| # taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 24: Der Anfang vom Ende | |
| > Was bisher geschah: Leenas Freund*innen schmieden Pläne, um sie vor DER | |
| > LUST zu retten – Pläne, von denen Leena nichts erfahren darf. | |
| Bild: „Bei den Männern!“, insistierte DIE LUST. „An den Pissoirs!“ | |
| Drogen sind Scheiße, dachte Leena zum x-ten Mal. Es war der fünfte Tag nach | |
| ihrem erinnerungslosen Erwachen, der fünfte Tag, an dem sie versuchte, sich | |
| von dem mehrtägigen Drogentrip zu erholen, zu dem sie DIE LUST gezwungen | |
| hatte. Es war ermüdend. Nebenher bemühte sie sich mit allem zur Verfügung | |
| stehenden Elan, das Vakuum zu ergründen, das ihren Kopf füllte. Erfolglos – | |
| jede Erinnerung um Joe und S. blieb verschollen. Ebenso wie DIE LUST. | |
| Die Abwesenheit ist schlimmer als die Anwesenheit, weil sie ein Trugschluss | |
| ist. Wann geht’s endlich los? Mysteriös genug, damit DIE LUST, wo immer sie | |
| auch steckte, sie nicht verstehen würde und klar genug für Nuray. | |
| Ist sie denn wieder da?, textete Nuray zurück. | |
| Schön wär’s! Sie ist nicht da und nicht weg. Lauert irgendwo. Hilf mir | |
| bitte! | |
| Mit Speck fängt man Mäuse, erwiderte Nuray. Halt dich bereit. | |
| Zwei Tage später, Leena bestrich sich gerade ihr abendliches Brot mit | |
| Walnuss-Senf-Aufstrich, hämmerten Fäuste gegen ihre Haustür. Sie ging zur | |
| Tür und schaute durch den Spion. | |
| Das verzerrte Bild, das sich ihr bot, hatte vage Ähnlichkeit mit ihrem | |
| Exmitbewohner Kay und mit Nuray. Kay, wenn er es war, trug metallene | |
| pinkfarbene Wimpern, um die ihn jedes Lama beneidet hätte. Er hatte sich | |
| einen dekorativen Dreitagebart um die grell geschminkten Lippen stehen | |
| lassen, und unter seiner Jacke lugte ein roséfarbenes Negligé mit Leo-Print | |
| hervor. Auch der Mensch, der Nuray ähnelte, hatte sich aufgebrezelt: Die | |
| Haare schmiegten sich in Wasserwellen um ihren Kopf und rollten sich auf | |
| ihren Wangenknochen zu einem charmanten Herrenwinker (oder in Nurays Fall | |
| wohl eher: einem Damenwinker). Sie trug ein Charlestonkleid unter dem | |
| offenen Mantel, ein silbrig schimmerndes Kropfband um den Hals und Nylons | |
| an den Beinen. Dazu ihre geliebten grellgrünen Chucks. | |
| Leena entriegelte ein Schloss nach dem anderen und öffnete. Kay drängte | |
| wortlos an Leena vorbei in die Wohnung. Nuray zwinkerte Leena | |
| verschwörerisch zu und schob sie hinter ihm her ins Schlafzimmer. | |
| „Ausziehen!“, befahl sie. | |
| „Anziehen!“, spezifizierte Kay, zog ein Bündel glitzernder Klamotten aus | |
| seiner Tasche und warf es auf das Bett. | |
| „Wozu?“, fragte Leena. | |
| „Wigstöckel“, erläuterte Nuray. Und Kay, der Leenas fragenden Blick | |
| auffing, fügte hinzu: „Das Transgender-Festival, du weißt schon.“ | |
| „Och nö“, sagte Leena. | |
| „Och ja“, sagten Kay und Nuray. | |
| „Au ja!“, schrie DIE LUST. | |
| „Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte Leena, als sie endlich mit DER LUST | |
| alleine war. Sie lehnte mit verschränkten Armen an der Innenwand einer | |
| Klokabine des SO36. DIE LUST hatte sich dem Motto des Abends angepasst und | |
| wechselte ihre Erscheinung sekündlich. Mann-Frau-Mann-Frau-Mann-Frau – so | |
| lange, bis Leena statt der vertrauten Form lediglich ein undefinierbares | |
| Flimmern wahrnahm. | |
| „Wieso?“, erwiderte DIE LUST. „Hast du mich etwa vermisst?“ | |
| „Ich …? Nein! Aber wie gemein ist das denn bitte? Erst bringst du mich in | |
| diesen beschissenen Zustand, und dann verpisst du dich. Das ist doch das | |
| Allerletzte!“ | |
| „Ich dachte, du brauchst ein bisschen Zeit für dich selbst.“ | |
| Leena starrte DIE LUST ungläubig an. „Zeit für mich selbst?“, brauste sie | |
| auf. Dann rief sie sich Nurays Instruktionen ins Gedächtnis, schluckte ihre | |
| Wut herunter und knirschte, halbherzig: „Wie nett von dir.“ | |
| Überrascht blieb DIE LUST einen Moment lang zwischen ihren | |
| Geschlechtsexpressionen hängen. Ein elektrisches Sirren erfüllte die | |
| Kabine. Dann lächelte sie breit. „Du hast es endlich verstanden!“, | |
| jubilierte sie. | |
| Leena nickte. Sie hatte verstanden, dass DIE LUST anwesend sein musste. Sie | |
| hatte verstanden, dass sie Nuray und den anderen vertrauen musste. DIE LUST | |
| betrachtete Leenas Gedankengänge nachdenklich. „Beweis es!“, forderte sie | |
| schließlich. | |
| Himmel, dachte Leena. Was hab ich mir da nur eingebrockt? Sie zwang sich zu | |
| einem breiten Grinsen. „Wenn es dich glücklich macht.“ | |
| „Okay“, sagte DIE LUST. „Ich weiß was. Pinkeln. Im Stehen. Das wolltest … | |
| doch schon immer mal.“ Leena verdrehte die Augen und zog den Reißverschluss | |
| ihrer Hose herab. | |
| „Bei den Männern!“, insistierte DIE LUST. „An den Pissoirs!“ | |
| 15 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Tania Witte | |
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