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# taz.de -- Die Wahrheit: Allet am Arsch
> Wegen der immensen Verschuldung und der allgemeinen Trostlosigkeit der
> Stadt wird Oberhausen zum Jahresende dichtgemacht.
Bild: Die wahrscheinlich düsterste Stadt unter der Sonne ist Oberhausen.
Peter Schabulski hat in den vergangenen Tagen aufgehört, seine Tränen zu
unterdrücken. Immer wenn der Busfahrer aus Oberhausen auf das Gasometer
zusteuert, das Wahrzeichen der Stadt im Ruhrgebiet, werden seine Augen
feucht. Schabulski fährt seit 39 Jahren Bus, seit 39 Jahren in seiner
Heimatstadt und seit 39 Jahren mit Bierbauch. „Ohne Oberhausen kann ich
nich. Allet am Arsch!“, schluchzt er und vergräbt die Halbglatze in seinen
schwieligen Händen.
Doch genau das muss er bald. Es war ein besonders trüber Novembertag, als
Oberbürgermeister Klaus Wehling (SPD) am vergangenen Freitag eine knappe,
nüchterne Pressemitteilung verschickte. Weil die wirtschaftlichen
Aussichten der Stadt unverändert schlecht seien, werde Oberhausen Ende des
Jahres geschlossen. Alle Bewohner müssten bis dahin die Stadt verlassen
haben. Seitdem ist Oberhausen im Ausnahmezustand.
Klaus Wehling ist ein Mann von 66 Jahren. Durch den freundlichen
Schnurrbart macht er nicht den Eindruck, dass er es ist, der eine ganze
Stadt schließen möchte. Er sitzt in seinem Büro, das in seiner kargen,
tristen Ausstattung den Zustand von Oberhausen spiegelt. Grauer,
abgewetzter Teppich, vergilbte Tapeten, zwei einsame Rosen stehen in einer
Vase auf einem abgenutzten Schreibtisch. „Einen neuen habe ich mir seit
Jahren verkniffen“, sagt Wehling und lächelt bitter. „Glauben Sie mir, ich
hab alles versucht, um die Stadt am Leben zu halten, aber irgendwann habe
ich eingesehen, dass es keinen Sinn mehr macht.“
Die Stadt hat Schwimmbäder und andere öffentliche Einrichtungen
geschlossen, sie hat Hartz-IV-Empfänger kostenlos mit dem Bus nach
Düsseldorf gefahren und dann nicht mehr abgeholt. Zuletzt waren nur noch
zwei Schulen, ein Kindergarten und die erste Etage des Rathauses in
Betrieb. Trotzdem blieb Oberhausen noch immer die Stadt mit der höchsten
Pro-Kopf-Verschuldung an Kassenkrediten pro Einwohner.
Dann bestellte der Bürgermeister zwei Unternehmensberater von McKinsey ein.
Schon nach drei Tagen kamen sie zu einem Urteil: Sofort dichtmachen! Es sei
auf absehbare Zeit nicht möglich, Oberhausen einigermaßen profitabel zu
betreiben. Bürgermeister und Stadtrat folgten der Empfehlung. „Besser ein
Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, so begründete es Wehling
in seiner Rede vor den Ratsmitgliedern.
## Angst vor Anschlussverwendung als Essener
Doch viele Oberhausener sehen das anders. Sie haben Angst vor einer
Anschlussverwendung als Duisburger oder Essener und protestieren gegen die
Schließung ihrer Heimat. Die Facebook-Gruppe „Oberhausen erhalten!“ hat
bereits 150.000 Mitglieder, darunter auch die prominenteste Persönlichkeit
der Stadt, Esther Schweins. Sie werfen der Stadt vor, den Profit über das
Wohl der Bürger zu stellen.
Dieser Vermutung gibt auch die Tatsache Nahrung, dass die Stadt bereits mit
Interessenten verhandelt, die das 77 Quadratkilometer große Gelände kaufen
wollen. Nach Informationen aus dem Umfeld der Verwaltung möchte ein
Investor ein Einkaufszentrum mit Freizeitpark errichten, ein anderer die
längste Rennstrecke der Welt bauen. „Wo nun Menschen wohnen, soll bald der
freie Markt herrschen“, klagt ein Ratsmitglied der Linkspartei, das
namentlich nicht genannt werden möchte.
Wehling verteidigt sich gegen die Kritik. „Besser wir bringen die Sache
jetzt zu Ende, als dass wir den Menschen noch falsche Hoffnungen machen und
sie dann in zehn Jahren fortschicken. Wenn ein Unternehmen so schlecht
liefe wie Oberhausen, wäre es längst dichtgemacht worden.“ Ein Sprecher des
Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln bekräftigt die Haltung des
Oberbürgermeisters: „Oberhausen ist echt am Arsch.“
Klaus Wehling berichtet, er könne nicht mehr ruhig schlafen, täglich findet
er anonyme Drohbriefe in seinem Briefkasten. Seine Frau werde inzwischen an
der Supermarktkasse nicht mehr bedient. Er wolle doch nur das Beste für
seine Stadt, lieber in Würde sterben als langsam dahinsiechen.
Busfahrer Peter Schabulski hat für die Sorgen des Oberbürgermeisters nur
bitteren Spott übrig. „Seine Alte kann doch mit denen ihren Dienstwagen auf
unsere Kosten nach Essen zum Einkaufen fahren. Aber wat können wir?“ Er
nimmt einen langen Schluck aus seiner Bierflasche. Und dann noch einen.
„Wir können uns bloß noch mal Semino Rossi in der König-Pilsener-Arena
ankucken.“ Seufzend wischt sich Schabulski die Tränen weg, schließt die Tür
und zuckelt mit seinem Bus in eine ungewisse Zukunft.
18 Nov 2013
## AUTOREN
Sebastian Dalkowski
## TAGS
Oberhausen
Verschuldung
Kommunen
Ruhrgebiet
Wahrheit
Vegetarismus
Halloween
Crystal Meth
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