| # taz.de -- Torwart aus Afghanistan: Tipps aus der Taxizentrale | |
| > Der Torwart Mansur Faqiryar ist eine afghanische Legende. Beim Gewinn der | |
| > Südasien-Meisterschaft wurde er zum Nationalhelden. Er lebt in Oldenburg. | |
| Bild: Südasienmeister in der norddeutschen Tiefebene: Oldenburgs Mansur Faqiry… | |
| BREMEN/HAMBURG taz | Am 11. September 2013 lässt der Hamburger | |
| Taxi-Unternehmer Mohammed Saber Rohparwar seinen Wagen für ein paar Stunden | |
| stehen und geht Fußballgucken, die Satellitenbilder aus Kathmandu kommen | |
| gut an. Mit Landsleuten sieht er, wie die afghanische Nationalmannschaft | |
| Indien im Finale des Südasien-Pokals mit 2:0 schlägt. | |
| Rohparwar ist stolz wie selten zuvor in seinem Leben. Er würde das nie laut | |
| ausposaunen, aber der Scout kennt seinen Anteil an diesem Erfolg, der zur | |
| gleichen Zeit in Kabul mit friedlichen Gewehrsalven gefeiert wird. | |
| Auch in der zentralasiatischen Exsowjetrepublik Tadschikistan wird das | |
| Spiel intensiv verfolgt. Dort weilt der afghanische Staatspräsident Hamid | |
| Karsai auf Staatsbesuch und erfasst die Bedeutung des Ereignisses für sein | |
| Land. | |
| Nach dem Schlusspfiff ruft er den kommenden Tag, einen Donnerstag, zum | |
| Feiertag aus. Er selbst unterbricht seine politischen Konsultationen für | |
| ein paar Stunden, um die Mannschaft am Flughafen in Kabul persönlich zu | |
| empfangen. | |
| In der Maschine aus Nepal sitzt auch der 27-jährige Bremer Student Mansur | |
| Faqiryar, der das Tor des Regionalligisten VfB Oldenburg hütet. 25 Jahre, | |
| nachdem seine Eltern mit ihm das Land als Bürgerkriegsflüchtlinge verlassen | |
| haben, kehrt er nun als Volksheld nach Kabul zurück. Im Gepäck hat er nicht | |
| nur den ersten internationalen Titel, den Afghanistan je im Fußball | |
| gewonnen hat. Er ist auch zum wichtigsten Spieler des Turniers gewählt | |
| worden. | |
| „Ganz Kabul war auf der Straße, man zerrte uns Spieler aus den Autos, um | |
| mit uns zu tanzen“, erzählt Faqiryar in einem Bremer Café, als das | |
| Sturmtief „Christian“ draußen gerade die Werbeschilder wegbläst. Er habe | |
| geahnt, dass die Menschen sich freuen würden, aber das Ausmaß habe ihn | |
| überwältigt. | |
| „Leute, die Jahrzehnte nur Trauer und Leid gesehen haben, haben geweint, | |
| sich gefreut, gelacht, haben uns die Hände abgeküsst.“ Dreißigtausend | |
| Menschen feierten das Team anschließend im Ghazi-Stadion. | |
| Die Initialzündung für diese Begeisterung hatte der Torwart selbst ein paar | |
| Tage vorher im Halbfinale gegen Gastgeber Nepal mit einer Szene gelegt, die | |
| im afghanischen Fernsehen in den nächsten Jahrzehnten ähnlich oft | |
| wiederholt werden wird, wie im deutschen das entscheidende Tor von Helmut | |
| Rahn im WM-Endspiel 1954. | |
| ## Einmaliges Zeugnis von afghanischer Einheit | |
| Beim Stand von 1:0 für Afghanistan erhielt Nepal einen fragwürdigen | |
| Elfmeter, den Faqiryar hielt, den der Unparteiische aber wiederholen ließ. | |
| „Da sind einige von uns ausgerastet und wollten schon das Spielfeld | |
| verlassen“, sagt Faqiryar. „Ich habe gesagt, das bringt nichts.“ | |
| Stattdessen hielt er auch den zweiten Elfer, und seine Mannschaft rettete | |
| trotz achtminütiger Nachspielzeit die Führung über die Zeit. | |
| „Der Präsident hat mir gesagt: ’Was du mit deinen gehaltenen Elfmetern für | |
| dein Land geleistet hast, haben wir Politikern in zwölf Jahren mit | |
| Milliarden US-Dollar nicht geschafft: eine Einheit und ein Selbstwertgefühl | |
| zu erzeugen' “, erzählt Faqiryar. | |
| Bei allen Treffen auf der Straße, in TV-Studios oder bei Stammesfürsten | |
| hörte er, wie stets hervorgehoben wurde, dass die junge Mannschaft es | |
| geschafft habe, aus Spielern aller ethnischen Gruppen und aus verschiedenen | |
| Regionen eine Einheit zu schaffen. | |
| ## Ein Dienst für das Land | |
| Dieses Beispiel habe gerade in der jetzigen Phase, kurz vor dem Abzug der | |
| Isaf-Truppen, ein große Bedeutung für das zerrissene Land. Sogar die | |
| Taliban haben zum Sieg gratuliert. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, | |
| so einen Dienst für mein Land leisten zu können“, sagt Faqiryar. | |
| Das Gefühl teilt er mit dem Hamburger Taxi-Unternehmer Mohammed Saber | |
| Rohparwar. Der wäre gern dabei gewesen, in Katmandu und in Kabul. So wie im | |
| August, als er die deutschen Spieler nach Kabul zum Spiel gegen Pakistan | |
| begleitet hat, zum ersten Auftritt einer afghanischen Nationalmannschaft | |
| auf eigenem Boden seit zehn Jahren. | |
| „Viele Spieler und ihre Familien hatten Bedenken wegen der | |
| Sicherheitslage“, erzählt Rohparwar in einem türkischen Restaurant in | |
| Hamburg-St. Georg. „Als ich ihnen gesagt habe, dass ich sie begleite, haben | |
| sie zugesagt.“ Aber jetzt musste er zu Hause bleiben, weil er sich den | |
| Verdienstausfall nicht leisten konnte. | |
| ## Fast 200 Tore für Hindukusch Kabul | |
| Rohparwar ist nicht nur der Entdecker von Mansur Faqiryar, sondern auch | |
| dessen Vorläufer als Fußballlegende seines Landes. Für Hindukusch Kabul | |
| schoss der Mittelstürmer in den 1970er Jahren fast 200 Tore. In 56 Spielen | |
| für die afghanische Nationalmannschaft traf er 25-mal, unter anderem 1976 | |
| zum 1:0 beim ersten Sieg im Bruderduell gegen Pakistan. | |
| Damals war der Agraringenieur in Personalunion Mannschaftskapitän und | |
| Vizepräsident seines Verbands. Der damalige Staatspräsident Daud habe viel | |
| für den Fußball getan, erzählt er. Im Vergleich zu heute, wo es an vielen | |
| Orten Afghanistans Kunstrasenplätze gibt, wäre damals aber nur in den vier | |
| großen Städten gespielt worden. Auf Plätzen, bei deren Beschreibung | |
| Rohparwar mit der Hand eine Wellenbewegung macht. | |
| Nach der Besetzung durch sowjetische Truppen flüchtete er 1978 mit sechs | |
| Mitspielern nach Deutschland – und versetze den Besatzern damit eine | |
| schmerzlich propagandistische Niederlage. Während der Absturz des | |
| afghanischen Fußballs begann, der unter dem Taliban-Regime ganz verboten | |
| wurde, gründeten Rohparwar und seine Freunde die dritte Mannschaft des TuS | |
| Schloß Neuhaus in Paderborn. Sie mussten ganz unten in der Kreisklasse | |
| anfangen. | |
| Irgendwann zog es Rohparwar dann nach Hamburg, die Stadt, in der weltweit | |
| am meisten Exilafghanen leben. Er kaufte sich ein Taxi und betreute | |
| nebenbei eine Jugendfußballmannschaft. Aber aus der Heimat kamen Mitte des | |
| letzten Jahrzehnts nicht nur politisch schlechte Nachrichten. „Ich hörte, | |
| dass die Nationalmannschaft 0:11 gegen den Libanon und gegen Katar verloren | |
| hat und die U23 0:10 gegen den Iran.“ | |
| ## Offizieller Scout | |
| Die alten Paderborner Kumpels setzen sich zusammen und luden den | |
| Präsidenten des afghanischen Fußballverbands ein, um ihm zu zeigen, wie | |
| viele junge afghanischstämmigen Fußballer hierzulande in den dritten und | |
| vierten Ligen aktiv sind. Seitdem arbeitet Rohparwar offiziell und | |
| ehrenamtlich als Scout für den afghanischen Fußballverband in Deutschland. | |
| Parallel dazu begannen der Deutsche Olympische Sportbund und der Deutsche | |
| Fußball-Bund den Aufbau des Fußballs in Afghanistan zu unterstützen. | |
| Fast das ganze Wochenende und jeden Feierabend ist Rohparwar nun online, | |
| liest Spielberichte über die Amateurligen, ruft Vertrauensleute an, um sich | |
| über die Form seiner Kandidaten zu erkundigen und das Auftauchen neuer | |
| Talente nicht zu verpassen. | |
| Manche kann er gleich um die Ecke inspizieren, wie Mustafa Hadid aus der | |
| Oberliga-Mannschaft von Altona 93. Im Kader der Mannschaft beim | |
| Südasien-Pokal standen neben Hadid und Faqiryar noch vier weitere von ihm | |
| empfohlene Spieler. | |
| ## Asienspiele in Australien | |
| Wie ihre in Afghanistan lebenden Mitspieler erhielten sie von Präsident | |
| Karsai ein Apartment in Kabul als Prämie. „Man muss abwarten, welche Türen | |
| sich da vielleicht beruflich noch öffnen“, sagt Faqiryar. „Ich bin jemand, | |
| der im Jetzt lebt.“ Konkreter sind seine sportlichen Ziele: Die Teilnahme | |
| an den Asienspielen 2015 in Australien. Die kann das Team im März mit dem | |
| Sieg beim Challenger Cup auf den Malediven erreichen. Eindeutiger Favorit | |
| für den Turniersieg ist allerdings das philippinische Nationalteam. | |
| Auf den Malediven will Mohammed Saber Rohparwar das Team unterstützen – | |
| koste es, was es wolle. Er hat kein Apartment erhalten, und dass ihn das | |
| etwas enttäuscht hat, würde er nie sagen. Stattdessen erklärt er, die | |
| Freude der Menschen in Afghanistan sei Lohn genug für ihn. Seitdem seine | |
| Frau die gesehen habe, würde sie endlich verstehen, warum er jede freie | |
| Minute im Internet und auf Sportplätzen verbringt. | |
| 18 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Lorenzen | |
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