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# taz.de -- Nordlicht-Kunst: Der Polarforscher und die Kunst
> Der Husumer Sophus Tromholt versuchte Ende des 19. Jahrhunderts,
> Nordlichter zu fotografieren. Weil das nicht gelang, beschrieb er sie.
> Damit inspirierte er den Künstler Simon Dybbroe Møller, dessen Arbeiten
> jetzt in Hannover zu sehen sind.
Bild: So sieht es aus, wenn ein Ballett eine Nordlicht-Beschreibung tanzt.
Sie nannten das, was sie am Himmel sahen, einen "Tanz der Lichter". Oder
ein "Feuerwerk, wie es sich die kühnste Phantasie nicht herrlicher zu
denken vermag. Der ganze Himmel steht in Flammen." Geschrieben hat das der
Arktisforscher Carl Weyprecht um das Jahr 1873. Weyprecht war einer von
vielen Naturwissenschaftlern, die von den Nordlichtern fasziniert waren,
jenem Leuchten, das an den Polen entsteht, wenn geladene Teilchen des
Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre treffen. Um das Phänomen ergründen,
bauten Weyprecht und seine Kollegen Forschungszentren, beispielsweise in
Bossekop am Altafjord.
Das inspirierte den Schullehrer Sophus Tromholt, der Anfang der 1880er
Jahre seine Sachen packte, um sich nach in die norwegische Kommune
Kautokeino versetzen zu lassen. Tromholt stammte aus Husum und ging nach
Kautokeino, um Nordlichter zu fotografieren. Unterstützt wurde er dabei von
der Kopenhagener Bauerei Carlsberg, deren Gründer ein Jacob Christian
Jacobsen ein Herz für Naturwissenschaftler hatte.
Bei seiner Nordlicht-Fotografie stieß Tromholt schnell an die Grenzen der
Technik. Mit Belichtungszeiten von vier bis sieben Minuten versuchte er
vergeblich, das Leuchten auf die Fotoplatten zu bannen. Also griff er zu
Stift und Papier, um die Naturphänomene zumindest mit Worten festzuhalten.
Was ihm nun späte Aufmerksamkeit im Kunstverein Hannover beschert. Dort
nämlich ist derzeit die Ausstellung "Kompendium" des Künstlers Simon
Dybbroe Møller zu sehen.
Møller haben Tromholts Nordlicht-Beschreibungen in ihrer Unverständlichkeit
an Kritiken von modernem Tanztheater erinnert. Also gab er die
Beschreibungen weiter an eine Ballettgruppe der Staatsoper Hannover mit dem
Auftrag, das, was da steht, in Tanz zu überführen. Møller fotografierte die
Choreografie dann so, wie Tromholt die Nordlichter fotografierte: mit
langer Belichtungszeit.
Im hannoverschen Kunstverein werden die Fotos von zwei Diaprojektoren als
Einzelbildsequenz an die Wand geworfen. Die TänzerInnen tragen lange
Unterwäsche in bunt, sie sind umgeben vom Schweif der langen Belichtung und
heben und hüpfen. "Es entsteht ein Band, das sich aufwärts bewegt" heißt es
in Tromholts Nordlichter-Beschreibung. "Nun zerfällt das Band in vielerlei
Windungen, die sich überlagern, aber sich nicht verdecken". Simon Dybbroe
Møller hat sein Werk "Dance of Light" genannt.
Man könnte diesen Beitrag verstehen als Würdigung eines mäßig erfolgreichen
Wissenschaftlers. Oder als Beleg dafür, dass eine Nordlicht-Beschreibung
nicht plastischer wird, wenn man sie tanzt. Man könnte auch rätselnd vor
dem Werk stehen und den Reiz darin sehen, dass es eine schöne
Hintergrundgeschichte zum Werk gibt. Das alles könnte man tun und läge nie
ganz falsch: Der Künstler Simon Dybbroe Møller, Jahrgang 1976, ist einer
jener Künstler, die auf einem hohen Abstraktionsniveau unterwegs sind. Das
erhöht sowohl die Freiheit als auch die Unverbindlichkeit der Kunst. Aber
soviel lässt sich sagen: Møller verarbeitet gerne vorgefundenes Material
und sucht die Referenzen zu anderen künstlerischen Disziplinen und
Künstlern. Mitunter sucht er auch die Referenzen zu kunsthistorisch nicht
erfassten Leuten wie Tromholt.
Der übrigens musste 34 Jahre alt werden, bis er es schaffte, ein Nordlicht
zu fotografieren. Allein: Es existiert keine Kopie der Aufnahme, schreibt
die Wiener Zeitung. Also wird die erste Nordlicht-Fotografie dem deutschen
Ingenieur Martin Brendel zugeschrieben. Ihr Entstehungsdatum ist der 5.
Januar 1892.
Von Tromholt wird berichtet, dass er, von Erfolglosigkeit beim
Fotografieren gebeutelt, die Nordlichter nicht nur beschrieb, sondern auch
zeichnete. Er hat dann die Zeichnungen abfotografiert und als
Nordlicht-Fotos deklariert. Künstler Simon Dybbroe Møller hat auch daraus
ein Werk gemacht: Er hat die gefakten Nordlicht-Fotos nachkoloriert, in
verschiedene Teile zerlegt und neu zusammen gesetzt. Dabei ist das Zerlegen
und Neu-Zusammen-Bauen eine Reminsszenz an Tromholts Lust, sich
Knobelspiele auszudenken. Gut zu wissen. Das Wissen steigert die Relevanz
von Møllers Tromholt-Fotos enorm.
Sinnlicher wird es, wenn Møller keinen Polarforscher zwischen sich und
seine Kunst schaltet. In einem Raum des hannoverschen Kunstvereins hat er
riesige Eisenstäbe arrangiert wie die Stäbe eines Mikado-Spiels. In einem
anderen Raum hat er die hauseigenen Neonröhren zu Vs geknickt und
ineinander verschlungen aufgehängt - es handelt sich um eine hübsche
Umgestaltung der Verhältnisse vor Ort, um die künstlerische Verfremdung
eines Ortes, an dem es immer um Kunst geht. Møller bleibt bei seinen
Weiterverarbeitungen in der Regel innerhalb des Kunstbetriebs. Der
Naturwissenschaftler Tromholt ist ein kleiner Ausbruch aus der Kunstwelt.
Das nimmt der Møllerschen Kunst zwar das Hermetische, lebt jedoch mehr von
der Idee, als von der Durchführung.
Immerhin sind die Tromholt-Geschichten schön. Wie diese letzte, die Møller
unangetastet ließ: Nachdem er die Sache mit den Nordlicht-Fotos hinter sich
hatte, veröffentliche Tromholt 1889 eine Sammlung von 285 kniffligen
Spielen mit Zündhölzern mit dem Titel "Streichholzspiele". Es war das
weltweit erste Buch, das über Streichholzrätsel und -spiele verfasst wurde.
Das Buch war ein großer Erfolg und erschien zwischen 1889 und 1915 in
insgesamt siebzehn Auflagen. 2007 wurde es neu aufgelegt.
Tromholts Werk aus dem Jahr 1893 dagegen harrt noch einer Neuauflage. Es
hat den Titel "Hundert Schnurrpfeifereien. Anregende und ohne Vorübung oder
umständliche Geräthschaften von jedermann leicht ausführbare Unterhaltungen
für Gross und Klein".
Simon Dybbroe Møller: Kompendium. Bis 17. Mai, Kunstverein Hannover
8 Apr 2009
## AUTOREN
Klaus Irler
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