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# taz.de -- Kommentar Desinfektionsduschen: Warum hast du überlebt?
> Als Hunderte ertranken, gab sich Europa betroffen. Doch die geretteten
> Flüchtlinge werden in Lampedusa weiterhin wie Tiere behandelt.
Bild: Als Belohnung fürs Überleben wie Tiere behandelt: Flüchtlinge auf Lamp…
Nein, da waren keine Sadisten am Werk. Es war bloß Routine im Lager auf
Lampedusa: Nackt mussten die Flüchtlinge antreten, im Freien, mitten im
Winter, um sich, vor Kälte zitternd, in ihrem Schamgefühl tief verletzt,
einer Desinfizierungsdusche zu unterziehen.
Zeugen berichten, Woche um Woche sei das so gegangen – schließlich sollte
die Krätze ferngehalten werden. Dass diese Behandlung schlicht
menschenunwürdig ist, bedarf keiner weiteren Worte.
Es sind gerade erst gut zwei Monate vergangen, seitdem am 3. Oktober direkt
vor Lampedusa 366 Eritreer elend ertranken und dann, am 11. Oktober,
hunderte Syrer in der Straße von Sizilien nach dem Kentern ihres Schiffs
den Tod fanden. Heilige Schwüre waren in Italien, waren quer durch Europa
zu hören: Solidarität mit den Opfern sei gefragt, und die
Flüchtlingspolitik müsse sich grundsätzlich ändern.
Doch geändert hat sich vorerst so gut wie nichts. Unter den in Lampedusa
zur demütigenden Desinfizierungsprozedur Gezwungenen finden sich auch
diverse Überlebende der beiden Oktober-Katastrophen – nachdem die hehren
Worte verklungen sind, begegnet ihnen Italien und damit Europa mit den
gleichen üblen Routinen, die sich über Jahre eingespielt haben.
## Wir sind regelmäßig überrascht
Fest zur eingespielten Routine gehört zuvorderst die „Überraschung“.
Überraschung zunächst darüber, dass „so viele“ Flüchtlinge kommen, dass
regelmäßig der Platz nicht reicht im Lager Lampedusa – worüber der
Normalzustand der vorhersehbar eintreffenden Boat People sich mit schöner
Regelmäßigkeit in den „Notstand“ verwandelt.
„Notstand“: Das heißt schlicht, dass Schlafplätze nicht zur Verfügung
stehen, dass die eben der Not und dem Tod Entronnenen im Freien auf
billigsten Schaumstoffmatratzen nächtigen, dass sie in den Toiletten durch
Kot und Urin waten müssen.
An fehlendem Geld liegt das nicht. Die Genossenschaft, die das Lager auf
Lampedusa betreibt, streicht pro Tag vom italienischen Staat – der wiederum
auf EU-Töpfe zugreift – für jeden der Flüchtlinge 40 Euro ein, das macht
bei der chronischen Überbelegung diese Jahres schon mal Tageseinnahmen von
40.000 Euro. Trotzdem jammert die Genossenschaft jetzt, anlässlich des
neuesten Skandals, über angebliche Unterausstattung beim Personal. Auch sie
wird halt laufend „überrascht“, während sich die Profite auf den Konten
häufen.
Überrascht ist selbstverständlich auch die Regierung. Soldaten sind im
Lager stationiert, Polizisten, Carabinieri, dazu Verbindungsbeamte des
Innenministeriums, doch wie es scheint, hat niemand von ihnen etwas
mitbekommen in der alles andere als unüberschaubaren Immobilie. Jetzt,
nachdem der Skandal publik geworden ist, macht Rom Druck; umgehend wurde
die Lagerleitung geschasst.
## Hochnotpeinliche Erklärungen
Die entwürdigenden Duschprozeduren dürften damit erstmal ein Ende haben –
das grundlegende Problem aber ist damit nicht gelöst. Gar nicht
überraschend ist nämlich, dass auch dieser Skandal nur deshalb den Weg an
die Öffentlichkeit fand, weil ein Flüchtling das Geschehen heimlich mit
seinem Handy filmte.
Genauso wurde der Hintergrund der Katastrophe vom 11. Oktober nur deshalb
bekannt, weil einer der Syrer an Bord des schließlich untergegangenen
Schiffes detailliert einem italienischen Journalisten schilderte, wie die
Menschen an Bord von der italienischen Küstenwache stundenlang hingehalten
wurden, bis das Schiff schließlich kenterte. Routine eben – abgeschottet
von der Öffentlichkeit, bis etwas nach außen dringt, bis hochnotpeinliche
Erklärungen notwendig werden und natürlich neue Schwüre unter der
Überschrift Menschenrecht und Menschenwürde.
Kurz: Die Routine einer Flüchtlingsabwehr, die den Ton Richtung
Betroffenheitsmodus gewechselt hat, nicht aber die zynisch-abgeklärte
Substanz.
19 Dec 2013
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Lampedusa
Flüchtlinge
Lampedusa
Lampedusa
Syrische Flüchtlinge
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