# taz.de -- Gedenkkultur: „Das ist befremdlich“ | |
> Künstler Ben Wagin verlegt „Denksteine“ in der Stadt, um an das | |
> Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ zu erinnern. Mitte-Kulturstadträtin | |
> Sabine Weißler hält davon wenig. | |
Bild: Gedenken bedeutet nicht, dass Kranzabwurfstellen daraus werden | |
taz: Frau Weißler, gibt es auch in Mitte „Denksteine“ | |
Sabine Weißler: Ja, einer liegt im Tiergarten. | |
Mit Ihrem Einverständnis? | |
Nein. Mit mir war das nicht abgesprochen. Ich habe davon durch eine | |
Pressemitteilung erfahren. | |
Der Bezirk wurde in die Entscheidung nicht einbezogen? | |
Normalerweise haben wir eine Arbeitsgruppe, die sich inhaltlich mit solchen | |
Projekten beschäftigt. Diese Verlegung ging vollkommen an den fachlichen | |
Gremien des Bezirks vorbei. | |
Könnte es damit zu tun haben, dass die Platten umstritten sind? | |
Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Verlegung explizit abgelehnt. | |
Das Problem ist: Diese Denksteine im Gewand typischer Gedenkzeichen | |
beziehen sich gar nicht auf ein historisches Datum, sondern auf eine | |
aktuelle Veranstaltungsreihe. Bis auf Logo und Titel des Themenjahres, die | |
Jahreszahlen 1933, 1938, 1945 und mitunter den Namen des Sponsors gibt es | |
darauf keine Informationen. Dass sich eine Veranstaltungsreihe | |
Gedenkplatten legt, sich quasi ihr eigenes Denkmal schafft, ist | |
befremdlich. | |
Aber Zahlen wie 1933, 1938 und 1945 sind doch nicht neutral. | |
Machen wir uns keine Illusionen. Vielleicht löst die Zahl 1933 noch etwas | |
in den Betrachtern aus, bei 1938 wird es schon schwieriger. Nein, die | |
Tafeln erklären nichts. Sie kopieren eine bekannte Form und transportieren | |
eine Marke. In fünf Jahren weiß kein Mensch mehr, warum die hier liegen. | |
Laut den Initiatoren erklärt der „Denkstein“ nichts, ist aber ein Mittler, | |
um nachzudenken. Kann man das nicht als Ergänzung zu den Formen unserer | |
ausgeprägten Berliner Gedenkkultur gelten lassen? | |
Es gibt aktuell wirklich intelligentere Systeme. Wir erarbeiten etwa gerade | |
Informationen zur Topographie des Afrikanischen Viertels: die reichen von | |
der klassischen Form der Wissensvermittlung bis hin zu elektronischen | |
Medien, etwa mit Smartphone-Rundgängen. Zu den Basics in der | |
Erinnerungskultur zur NS-Geschichte zählt, dass am authentischen Ort an | |
eine Person oder ein Ereignis erinnert und das in den historischen Kontext | |
gestellt wird. | |
Sollte man die Platten noch mit Informationen ergänzen? | |
Wozu? Der Denkstein im Tiergarten liegt am ungefähren Ort der früheren | |
Krolloper. Aber dort existiert bereits eine Tafel, die über das | |
Ausweichquartier für die Reichstagssitzungen der Nazis nach dem | |
Reichstagsbrand informiert. | |
Für Ben Wagin stellt der Denkstein am Savignyplatz einen Zusammenhang mit | |
seiner „Weltenbaum“-Wandinstallation auf dem S-Bahnhof zur Erinnerung an | |
die jüdischen Bürger des Quartiers her. | |
Die Installation wirkt doch als solche für das Gedächtnis: Sie hat Ort und | |
Aussage, einen historischen Bezug, es gibt den Künstler. Braucht es diese | |
Fußnote? | |
Welches Konzept verfolgen Sie für die vielen „Denkzeichen“, die es in Mitte | |
bereits gibt? | |
Es gibt hier etwa 280 bis 300 Gedenktafeln, dazu kommen zahlreiche Platten, | |
Stelen, Markierungen – die Stolpersteine nicht eingerechnet. Wir gehen von | |
rund 1.800 Objekten zu unserer langen Geschichte im Bezirk aus. Das ist | |
eine große Gedenklandschaft. Unser Ziel ist, diese Orte gut sichtbar zu | |
halten und über ein Mehr an Informationen wie Angebote im Netz oder Apps in | |
einen räumlichen oder stadtgeschichtlichen Gesamtzusammenhang zu bringen. | |
Das sollen ja keine Orte sein, wo Kränze niedergelegt werden, sondern Orte | |
für Bürgerinnen und Bürger, die an Geschichte und Themen der Erinnerung | |
interessiert sind. Ein Beispiel: Wer den Wedding durchstreift, sollte die | |
Möglichkeit haben, etwas über den „Roten Wedding“ zu erfahren. Dafür | |
braucht man nicht einmal viel Platz. Es regt aber an dem Ort an, den | |
thematischen Zusammenhang zu suchen. | |
Das klingt, als wollten Sie den Erinnerungsboom der letzten Jahre wieder | |
einfangen. | |
Ich will die Frage nach der Qualität wieder in den Mittelpunkt stellen. | |
Wenn die „Denksteine“ einen Sinn haben, dann den, dass wir eine Diskussion | |
führen, die Antworten auf diese Frage findet und deren Ergebnisse zu | |
Grundlagen für die Gestaltung unserer Gedenklandschaft werden können. 1.000 | |
Gedenkplatten mehr sind nicht gleichzusetzen mit tausendfacher Erkenntnis. | |
5 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
Installation | |
Judenverfolgung | |
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