| # taz.de -- Frühwarnsystem für Sonnenstürme: Fatale Stromflüsse | |
| > Ein Forscherteam entwickelt ein Warnsystem für Sonnenstürme. Werden diese | |
| > zu heftig, können Satelliten und Kraftwerke ausfallen. | |
| Bild: Farbprächtiges Schauspiel: Sonnenstürme. | |
| Eine neue Art der Wettervorhersage gewinnt in unserer technisierten Welt | |
| immer mehr an Bedeutung. Je mehr Satelliten und Raumsonden die | |
| Kommunikation und Navigation auf der Erde lenken, desto wichtiger wird das | |
| Weltraumwetter. In unserem Teil des Universums wird das Weltraumwetter im | |
| Wesentlichen vom Sonnenwind bestimmt, einem Plasmastrom, der hauptsächlich | |
| aus Protonen, Elektronen und Heliumkernen besteht und mit einer | |
| Geschwindigkeit von 150 bis 300 Kilometern in der Sekunde ständig von der | |
| Sonne in alle Richtungen abströmt. | |
| Dieser Teilchenstrom kann schön anzusehende Polarlichter an den Himmel | |
| zaubern. Ohne unser abschirmendes Magnetfeld wäre er jedoch für alles Leben | |
| auf der Erde tödlich. Kommt es auf der Sonne aber zu gewaltigen Eruptionen, | |
| bei denen große Mengen Plasma ausgestoßen werden, sogenannte koronale | |
| Massenauswürfe, kann aus dem Sonnenwind ein Sonnensturm werden. | |
| Milliarden Tonnen hoch energetischer Teilchen können mit bis zu 3.000 | |
| Kilometern in der Sekunde durchs All katapultiert werden. Trifft ein | |
| solcher Supersturm auf das Magnetfeld der Erde, werden starke Ströme | |
| induziert mit fatalen Folgen. Navigations- und Kommunikationssysteme in | |
| Flugzeugen und Satelliten können gestört werden oder komplett ausfallen, | |
| Transformatoren können durchschmoren und die Stromversorgung für Millionen | |
| von Menschen für längere Zeit lahmlegen. | |
| So geschehen im Herbst 2003, als der sogenannte Halloween Storm einen | |
| mehrstündigen Stromausfall in der südschwedischen Stadt Malmö und einen | |
| Ausfall des europäischen Flugradars auslöste. Auch der Flugverkehr in | |
| Nordamerika wurde stark beeinträchtigt. 28 Satelliten wurden beschädigt, | |
| zwei fielen komplett aus. | |
| ## Gefährliche Dosis | |
| Sonnenstürme können aber auch direkte Auswirkungen auf den Menschen haben. | |
| Für Flugreisende erhöht sich die Belastung durch Röntgen- und | |
| Gammastrahlung deutlich, vor allem bei Flügen in Nähe der Pole. Für | |
| Astronauten im Weltall kann die Strahlendosis sogar lebensgefährlich sein. | |
| Ein internationales Forscherteam unter Leitung der Universität Göttingen | |
| hat jetzt ein Frühwarnsystem für Sonnenstürme namens Advanced Forecast for | |
| Ensuring Communications Through Space (Affects) entwickelt. Das Team um den | |
| Astrophysiker Volker Bothmer wertet dafür die Daten eines ganzen Arsenals | |
| an Satelliten und Raummissionen aus. | |
| Dazu gehören die Nasa-Zwillingssonden Stereo A und B, die im Sekundentakt | |
| hoch auflösende, dreidimensionale Bilder von der Sonne liefern, das Sonnen- | |
| und Heliosphärenobservatorium (Soho), das Solar Dynamics Observatorium | |
| (SDO), das Daten über die Atmosphäre, die Oszillation und das Magnetfeld | |
| der Sonne sendet, und der Kleinsatellit Proba 2, der die Sonnenstrahlung | |
| und das Sonnenplasma in der Magnetosphäre der Erde untersucht. | |
| Auch die internationale Raumstation ISS ist beteiligt. Ihr externes Labor | |
| Solar Monitoring Observatory dient wissenschaftlichen Experimenten zum | |
| Studium der Sonne. Darüber hinaus liefert die ACE-Sonde, die auf einer 1,5 | |
| Millionen Kilometer entfernten Umlaufbahn um die Erde kreist, Messdaten | |
| direkt aus der Teilchenwolke. | |
| ## Eine Stunde für die Auswertung | |
| Die Daten werden von neu entwickelten Analyseprogrammen in nahezu Echtzeit | |
| verarbeitet. Bereits acht Minuten nach einer Sonneneruption wird klar, ob | |
| ein Sonnensturm die Erde erreichen wird oder nicht. So lange benötigen die | |
| ersten Vorboten eines nahenden Sonnensturms, die Röntgenblitze, Flare | |
| genannt, bis zur Erde. Diese entstehen bei jeder Sonneneruption und | |
| schießen mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum. Die eigentliche Analyse | |
| und Vorhersage geht dann recht schnell. | |
| „Mit neuen Modellrechnungen und Simulationen können wir im Verlauf von etwa | |
| einer Stunde nach Auftreten eines Sonnensturms die für die Erde zu | |
| erwartenden Auswirkungen berechnen und realistische Vorwarnungen | |
| herausgeben“, erläutert Bothmer | |
| Möglich ist diese schnelle und präzise Vorhersage, weil die bei einer | |
| Sonneneruption entstehende Plasmawolke besonders hoch energetische Teilchen | |
| auf zehn bis zwanzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und in | |
| einer sogenannten Schockwelle vor sich her treibt. Diese Teilchen, meist | |
| Protonen, legen die 150 Millionen Kilometer von der Sonne bis zur Erde | |
| innerhalb einer Stunde zurück, während die gefährliche Plasmawolke zwischen | |
| 12 und 48 Stunden unterwegs ist. | |
| ## Wechsend starke Sonnenaktivität | |
| Zeit genug, Satelliten umzuleiten, den Flugverkehr einzustellen und | |
| empfindliche Geräte vom Netz zu nehmen. Und das könnte in nächster Zeit | |
| öfter notwendig werden. Denn unsere Sonne wird im Zyklus von elf Jahre | |
| besonders aktiv, die Flecken auf ihrer Oberfläche mehren sich und die Zahl | |
| der Eruptionen steigt. Das Jahr 2013 sollte im derzeitigen Zyklus der | |
| Höhepunkt werden, bislang hält sich die Sonnenaktivität aber in Grenzen. | |
| Nach Meinung von Bothmer können aber auch in einem schwachen Zyklus | |
| plötzlich verheerende Stürme auftreten. | |
| Die Entwicklung des Frühwarnsystems hat rund 2,5 Millionen Euro gekostet. | |
| Der Großteil des Geldes stammt aus EU-Mitteln. Bereits heute greifen mehr | |
| als 30.000 Nutzer weltweit auf die Affects-Daten zu. Diese können im | |
| Internet eingesehen oder einfach per E-Mail empfangen werden. In Göttingen | |
| wird derzeit an einer App für Mobiltelefone gearbeitet. Langfristig plant | |
| Bothmer ein Kontrollzentrum für das Weltraumwetter. | |
| An dem Projekt sind neben der federführenden Universität Göttingen | |
| zahlreiche deutsche und internationale Forschungseinrichtungen und | |
| Unternehmen beteiligt, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in | |
| Neustrelitz, das Fraunhofer Institut in Freiburg und Partner in Belgien, | |
| Norwegen, der Ukraine und den USA. | |
| 26 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Nitz | |
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