbegleiterin Stefanie Klee, die die
Tagung mitorganisiert hat, lautet: Am schwarzen Brett im Altenheim steht,
dass Montags der Friseur kommt, Dienstags die Fußpflege und Mittwochs die
Sexualbegleitung.
## „Viele Behinderte wollen vor allem eine Partnerschaft“
Auf der anderen Seite sitzt etwa Matthias Vernaldi und will sich nicht auf
einen Sexualstundenplan einlassen: „Das hat nichts mehr mit sexueller
Selbstbestimmung zu tun“. Aus seiner Beratung weiß er: „Viele Behinderte
wollen vor allem eine Partnerschaft. Wenn man dann die realistischen
Möglichkeiten durchgeht landet man am Ende bei der Sexualbegleitung, mehr
oder weniger unfreiwillig.“ Er persönlich rate aber eher zum Puffbesuch:
„Das ist billiger und wenn man vorher ein kleines Gespräch führt, können
die meisten Huren damit durchaus umgehen“.
Klar wird: Das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität, das etwa auch in
der Behindertenkonvention festgelegt ist, ist zunächst erstmal nur abstrakt
in den Einrichtungen angekommen. Konkret aber gibt es noch viel zu tun und
zu bedenken. So erzählt ein Teilnehmer von den beiden dementen Herren, die
sich auf ihre alten Tage ineinander verliebt hatten. Gerade bei Demenz, das
bestätigen viele hier, wirkt Sex außerordentlich belebend.
Das ganze Heim war entzückt von der Liebesgeschichte. Aber die Tochter des
einen Herrn nicht. Entsetzt forderte sie das Heim auf, die Homo-Beziehung
zu unterbinden. Als die Heimleitung sich weigerte, nahm die Tochter ihren
Vater aus dem Heim und brachte ihn woanders unter. Nicht nur die
Einrichtungen haben zu lernen.
13 Oct 2013
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Senioren
Behinderte
Menschen mit Behinderung
Tabu
Leben mit Behinderung
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Senat
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