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# taz.de -- Die Wahrheit: Glibbrige Schleimnasen
> Die ekligen Tropfsteine von Sulzberg im Allgäu.
Igittigitt! So hatte man sich den Abstieg in die Welt der Tropfsteine nicht
vorgestellt. Von wegen majestätisch kühl und maximal kalkhaltig! Weit und
breit keine Spur von der stolzen Steinpracht eines ausgewachsenen
Stalaktiten! Stattdessen glibbert und tropft hier alles, wie Abertausend
verschnupfte Rotznasen! Und doch soll dies ein Naturwunder sein, welches
unter den saftig-grünen Allgäuer Wiesen von Sulzberg, ganz nah am Waldrand,
entdeckt wurde.
Hier oben, wo die Kuhglocken mit den Amseln um die Geräusche-Hoheit
wetteifern, gibt es einen uralten Stollen. Und hier wurde jetzt ein
einzigartiges Naturphänomen entdeckt. In den alten Heilwasser-Stollen des
ehemaligen Jodbades „Sulzbrunn“ hat man „Lebende Tropfsteine“ aufgespü…
Genau genommen handelt es sich um sogenannte Biofilme – die ältesten
Lebensformen, die bereit vor über drei Milliarden Jahren existierten. Der
unbedarfte Laie erblickt zunächst schleimig-glibberiges Zeug, das aber
genauso aussieht wie Tropfsteine, nur dass es eben lebt … und sich bewegt,
wenn man es anlangt.
Doch um dieses Wunder der lebenden Tropfsteine sehen zu können, muss vorher
erst einmal der Stollen ausgepumpt werden, und dann heißt es, zehn Meter
tief unter die Erde steigen – in ganz, ganz engen Stollen. Hydrogeologen
des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) haben das getan, und auch der
taz-Reporter sollte mit dem „Herrn der Stollen“, mit Franz Hösle, scheinbar
unendlich tief hinuntersteigen in die Unterwelt von Sulzbrunn bei Sulzberg.
Der Stollenmann schwärmt schon oben von den gallertartigen milchig-weißen
Fäden, die „die gesamte Decke bedecken und mit Schleim überziehen.“ Und d…
Reporter sehnt sich derweil nach einem knallharten echten Tropfstein.
Denkste: Franz Hösle bittet zum Abstieg. Erst einmal macht er die
Sauerstoffprobe, indem er eine Kerze in den tiefen Einstiegsschacht
hinablässt. Brennt sie auch in acht Meter Tiefe, kann der Abstieg beginnen,
dann ist nämlich nicht Schicht im Schacht, sondern Sauerstoff. Eine kalte
Eisenleiter geht es hinunter, vorsichtig Stufe um Stufe ins Ungewisse. Dann
folgt ein knapp zehn Meter langer Stollen – etwa 80 Zentimeter breit, 1,45
Meter hoch, doch man muss ständig gebückt laufen, um diese glibberigen
Tropfsteingebilde nicht zu zerstören, die so überaus empfindlich sind.
Es sieht aus wie jenes eklige Schlabbergummi-Zeug, mit dem Kinder oft
spielen – manch einer könnte sich auch an seine letzte schlimme Rotznase
erinnert fühlen. Und wenn man es anlangt, dann ist das so ein Gefühl
zwischen wabbelweich und glibberglitschig. Dann wackelt es und wobbelt es –
und man muss sehr vorsichtig sein, sonst bricht ein sensibler Schleimpfropf
von der Decke.
Es hängt überall. Und es geht weiter und immer weiter in diesen Stollen
hinein. Die Schritte werden dumpf, die Stimmen hallen durch ein wirres
Höhlengebilde, das stockdunkel ist und nur von der Taschenlampe des
Stollenmeisters erleuchtet wird. Überall ist das Tropfen des Wassers zu
hören. Ein Stück weiter hinten geht es noch einmal zwei Meter in die Tiefe
und dann tut sich eine Höhle vor dem Besucher auf, rötlich im Licht der
Taschenlampe schimmernd. Das Plätschern wird lauter. Aus fünf Ritzen im
Fels tropft extrem jodhaltiges Heilwasser.
„Es ist das jodhaltigste Wasser in ganz Europa“, freut sich der
Stollenexperte Hösle, der nicht verstehen kann, dass dieses Gut ungenutzt
abfließt. „Früher wurde dieses heilende Wasser zu allen möglichen Therapien
verwendet und in ganz Europa verkauft, bis nach Paris und St. Petersburg“,
erklärt der Mann im Feuerwehranzug.
Also heißt es geschwind noch einen Schluck vom gesundmachenden
Wunder-Jod-Wasser trinken, die phänomenalen lebendigen Glibberfilme hinter
sich lassen und dann nichts wie raus aus den Stollen und hoch zu den
Allgäuer Kühen und Mägden und … Frühling ist’s!
4 Jun 2012
## AUTOREN
Klaus Wittmann
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