| # taz.de -- Neuer Tatort-Kommissar Fabian Hinrichs: „Ich brauche Partner, kei… | |
| > Fabian Hinrichs kommt aus einer Polizisten-Familie, wollte aber nie einer | |
| > sein. Jetzt wird er Kommissar im Franken-„Tatort“. Ein Gespräch über | |
| > Hobbits und rote Ampeln. | |
| Bild: Fabian Hinrich bei einer Fotoprobe am Schauspielhaus Hamburg. | |
| Fabian Hinrichs mag nicht gerne fotografiert werden, aber er lässt es über | |
| sich ergehen. Es blitzt, die Leute drehen sich um. Ein Mädchen bleibt vor | |
| dem Café Goldberg in Berlin-Neukölln stehen: „Kommst du ins Fernsehen?“ | |
| Hinrichs: „Manchmal.“ Mädchen: „Ich will auch ins Fernsehen.“ Hinrichs: | |
| „Das würde ich mir noch mal überlegen.“ Am Vorabend lief der Polizeiruf | |
| „Wolfsland“ mit Hinrichs in der Rolle des Aussteigers. Die Kritiken waren | |
| durchwachsen. Hinrichs selbst hat ihn nicht gesehen. | |
| Fabian Hinrichs: Wenn man am Abend vorher im Fernsehen war, dann gucken die | |
| Leute immer so komisch. | |
| sonntaz: Sie haben nicht gerade ein Allerweltsgesicht. | |
| Das sagen Sie, aber ich weiß nicht, ob der durchschnittliche ZDF-Zuschauer | |
| mich erkennen würde. Das Gesicht vielleicht, den Namen eher nicht. Ich habe | |
| mal gehört, dass Thomas Gottschalk auf einem Flughafen zur Toilette musste, | |
| weil er Durchfall hatte. Das hat natürlich Geräusche gemacht. Und | |
| irgendeiner hat durch die Tür gerufen: „Mensch Tommy, da hast du wohl was | |
| Falsches gegessen.“ Das stelle ich mir furchtbar vor. In Deutschland sind | |
| die Gagen nicht so hoch, dass man sich komplett abschotten könnte. Durch | |
| abgeschiedene Anwesen mit hohen Mauern. Jeder kennt einen, aber man kommt | |
| nicht weg. Das kann unangenehm werden. | |
| Würden Sie denn gerne hinter Mauern leben? | |
| Nein. Aber ich bin nicht Schauspieler geworden, um auf der Straße erkannt | |
| zu werden. Jammere aber auch nicht, wenn es passiert. George Clooney wird | |
| nirgends ein Bier trinken können. Das wäre nichts für mich. | |
| Sind Sie bewusst in eine Stadt wie Berlin gezogen, damit Sie weniger | |
| auffallen? | |
| Als ich nach Berlin kam, kannte mich ja kein Schwein. Ich war | |
| Schauspielstudent und habe das Stück „Paul und Paula“ mit Leander Haußmann | |
| an der Volksbühne gemacht. Ich habe mir damals nicht klar die Frage | |
| gestellt, was ich werden will. Vor der Schauspielerei habe ich Jura | |
| studiert, aber das hat mich irgendwann nicht mehr befriedigt. Schauspieler | |
| zu werden war wohl eher der Versuch der Vermeidung einer Berufswahl. Berufe | |
| an sich finde ich absurd. | |
| Warum das? | |
| Es ist ja meistens Erwerbsarbeit oder Selbstverwirklichung. Wobei auch die | |
| penetrante Selbstverwirklichung eine Sklaverei ist. Als Drittes gibt es das | |
| große Glück, dass man seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt, nicht nur aus | |
| Interesse. | |
| Als Schauspieler müssen Sie sich nicht festlegen. Letzte Woche spielten Sie | |
| im „Polizeiruf“ einen Tierschützer, nächstes Jahr werden Sie | |
| „Tatort“-Kommissar. | |
| Das stimmt. Ich habe eine einigermaßen große Freiheit erreicht. Doch jede | |
| Freiheit hat eine Kehrseite: Wenn ich einen Film drehe, bin ich vielleicht | |
| sechs Wochen unterwegs. In dieser Zeit ist man nahezu versklavt. Man lebt | |
| nur für den Film. Auch das kann schön sein, aber nicht, wenn man nach Hause | |
| will. Und ich will mehr Zeit mit der Familie verbringen, nächstes Jahr | |
| werde ich Vater. Das Reisen erlebe ich mittlerweile als Schattenseite | |
| meines Berufs. Früher war das anders. Heute genieße ich es, monatelang zu | |
| Hause zu sein, ohne zu arbeiten, höchstens ein wenig zu studieren | |
| vielleicht. | |
| Sie studieren? | |
| Bis vor Kurzem habe ich Politik studiert, musste aber abbrechen, weil das | |
| ein Präsenzstudium ist. Das ging einfach nicht mehr. Jetzt bin ich für | |
| Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Geschichte und Philosophie | |
| eingeschrieben. | |
| Der Kellner, runder Hut zu rundem Bauch, klimpert mit Tassen und Tellern. | |
| Hinrichs stockt kurz, schaut zu ihm rüber. | |
| Der Kellner kam mir gleich so grob vor. Sind Sie Hutträger? | |
| Nein, ich trage nur Mützen. | |
| Ich finde Hutträger komisch. | |
| Warum? | |
| Wenn man nicht irgendeine Kopfverletzung hat, sind Mützen und Hüte so ein | |
| Modeding, ein Accessoire. Hutträger haben heutzutage meistens etwas | |
| Prätentiöses. Ich hab mir auch mal einen gekauft, als ich ganz jung war. | |
| Den habe ich aber nie getragen. Einen Panamahut aus Mittelamerika – völlig | |
| bescheuert. | |
| Der Hutträger kommt und räumt das alkoholfreie Bier ab. Hinrichs bestellt | |
| ein Wasser, das er etwa eineinhalb Stunden später bekommt. Er sei | |
| schüchtern, sagt er. Gegen die Schüchternheit redet er an. | |
| Wissen Sie schon etwas über Ihre Figur im neuen Franken-„Tatort“? | |
| Die wird gerade entwickelt. Viel kann ich darüber nicht sagen. Das wäre zu | |
| früh. Ich wurde schon ein paarmal gefragt, ob Konrad Wagner – falls das | |
| wirklich der Rollenname sein wird – brutal oder lustig sein wird. Es gibt | |
| offenbar nur diese beiden Seiten. Aber die Schauspielerei hat meiner | |
| Ansicht nach nicht unbedingt etwas mit der Arbeit eines Kochs zu tun. Man | |
| kann nicht einfach ein paar Zutaten zusammenrühren wie bei einem Rezept – | |
| und am Ende kommt ein Charakter raus. Davon halte ich nicht viel. | |
| Viele Zuschauer assoziieren Sie mit der Rolle des Gisbert Engelhardt im | |
| München-„Tatort“ „Der tiefe Schlaf“. Ein nervig-nerdiger Charakter, der | |
| nach einer Stunde stirbt. Im Anschluss formierte sich eine Art digitaler | |
| Widerstand bei Facebook und Twitter. Glauben Sie, dass Ihnen der | |
| Internet-Hype die Rolle im „Tatort“ verschafft hat? | |
| Nein. Ich habe ja nun schon ein paar Filme gemacht. Ich freue mich sehr | |
| darüber, aber mein Leben wäre auch ohne den „Tatort“ weitergegangen. | |
| Haben Sie sich wenigstens gebauchpinselt gefühlt? | |
| Ich habe mich gefreut. Es gibt die Möglichkeit, über eine längere Zeit eine | |
| Rolle zu entwickeln. Der „Tatort“ ist hier die einzige grundsätzlich | |
| anspruchsvolle Reihe, die ich kenne, in der das möglich ist. Natürlich ist | |
| die Erzählstruktur eher konservativ und nicht wie in den amerikanischen | |
| HBO-Serien avantgardistisch. Das wird in Deutschland noch dauern. Wobei ich | |
| das auch kaum noch hören kann, dass die amerikanischen Serien so toll | |
| seien. Wenn jedes dritte Wort „fuck“ ist, mag das in Detroit in Ordnung | |
| sein. In Wuppertal muss man sich was anderes einfallen lassen, sonst wirkt | |
| es bemüht. Da stellt sich die Frage: Was ist die deutsche Identität? Oder | |
| die süddeutsche, die norddeutsche. | |
| Sie sind gebürtiger Hamburger und leben in Berlin. Jetzt werden Sie | |
| „Tatort“-Kommissar in Nürnberg. Lokalkolorit bringen Sie nicht mit. | |
| Aus familiären Gründen kenne ich mich mit der Polizei ganz gut aus. Und da | |
| ist es so wie in vielen Berufen: Wenn eine interessante Position winkt, | |
| wechselt man die Stadt. Es ist zwar noch nicht klar, woher mein Kommissar | |
| stammt, einen Franken werde ich aber nicht spielen. Für den Film wird es | |
| von Vorteil sein, denke ich. Man kann die Eigenarten der Region durch meine | |
| Fremdheit deutlicher zeigen. Frank-Markus Barwasser – mein Kollege im | |
| Ermittlerteam – ist Franke und der Kontrast wird größer, wenn ich von | |
| außerhalb komme. | |
| Sie kommen aus einer Polizisten-Dynastie: Großvater, Vater, Bruder – alles | |
| Polizisten. Sprechen Sie in der Familie über Ihre Rolle? | |
| Ehrlich gesagt rede ich mit ihnen überhaupt nicht darüber. Vielleicht mache | |
| ich das mal. Ich finde es pikant und nicht unlustig, dass ich jetzt auch | |
| Polizist bin. Mittlerweile bin ich ja der Meinung, dass es die Polizei | |
| geben muss. Wenn meine Frau ermordet werden würde, würde ich auch wollen, | |
| dass der Täter gefasst wird. | |
| Mittlerweile? Wie haben Sie die Polizei früher gesehen? | |
| Naja, es gab und gibt Fragen, die ich mir gestellt habe und die ich mir | |
| stelle. Was ist der Staat und warum muss es ihn geben. Und wie darf der | |
| Schutz eines Staates aussehen. Ein Beispiel, das jeder kennt: Es gibt | |
| Menschen, die nachts um drei an einer roten Fußgängerampel stehen bleiben, | |
| obwohl kein Auto weit und breit zu sehen ist. Wer dort steht und auf Grün | |
| wartet, hat meist eine komische Vorstellung vom Staat als Ordnungsmacht. | |
| Sie wollten die Familientradition also nicht fortführen. | |
| Nein. Im richtigen Leben wollte ich nie Polizist werden. Umso mehr freue | |
| ich mich jetzt, es machen zu können, ohne es wirklich machen zu müssen. | |
| Gibt es Rollen, die Sie nicht spielen würden? | |
| Darüber müsste ich nachdenken. Ich habe kürzlich ein Interview mit einer | |
| Schauspielerin aus dem Film „Blau ist eine warme Farbe“ gelesen. Das war | |
| furchtbar. Die vertritt eine Auffassung vom Schauspielberuf, die ich fatal | |
| finde. Ich will das Interview einscannen und ein paar befreundeten | |
| Schauspielern und Regisseuren schicken. | |
| Was hat sie Schlimmes gesagt? | |
| Es geht in dem Film anscheinend um ein lesbisches Paar. Und es gibt wohl | |
| eine zehnminütige Sexszene, in der die beiden Latexschamlippen über ihren | |
| echten hatten, damit die dann da rumlecken können. Das finde ich schon so | |
| bizarr, dass ich das niemals machen würde. Der große Peter O’Toole ist vor | |
| ein paar Wochen verstorben, „a decent man in a decent job“. Ich kann mir | |
| nicht vorstellen, dass der je an Latexschamlippen rumgeleckt hat. | |
| Jedenfalls haben die zehn Tage an dieser zehnminütigen Sexszene gedreht. | |
| Der Regisseur kann nur ein Schwein sein, auch wenn ich den gar nicht kenne. | |
| Das ist so manipulativ und bescheuert. Ich würde ihm sofort eine knallen. | |
| Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Er ist ein Filmregisseur. | |
| Mittlerweile gibt die Schauspielerin auch Interviews, in denen sie sagt, | |
| wie peinlich ihr das im Nachhinein ist. | |
| Dann hätte sie vielleicht vorher darüber nachdenken sollen. | |
| Wenn sich Extrovertiertheit mit Dummheit paart, entsteht eine üble | |
| Mischung. Aber wenn Menschen das gerne gucken und die Leute es gerne | |
| herstellen – meinetwegen. Nur besser ohne mich. Ich brauche immer Partner, | |
| keine Chefs. | |
| Wer ist ein guter Partner für Sie? | |
| Am Theater bin ich mit René Pollesch sehr produktiv, der größte | |
| Theaterautor, den wir haben. Als nächstes wollen wir die „West Side Story“ | |
| umschreiben. Grundsätzlich mag ich es nicht, wenn mir ein riesenhaftes Ego | |
| gegenübersteht, das mir zubrüllt: „Mehr Schmerz!“ Das sollte ein | |
| Schauspieler selber wissen. Wenn es eine gute Zusammenarbeit ist, dann gibt | |
| es keine Kämpfe. Ich habe dieses Gesicht, diese Stimme und diese Bewegung. | |
| Da geht dann noch plus/minus 20 Prozent. Mehr nicht. Bei jedem. | |
| Sind Sie eitel? | |
| Das wird über Schauspieler und von Schauspielern gern behauptet, aber ist | |
| mir zu allgemein. Es gibt wohl verschiedene Formen der Eitelkeit. Was mein | |
| Äußeres betrifft, bin ich weniger eitel als früher. Wenn ich aber etwas | |
| mache, was mir wirklich am Herzen liegt, treffen mich schlechte Kritiken. | |
| So gesehen bin ich eitel. Ich müsste mal über den Begriff „Eitelkeit“ | |
| nachdenken. Ich gehe ja in die Öffentlichkeit. Es geht dabei aber wohl eher | |
| darum, überhaupt jemanden zu erreichen. Und diesen Versuch würde ich mit | |
| dem Begriff „Eitelkeit“ belegen. | |
| Im Theater spielen Sie verstärkt Solostücke. Haben Sie dort mehr Kontrolle | |
| als beispielsweise im „Tatort“? | |
| Das sind unterschiedliche Berufe. In dem Theater, wie ich es betreibe, wird | |
| keine kontingente Geschichte erzählt. Es gibt also keine Erzählung in Form | |
| eines konventionellen Drehbuchs wie beim Film. Im „Tatort“ zum Beispiel | |
| muss der Fall gelöst werden, jeden Sonntagabend. Und das ist auch eine | |
| Gewissheit für den Zuschauer, der vor dem Fernseher sitzt. Egal, wie | |
| unsicher meine eigenen Verhältnisse sind, egal, wie es um meinen | |
| Arbeitsplatz steht, um meine Gesundheit, meine Ehe – der Fall wird gelöst. | |
| Mittlerweile gibt es 21 „Tatort“-Teams. Die „Süddeutsche Zeitung“ frag… | |
| vor einem Jahr: „Soll also die deutsche Gegenwart tagein, tagaus durch | |
| Kommissare erzählt werden, die auf eine jeweils regionale Wasserleiche | |
| starren?“ | |
| Natürlich: Gäbe es nicht so viele Krimis im deutschen Fernsehen, dann gäbe | |
| es auch nicht die Lust, diese Sendungen medial zu zerfleischen. Viele | |
| Tatorte sind tolle Filme, viele nicht. Redaktion, Drehbuch, Regie und | |
| Schauspiel sind sehr unterschiedlich. Und mit unserem Team und dem Sender | |
| bin ich sehr glücklich. Es geht also eher darum, ob ein Film innerhalb der | |
| Genregrenzen gut oder schlecht ist. Es ist billig, sich als | |
| Filmverständigen zu markieren, indem man sagt: Ich liebe Francois Truffaut, | |
| ich liebe Jean-Luc Godard. Ich bedauere solche Leute. | |
| Welche Filme mögen Sie? | |
| Ich bewundere beispielsweise Ingmar Bergmann, ich kenne viele seiner Filme, | |
| und dennoch ist „Die Nackte Kanone“ einer der größten Filme, die ich jema… | |
| gesehen habe. Ich war gerade gestern im Kino, in „Hobbit 2“. Das ist, etwas | |
| provokant formuliert, wagnerische Überwältigungskunst, also mit dem ganz | |
| dicken Pinsel gezeichnet, Zwischentöne wird man da vergeblich suchen. Der | |
| „Hobbit“ ist eher wie Heavy Metal. Und ich mag Heavy Metal. | |
| Hinrichs wird lauter, seine Wangen bekommen dieses Heidi-Alm-Rot, das man | |
| aus dem Fernsehen kennt. Die Leute an den Nachbartischen schauen kurz | |
| rüber. Ihm ist das unangenehm. Fabian Hinrichs flüstert jetzt. | |
| So etwas wie den „Hobbit“ kann in Deutschland keiner machen. Und nicht nur, | |
| weil wir nicht das Geld dafür haben und keinen internationalen Markt für | |
| die meisten unserer Filme. Ich würde behaupten, dass hier keiner weiß, wie | |
| so etwas geht. Und es gibt Serien und Filme aus Skandinavien, mit denen | |
| sich die meisten heimischen Produktionen nicht messen können. Da kann man | |
| dann mit Hölderlin kommen: „Handwerker siehst du, aber keine Menschen.“ | |
| Wir Deutsche machen tolle Waschmaschinen und Autos. Aber wir haben keine | |
| ausdifferenzierte Populärkunst. Das heißt nicht, dass hier nur Idioten | |
| rumlaufen. Aber wenn man am Samstagabend Fernsehen schaut, dann ist das | |
| krass und beklemmend. Und dann kommt Barbara Schöneberger und sagt, sie | |
| findet Volksmusiksendungen voll okay, weil die Leute das sehen wollen. Das | |
| ist zynisch. | |
| 28 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Drutschmann | |
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