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# taz.de -- Verzögerte Lehrerprüfung: Befangenheit ja, Diskriminierung nein
> Einer aus Aserbaidschan stammenden Referendarin wird die Exams-Teilnahme
> und damit der Eintritt in den Schuldienst verwehrt. Vor Gericht
> erstreitet sie eine Nachprüfung – die auf sich warten ließ
Bild: Auf dem "langen Weg vom Asylbewerberheim ins Lehrerzimmer" gestoppt: Leyl…
HAMBURG taz | Zuerst lief alles glatt. Leyla N., 1998 aus Aserbaitschan
nach Deutschland eingewandert, wurde als politischer Flüchtling anerkannt,
erwarb die deutsche Staatsbürgerschaft und absolvierte ein Lehramtsstudium,
das sie an der Universität Flensburg mit der Note 2,8 im ersten
Staatsexamen erfolgreich abschloss. Bereits 2010 wurde ihr eine
Lehrerinnenstelle an der Haupt- und Realschule Bruchhausen-Vilsen zugesagt,
vorausgesetzt sie bestehe das Zweite Staatsexamen.
Hier nun endet die Geschichte der erfolgreichen Integration einer
Migrantin: Die Stelle konnte die heute 45-Jährige, die inzwischen in
Nienburg an der Weser lebt, nicht antreten. Kurz vor dem Ziel wurde ihr die
Abschluss-Prüfung zum Zweiten Staatsexamen verwehrt. Der Hauptgrund: Das in
Hildesheim ansässige „Niedersächsische Institut für schulische
Qualitätsentwicklung“ (NLQ) bewertete eine schriftliche Examensprüfung als
„mangelhaft“. „Auf dem langen Weg vom Asylbewerberheim ins Lehrerzimmer
wurde ich auf den letzten Metern gestoppt“, sagt Leyla N. dazu.
## „Russische Babuschka“
Seit gut zwei Jahren kämpft die in Baku geborene Frau vor Gericht um die
Korrektur der Benotung, die ihr den Weg in den Schuldienst versperrt und
der nach ihrer Auffassung „eine Diskriminierung aufgrund meiner Herkunft“
zugrunde liegt. So erinnert Leyla N., die hervorragend Deutsch spricht,
dass eine ihrer Prüferinnen behauptet habe, man könne sie ja kaum verstehen
und sich zudem darüber mokierte, dass sie lieber Röcke als Hosen trage.
Auch im Schulalltag fühlte sich die Referendarin oft herabgewürdigt, etwa
von einem Kollegen, der sie als „russische Babuschka“ bezeichnete.
Vor Gericht erzielte die alleinerziehende Mutter bislang immerhin einen
Teilerfolg. Ende September entschied das Verwaltungsgericht Hannover, dass
eine der Mangelhaft-Beurteilungen ihrer Examensarbeit nicht haltbar sei.
Richter Uwe Wagstyl stellte fest, dass die zuständige NLQ-Prüferin
„mehrfach bestimmte Ausführungen in der Hausarbeit nicht zur Kenntnis
genommen“ und damit die Arbeit falsch bewertet habe. „In den Formulierungen
der Prüferin“ gebe es „zwar Anhaltspunkte für eine Befangenheit (...), ab…
keine Anhaltspunkte für eine Diskriminierung wegen der Herkunft“, wischte
Wagstyl den Rassismusvorwurf allerdings vom Tisch.
Ein unabhängiges Gutachten über die Benotung spricht da eine andere
Sprache. So kommt die Erziehungswissenschaftlerin Mechthild Gomolla von der
Hamburger Universität zu dem Schluss, bei der Bewertung der Arbeit von
Leyla M. seien „gegen ihre Person gerichtete negative Vorbehalte und eine
Verkettung von Versäumnissen und aversiven Handlungen zum Tragen“ gekommen,
„die man kaum anders als als Diskriminierung bezeichnen kann“. Die
Kulturwissenschaftlerin Ildikó Klein-Bednay von der Universität Münster
nahm sich die offiziell als mangelhaft eingestufte Hausarbeit von Leyla N.
ebenfalls gutachterlich vor und bewertete sie mit einer 2+.
## Urteil verschleppt
Als Konsequenz aus der Fehlbenotung legte das Gericht im September fest,
dass „die Beurteilung durch einen anderen Prüfer, der bislang nicht am
Prüfungsverfahren beteiligt war, neu erstellt werden muss“. Das ist auch
dreieinhalb Monate nach dem Gerichtsbeschluss nicht geschehen, die
Nachprüfung wurde noch nicht einmal beauftragt.
Anfang dieser Woche hat sich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
eingeschaltet und das Kultusministerium aufgefordert, „die Überprüfung der
Hausarbeit alsbald“ zu veranlassen, um dem Eindruck entgegenzuwirken, „dass
ausländische Lehrkräfte in Deutschland nicht erwünscht sind“. Nun folgte
die Kehrtwende: Das Niedersächsische Kultusministerium und das Hildesheimer
Institut sagten Mitte der Woche zu, das gerichtlich angemahnte Gutachten
„in Kürze“ in Auftrag zu geben.
Damit steht die Tür zum Eintritt in den Schuldienst wieder einen Spalt
offen für Leyla N. Die streitbare Frau betont: „Ich kämpfe um meine
persönliche Lebensplanung, und ich will auch beweisen, dass Migrantinnen
nicht nur Pizza backen, sondern auch akademische Berufe ergreifen können.“
9 Jan 2014
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Schule
Lehrerausbildung
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