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# taz.de -- Die Wahrheit: Tief im Urschleim
> Höhlenbesuch: Im Allgäu könnte der Ursprung allen Lebens liegen. Schön
> anzusehen ist unser Anfang nicht. Aber die Nasa zeigt sich interessiert.
Bild: Liegt die Keimzelle des Lebens womöglich in diesen schleimigen Gebilden …
Hat es hier wirklich begonnen? Hat hier, in dieser kleinen Allgäuer
Gemeinde Sulzberg wirklich alles angefangen? Einst galten die Allgäuer als
„wildes, räuberisches Bergvolk“, jetzt sollen sie plötzlich ganz viel mit
dem Ursprung des Lebens zu tun haben. Das zumindest versichert der
Chefgeologe des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU). Roland Eichhorn
war vor gut einem Jahr mit seinen Geologen eher zufällig bei der Suche nach
Wasserquellen [1][auf den alten Jodwasserstollen mit den „Lebenden
Tropfsteinen“] gestoßen.
„Wir waren uns sofort sicher, das ist was ganz Besonderes“, erklärt der
Herr des bayerischen Untergrunds, der fast jeden Stein in diesem Freistaat
im Süden kennt. Und auch wenn seine Geologen so was wie die absolute
Mehrheit in der Tiefe haben: In diesem Fall musste zusätzlicher
Sachbeistand her – am besten von den Forschern des hochangesehenen
Helmholtz-Zentrums in München.
Und siehe, das, was sie herausgefunden haben, ist eine Sensation! Gut ein
Jahr nach der Entdeckung dieser Höhle voller „lebender Tropfsteine“ sind
sich die Wissenschaftler sicher: Es gibt wohl weltweit keine zweite Stelle
mehr, an der so gut die Entstehung des Lebens und die Urbakterien erforscht
werden können wie hier.
Mikroorganismen werden zwar an mehreren Stellen der Erde erforscht, in
einer Höhle in Mexiko, in Australien, in der Tiefsee. Aber nirgendwo sonst
gibt es sie in dieser speziellen Form. „Das sind sehr ursprüngliche
Lebensformen, die man hier findet“, erläutert der Leiter der
Forschungsgruppe, Tillmann Lüders. „Die Einzigartigkeit der
Sulzberg-Kaverne ist die Dominanz des Methans, das aus der Tiefe entweicht
– und es ist die Kopplung von einem Jod- und Methankreislauf, der so noch
überhaupt nicht bekannt oder gar untersucht ist.“
Das wiederum hat gleich doppelte Bedeutung: Methan ist 23-mal so
klimarelevant wie CO2 und in der alten Sulzberger Jodquelle laufen
chemische Prozesse ab, die das Methan gar nicht erst entweichen lassen,
sondern quasi unschädlich machen. Das könnte für die Weltklimaforschung
hochinteressant werden. Ist das zu fassen: Da, wo die Kühe auf
saftig-grünen Weiden fröhlich den ganzen Sommer über ihren Blähungen freien
Lauf lassen, da könnte sich ein neues Refugium für Klimaforscher auftun.
Doch das ist längst nicht alles: Der zweite Aspekt ist, wie gesagt, die
hier gefundene Urform von schleimigen Bakterien. „Ich glaube, dass diese
Biofilme, die da in der Sulzberg-Kaverne sind, uns eventuell einen Einblick
geben können über das Entstehen des Lebens auf der Erde und wie das Leben
überhaupt in den Grundzügen einmal ausgesehen hat – vielleicht ein kleines
Fenster, um den Urquell zu verstehen.“ Das sagt Lüders Forscherkollege
Michael Stöckel.
Die dort unten gefundenen Mikrofilme ähneln stark dem Urmaterial, aus dem
vor rund vier Milliarden Jahren Leben auf unserer Erde entstanden ist.
Ähnliche, wenn auch nicht gleiche Urlebensformen lassen sich vielleicht
noch in der Tiefsee erforschen, dort, wo ebenfalls kein Licht hinkommt.
Aber auch die Forscher kommen dort fast nicht hin – ganz anders als in
Sulzberg.
Der alte Stollen, aus dem einstmals das „Jodbad Sulzbrunn“ gespeist wurde,
ist inzwischen geschlossen. Das Refugium für die Forscher darf nur von
diesen – mit Schutzmasken – betreten werden. Vorbei die Zeiten, in denen
Interessierte hinuntersteigen konnten, nachdem die Höhle ausgepumpt worden
war.
Eine spektakuläre Vermutung äußert Chefgeologe Roland Eichhorn noch, wenn
man ihn fragt, wie es dort unten weitergehen könnte. Er kann sich gut
vorstellen, dass in nächster Zukunft sogar Experten der Nasa hier
„aufschlagen“. Schon zu Zeiten der Mondflüge hatten Nasa-Astronauten wegen
der Besonderheiten des Rieser Meteoritenkraters in Bayerisch-Schwaben für
ihren Ausflug auf den Erdtrabanten geübt. Jetzt könnten künftige
Marsmissionen das Allgäu für die Nasa interessant machen. Denn wenn es
jemals dort oben Leben gegeben haben sollte (oder gar vielleicht auch jetzt
gibt), dann vermutlich in einer ähnlichen Form wie am Ursprung der Erde.
Und das lässt sich, den neuesten Erkenntnissen zu Folge, wohl nirgends
besser erforschen als in Sulzberg im Allgäu.
27 Oct 2013
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## AUTOREN
Klaus Wittmann
## TAGS
Leben
Nasa
Höhle
Drohnen
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