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# taz.de -- Jubiläumsprogramm von Sasha Waltz: Arbeit an der Gemeinschaft
> Seit zwanzig Jahren arbeitet die Choreografin Sasha Waltz in Berlin. Zum
> Jubiläum zeigt sie „Sacre“, eine dreiteilige Exkursion in die
> Ballettgeschichte.
Bild: „L'aprés-midi d'un faune“, Uraufführung der Choreografie von Sasha …
Wer eine Karte hatte für „Sacre“ von Sasha Waltz & Guests, der konnte am
Samstagabend glücklich ins Berliner Schillertheater marschieren, dem
Ausweichquartier der Staatsoper. Vorbei an den vielen, die „Suche
Karte“-Schilder hochhielten.
Innerhalb von 48 Stunden sollen die beiden von Daniel Barenboim dirigierten
Ballettabende im Programm der Staatsoper ausverkauft gewesen sein. Warum
sie denn bei solcher Nachfrage nicht gleich öfter spielen, fragt man und
erfährt: Maestro Barenboim und die Staatskapelle hatten nicht mehr Termine
frei - und ohne deren Begleitung sollte nicht getanzt werden.
Tatsächlich macht die Gleichzeitigkeit von Konzert und Tanz den Abend
kostbar, der mit seinen drei Stücken in die musikalische Moderne einführt:
mit einem Ausschnitt aus Hector Berlioz' dramatischer Sinfonie „Roméo et
Juliette“, mit „L'apres-midi d'un faun“ von Claude Debussy und schließli…
mit Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, vor hundert Jahren uraufgeführt.
## Die Wucht der Musik
Nicht zuletzt der ein Jahr später ausbrechende Weltkrieg hat für den
nachhaltigen Ruhm dieser mit unterirdischem Pochen, Ausbrüchen von Gewalt
und ritualisierter Grausamkeit verstörenden Komposition gesorgt. Ein
apokalyptisches Vorspiel, wie manches aus der Kunst dieser Zeit. Gleich
zwei Theater, aus St. Petersburg und Paris, hatten Sasha Waltz gefragt,
Strawinskis „Frühlingsopfer“ neu zu interpretieren. Sie entwickelte
schließlich mit den Tänzern ihrer Compagnie, Sasha Waltz & Guests, eine
Choreografie, die in St. Petersburg und Paris von den Tänzern des
russischen Mariinsky-Theaters aufgeführt wurde und in Brüssel und Berlin
jetzt mit den eigenen Tänzern.
Allein dieses Verfahren zeigt die Begehrlichkeiten, denen sich die
Starchoreografin Waltz ausgesetzt sieht - sie bekommt ständig Anfragen,
auch für andere Ensembles Stücke zu entwickeln. Ihr selbst hingegen bleibt
es wichtig, mit Sasha Waltz & Guests aufzutreten.
Strawinskys Musik ist von ungeheurer Wucht und unausweichlicher Dramatik.
Das Libretto versetzt den Zuhörer in eine archaische Zeit. In der Handlung
soll die Natur der Dorfgemeinschaft gewogen bleiben - zu diesem Zweck will
man eine junge Frau opfern.
## Die Angst und den Schrecken teilen
Waltz' Lesart nimmt diese Geschichte ernst und erzählt anrührend vom
Verhältnis der Gemeinschaft zu dieser Frau - ihre Mitglieder spiegeln sich
in ihr, sie versetzen sich in sie hinein, teilen ihre Angst und ihren
Schrecken. Kein grausames Ritual der Ausstoßung sieht man hier, sondern
mehr eine Initiation in den Glauben an die Notwendigkeit des Opfers. Jede
und jeder fühlt, dass es auch sie oder ihn hätte treffen können, und
versucht die Last mitzutragen.
Indem die Choreografin jeder Szene und jeder Figurengruppe ein vielfältiges
Echo beigibt, das ähnlich, aber nicht identisch Bewegungen aufnimmt und
wiederholt, gelingt Sasha Waltz ein großes Panoramabild. Nicht das Opfer
steht im Vordergrund, sondern die Arbeit der vielen, eine Gemeinschaft zu
bilden und trotz Konflikten zu bleiben.
Dem hohen Pathos und einer holzschnittartigen Expressivität, zu der diese
Musik leicht verführt, weiß die Compagnie dennoch auszuweichen. Sie streut
viele erzählerische Details ein, die aus der Zwangsläufigkeit der Handlung
ausscheren.
## Ohne Schwulst und Kitsch
„Sacre“ war das Abschlussstück des Abends - er begann mit einer
Uraufführung von „L'après-midi d'un faune“. Noch nie kam mir das Stück v…
Debussy so kurzweilig vor wie in dieser anregenden Interpretation. Vor
einem abstrakten Mosaik, das in verschiedenen Farben aufglüht, tauchen die
Tänzer in geometrisierten Kostümen auf, Farbpartikel in einem kinetischen
Bild, das mal von animalischen Kräften und Krallen erzählt, mal von
Geistern und Träumen - und mal von erotischen Begierden.
Die Tänzer bilden dabei sowohl bewegte Vielheiten als auch einzelne
Individuen, die aber immer die Notwendigkeit unterlaufen, sie als Tier,
Mensch oder Zwischenwesen zu identifizieren. Mit solch angenehmer Offenheit
umgeht das Stück auch alle Fallen des Schwülstigen oder Kitschigen, die in
der verführerischen Musik liegen.
Die Leichtigkeit der Interpretation besticht auch beim Liebesduett aus
"Roméo et Juliette", von zwei Tänzern der Mailänder Scala ausgeführt. In
allen drei Stücken harmonieren tänzerische und musikalische Aufführung, das
Orchester lässt den Körpern auf der Bühne genügend Raum, einem eigenen Atem
zu folgen und sie nicht einfach hinwegzuschwemmen.
Und dennoch: Diesem Abend fehlt auch etwas, wenn man an frühere Stücke von
Sasha Waltz zurückdenkt, etwa „Körper“ und „S“, die an der Berliner
Schaubühne vor 13 Jahren entstanden sind, oder an „Jagden und Formen", zur
Musik von Wolfgang Rihm 2008 entwickelt.
## Der geforderte Betrachter
Es gab viel mehr zu entdecken dort, zu enträtseln auch, wo Sasha Waltz ihre
eigenen Geschichten aus Recherchen, aus Bildern, aus Räumen und
theoretischen Fragen Stück für Stück entwickelt hat und nicht auf
historische Tanzstoffe und abgeschlossene Kompositionen zurückgreifen
konnte.
Auch scheint in ihren Tanztheaterstücken mehr Raum offen zu sein für die
unterschiedlichen Charaktere ihrer Performer als in ihren Balletten.
Deshalb ist es gut, dass die Compagnie auch weiter ihr Repertoire aufführt.
28 Oct 2013
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Sasha Waltz
Sasha Waltz
Tanztheater
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