# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 26: Die Erleuchtung | |
> Was bisher geschah: Als ein Fremder Leenas Freund Kay vor den Türen des | |
> SO36 angreift, wird sie zur Furie und nimmt sich den Angreifer zur Brust. | |
Bild: Am Ende lag jedes Puzzleteil an seinem Platz. Und Leena begriff. | |
Kay presste sich ein Ice Pack auf das Jochbein. Wo die Faust des Schlägers | |
gelandet war, verfärbte sich die Haut langsam blau. Immerhin hatte seine | |
Nase zu bluten aufgehört. „Scheiße“, sagte Leena zum ungefähr | |
fünfhundertsten Mal. „Scheiße, scheiße, scheiße.“ | |
Fünfhundertdrei – und noch lange nicht oft genug. Sie lagen, zwei Köpfe auf | |
einem Kissen, auf Leenas Bett, betrachteten das Steinturmbild über dem | |
Kopfende und warteten auf die beruhigende Wirkung, die es auf Leena | |
ausübte. Sie hielten sich an den Händen und ließen den Abend wieder und | |
wieder Revue passieren. | |
Irgendwann sagte Kay, vollgestopft mit Arnika-Kügelchen und Notfalltropfen: | |
„Du hast dich wie eine Löwin vor mich geworfen. Und ich? Ich hatte Angst | |
vor DER LUST! Das ist so lächerlich. Als würdest du mir jemals was tun!“ | |
Leena verstand kein Wort. Sie drehte sich auf die Seite und betrachtete | |
ihren Exmitbewohner mit gerunzelter Stirn. | |
„Was hat denn DIE LUST damit zu tun?“ | |
Kay errötete. Die Türklingel bewahrte ihn vor einer Antwort. | |
„Es ist mitten in der Nacht“, wunderte sich Leena. „Halb vier!“ Kay zuc… | |
mit den Schultern. Leena ließ ihn liegen und ging, um zu öffnen. Vor der | |
Tür stand eine völlig derangierte Isabelle und hinter ihr, nicht minder | |
verstört, Nuray. | |
„Wie geht’s ihm? Warum habt ihr uns nicht gerufen? Wieso seid ihr einfach | |
abgehauen?“ Isabelles Stimme kiekste. Leena deutete wortlos auf die | |
Schlafzimmertür. Isabelle drängte sich an ihr vorbei und breitete eine | |
warme Decke aus sorgenden Worten über ihren Freund. | |
Nuray zog die Tür hinter sich zu und baute sich vor Leena auf. „Was war das | |
schon wieder?“, fragte sie. | |
„Was meinst du?“ | |
„Na, das stinkt doch zum Himmel, Leena. Du stehst mit Kay vor dem Club, und | |
ganz zufällig kommt ein Irrer vorbei und schlägt auf ihn ein?“ | |
„Ich … Worauf willst du hinaus?“ | |
„Worauf ich hinauswill?!? Sag mal, raffst du ’s wirklich nicht? Seit DIESE | |
LUST bei dir aufgetaucht ist, passieren Sachen, die früher nie passiert | |
wären. Komische Sachen. Gefährliche …“ | |
Leena wandte sich ab und ging in die Küche. Nuray folgte ihr. „Abhauen | |
rettet dich auch nicht vor der Wahrheit!“ | |
Leena blieb mit dem Rücken zu ihrer besten Freundin am Küchenfenster | |
stehen. „Die Wahrheit“, wiederholte sie. „Was bitte soll das sein?“ | |
„Na, es kommt mir halt komisch vor. Ich mein: Bist du sicher, dass DIE LUST | |
diesen Typ nicht ein bisschen provoziert hat? Nur so ein klitzekleines | |
bisschen?“ | |
„Das würde ich nie tun!“, protestierte DIE LUST. | |
„Das würde sie nie tun!“, sagte Leena. | |
„Bist du sicher?“, insistierte Nuray. „Bist du dir ganz sicher?“ Sie gi… | |
zu Leenas Rücken und fasste sie an der Schulter. „Das muss ein Ende haben“, | |
sagte sie. „Und ich weiß auch, wie.“ | |
Ihr Atem war warm an Leenas Ohr. Mit jedem Wort, das Nuray ihr zuflüsterte, | |
verformte sich Leenas Magen mehr und mehr zu einem wütenden Tier. Wütend, | |
weil sie versprochen hatte zu tun, was DIE LUST forderte, weil sie keine | |
Ahnung mehr hatte, was sie selbst wollte und weil sie Nurays Plan | |
zugestimmt hatte, ohne ihn zu kennen. | |
Wütend auf Nuray. Leena drehte sich herum und starrte ihre beste Freundin | |
mit zusammengekniffenen Augen an. Sie rief sich ihr Leben ins Gedächtnis – | |
so, wie es gewesen war, ehe sie DIE LUST geboren hatte. Ihr Alltag: | |
Melissentee. Selbstkasteiung. Harmoniesucht. Erweitert um eine Obsession | |
für Health Food, Panik bei der Entdeckung eines Staubflockennests und fünf | |
Türschlösser. Das Resultat war niederschmetternd. | |
Will ich das?, fragte sie sich. Will ich das wirklich? | |
DIE LUST witterte ihre Chance. Sie umklammerte Leenas Arm. „Bitte!“, flehte | |
sie. „Lass mich bei dir bleiben! Ich gehöre zu dir, wir sind … Und außerd… | |
… So was ist doch keine Lösung!“ | |
Leena sann kurz über das trostlose Ergebnis ihrer Berechnungen nach. Dann | |
verwarf sie es, ging gedanklich ihre „Was ist Lust?“-Tabelle durch und | |
sortierte das Chaos. Am Ende lag jedes Puzzleteil an seinem Platz. Und | |
Leena begriff. | |
Alles. | |
Nuray schien die beunruhigend veränderte Energie wahrzunehmen. „Denk noch | |
mal drüber nach“, beschwor sie Leena. „Es ist die einzige Lösung! DIE LUST | |
hat es von Anfang an darauf angelegt. Erinnerst du dich? Einer der ersten | |
Twitter-Kommentare war Mordlust. Mordlust, verstehst du?“ | |
Leena stand mit zusammengebissenen Zähnen am Fenster, umflort von dem | |
neblig-grauen Licht des nächtlichen Hinterhofs. „Du glaubst also wirklich | |
…?“ | |
Ihr Zeigefinger durchfuhr zitternd die Luft. „Du glaubst, ein Mord würde | |
mich von DER LUST befreien? EIN MORD?“ | |
„Nicht irgendein Mord“, berichtigte Nuray. | |
25 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Tania Witte | |
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