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# taz.de -- Streit um jüdisches Erbe: Verbrauchermarkt frisst Geschichte
> Die südliche Altstadt von Bremervörde soll mit einem Verbrauchermarkt
> überbaut werden. Noch steht dort ein Haus aus einst jüdischem Besitz.
Bild: Droht jüdische Geschichte zu verdrängen: Nicht alle Menschen in Bremerv…
BREMERVÖRDE taz | Wenn die Lehrerin Petra Fischer und der ehemalige Lehrer
Klaus Volland durch die Innenstadt von Bremervörde schlendern, werden sie
oft gegrüßt. Mancher bleibt stehen und wechselt mit ihnen das eine und
andere Wort. Andere erkennen sie zwar, gehen oder radeln aber schnell
weiter. „Ich war hier lange so etwas wie der Bürgerschreck“, sagt Klaus
Volland. Er klingt, als wäre es ihm nicht unrecht.
Dass beide heute stadtbekannt sind, dürfte daran liegen, dass sie sich mit
der NS-Geschichte Bremervördes beschäftigten, als das noch als störend
galt: Fischer hat einen Stadtrundgang zur jüdischen Geschichte der Stadt
erarbeitet, der sich mittlerweile aber einiger Beliebtheit erfreut. Volland
wiederum hat gegen viel Widerstand dafür gesorgt, dass die Baracken des
nahe gelegenen ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag Sandbostel nicht
abgerissen wurden. Heute bilden sie das Fundament einer Forschungs- und
Gedenkstätte, auf die man in Bremervörde plötzlich nicht wenig stolz ist.
## Jüdisches Erbe
Von daher war es nur konsequent, dass bei beiden die Alarmglocken läuteten,
als bekannt wurde, dass im südlichen Teil der Bremervörder Innenstadt ein
Haus abgerissen werden soll, um Platz für einen neuen
Famila-Verbrauchermarkt zu schaffen: das Haus in der Bremer Straße mit der
Hausnummer 14. Denn das um etwa 1840 erbaute Haus wurde 1909 von dem
jüdischen Kaufmann Joseph Salomon erworben. Der betrieb nahe der Stadt
Landwirtschaft und Viehzucht, hielt im Ersten Weltkrieg als Soldat fürs
Kaiserreich die Knochen hin.
Doch das zählte spätestens nicht mehr, als im 1932 Adolf Hitler in der
Bremervörder Markthalle vor 20.000 Zuhörern eine Rede hielt. Salomon verlor
nach und nach all seinen Besitz, musste schließlich auch das Haus in der
Bremer Straße 14 weit unter Wert verkaufen. Er konnte mit seiner Familie in
die USA entkommen, seinen beiden Schwestern gelingt dies nicht. An sie,
aber auch an die anderen, insgesamt 41 Bremervörder Juden erinnert
mittlerweile eine Gedenktafel am Rathaus – nicht aus städtischem Antrieb
heraus, sondern weil Klaus Volland keine Ruhe geben wollte.
Nun also soll das letzte Zeugnis der jüdischen Geschichte Bremervördes
verschwinden. Petra Fischer und Klaus Volland sind entschlossen, das zu
verhindern. Anfangs standen sie mit ihrem Ansinnen keinesfalls allein. Denn
als die Abrisspläne durchsickerten, residierte in dem Haus noch die
Gaststätte „Alt Bremervörde“, die sich in den letzten Jahren zu einem
Treffpunkt gerade für junge Bremervörder entwickelt hatte. 3.000
Bremervörder Bürger unterschrieben einen Aufruf der frisch gegründeten
Bürgerinitiative für den Erhalt des „Alt“.
Stadt und Investor, die ostfriesische Bünting-Gruppe, boten daraufhin den
Betreibern der Kneipe einen recht ordentlichen Ersatz zwei Straßenecken
weiter an. Nun residiert das „Alt“ seit dem Sommer in einem putzneuen
Gebäude – und die Bürgerinitiative hatte über Nacht ein entscheidendes
Argument verloren: „Die Bevölkerung ist abgesprungen, die Bevölkerung geht
lieber einkaufen“, sagt Klaus Volland und versucht, dabei nicht allzu
grummelig zu klingen.
„Ich bin damals davon ausgegangen, dass sich die Bürgerinitiative
zurückzieht, aber dem war mitnichten so“, sagt Kurt Koopmann, der Baurat
der Stadt. Denn das Haus mit der Nummer 14, das nun mittlerweile leer
stehend der Dinge harrt, ist auch ansonsten ein besonderes Objekt: Es ist
ob seiner Fachwerk- und seiner Dachkonstruktion im sogenannten
„Gestaltungsleitfaden zum Sanierungsprojekt Innenstadt Süd“ aufgelistet und
dort als „stadtbildprägend“ definiert.
## Freie Verpflichtung
Diesen Leitfaden hat sich die Stadt Bremervörde für ihren Altstadtkern
selbst auferlegt. Und auch wenn er nicht die gesetzliche Kraft eines
Bebauungsplanes hat, so können seine Vorgaben doch nicht einfach ignoriert
werden. „Wir müssen uns nun fragen, was ist wichtiger: der Erhalt dieses
stadtbildprägenden Gebäudes oder aber die Weiterentwicklung unserer
südlichen Innenstadt?“, fragt Koopmann.
Dabei stemmen sich Volland, Fischer und Co. keinesfalls per se gegen den
Bau des Verbrauchermarktes: Sie möchten nur das Salomon’sche Haus erhalten
wissen und haben dazu den Vorschlag, den Markt baulich so zu gestalten,
dass es stehen bleiben und etwa als Café genutzt werden kann. Doch das
Unternehmen Bünting winkt ab: Es brauche Platz, um seine Waren reibungslos
anzuliefern. Und allein die Sanierung des ehemaligen „Alts“ würde nach
ersten Schätzungen rund 460.000 Euro kosten. „Erhalten kann man das Haus
aus unserer Sicht nicht; da gibt es keinen Kompromiss, der für uns
funktioniert“, sagt Matthias Adler, Expansionsleiter der Bünting-Gruppe.
„Eine Sanierung des Hauses lässt sich wirtschaftlich nicht darstellen“, so
formuliert es Koopmann. Und die Geschichte des Hauses? Adler hat kein
Problem damit, mittels einer Gedenktafel an die Familie Salomon zu
erinnern: „Den historischen Wert des Gebäudes erkennen wir an.“
Doch neben dem Geschichtsverlust stört sich die Bürgerinitiative auch an
der Optik des geplanten Neubaus: eine massige, mit Blindfenstern
durchsetzte Fassade, die sich künftig entlang dreier Straßen ziehen wird.
Koopmann hat da eine Idee, die beim zukünftigen Bauherren viel Anklang
gefunden habe: Kunst soll die Fassadenflächen auflockern; Kontakte zur
Kunsthochschule im benachbarten Ottersberg bestünden schon.
Und so könnte das Prozedere folgendermaßen verlaufen: Anfang März könnte
der Stadtentwicklungsausschuss einen geänderten Auslegungsplan beschließen
und das Haus wäre dann auf dem Papier schon mal überplant. Im Lauf des
April erfolgt die öffentliche Auslegung: Die Bürger können die Baupläne
einsehen. In der Ratssitzung am 22. Juli dürfte dann eine Beschlussfassung
vorliegen, die die Parteienvertreter fragt, ob dem Abriss zugestimmt werden
soll oder auch nicht. Gleichzeitig würde der städtebauliche Leitfaden
geändert: Das Haus würde dann per Beschluss seine bisherige
stadtbildprägende Funktion verlieren; einem Abriss stände nun nichts mehr
im Wege.
## Verbündete gesucht
So steht die kleine Bürgerinitiative um Klaus Volland und Petra Fischer vor
keiner beneidenswerten Aufgabe: Sie muss in den nächsten sechs Monaten
unter den Bremervördern wieder Gehör finden; sie muss besonders innerhalb
der Parteien Mitstreiter gewinnen. CDU und SPD haben sich bislang
zurückhaltend geäußert. Auch vonseiten der Bremervörder Grünen ist derzeit
kein allzu ausuferndes Engagement zu erkennen; die Partei Die Linke ist in
der Stadt gar nicht erst vertreten. Lediglich die allein in Bremervörde
beheimatete Formation „Pro BRV“, die seit der Kommunalwahl 2011 mit vier
Sitzen im Stadtrat vertreten ist, signalisiert Klärungsbedarf und bietet
der Bürgerinitiative ein Forum, um ihre Einwände vorzutragen.
Die gewinnen vor dem bisherigen Umgang der Stadt mit ihrem baulichen Erbe
an Gewicht. Die anfangs recht lose Bürgerformation bekam klare Strukturen,
als in Bremervörde immer mehr Altbauten verschwanden und als sich besonders
im Jahr 2000 der Streit um die historische Markthalle zuspitzte: Die sollte
weichen, um Parkplätze zu schaffen. Heftige Proteste waren die Folge. Die
Bürger standen schon bereit, um mit ihren Autos die Halle zu blockieren,
als ihnen der Bürgermeister versprach, dass so schnell nichts passieren
werde. Doch als sie am nächsten Morgen aus ihren Betten stiegen, hatte der
Abrissbagger ganze Arbeit getan. Petra Fischer sagt: „Was damals passiert
ist, hat viele geprägt.“
30 Dec 2013
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Geschichte
Judentum
Drittes Reich
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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