# taz.de -- Massengrab in Bosnien-Herzegowina: „Jeder weiß, was damals passi… | |
> Mehr als 400 Leichen sind bis jetzt aus einem Massengrab in der Gemeinde | |
> Prijedor geborgen worden. Doch niemand will etwas gewusst haben. | |
Bild: Forensische Experten am Massengrab, aus dem Hunderte Leichen geborgen wur… | |
PRIJEDOR taz | Gegenwärtig stehen die Bagger in dem größten Massengrab in | |
Europa nach dem Zweiten Weltkrieg still. Das Team der International | |
Commission of Missing Persons (ICMP) möchte aber dennoch so schnell wie | |
möglich weitere Tote aus dem Massengrab in Tomasica in Westbosnien bergen. | |
Bisher wurden 430 Ermordete aus dem Konzentrationslager Keraterm und aus | |
den Dörfern der Umgebung der Gemeinde Prijedor, die 1992 hier von den | |
serbischen Behörden verscharrt worden waren, geborgen. Es geht dabei | |
generell um die nichtserbischen Opfer der sogenannten „ethnischen | |
Säuberungen“ in der Region Westbosnien, vor allem um Bosniaken und Kroaten. | |
Mit welcher Brutalität und Grausamkeit die serbischen Behörden damals | |
vorgegangen sind, liest Eldar Jahic, Staatsanwalt aus Bosnien und | |
Herzegowina, aus der Geschichte des Grabes ab. Nicht alle Leichen waren | |
vollständig, sondern einige nur in Teilen erhalten. Die Staatsanwaltschaft | |
sieht darin den Beleg, dass die Toten 1993 zuerst an einer ganz anderen | |
Stelle verscharrt wurden. | |
„Das können wir über DNA-Analysen, die im ICPM-Zentrum in Sanski Most | |
vorgenommen werden, beweisen, denn diese Personen haben wir schon nach den | |
Ausgrabungen in anderen Massengräbern identifiziert“, sagt Jahic. „Wir | |
haben jetzt aber in Tomasica weitere 375 vollständige Leichen gefunden.“ 10 | |
Meter Meter tief mussten die Bagger graben. | |
## 800 Personen werden vermisst | |
Bisher sind die Opferverbände von 3.267 Opfern der „ethnischen Säuberungen�… | |
in der damals 100.000 Einwohner zählenden Gemeinde Prijedor ausgegangen. | |
Diese Zahl hat sich jetzt um 375 erhöht, weiterhin werden rund 800 Personen | |
vermisst. Sudbin Music, als 18-Jähriger selbst Insasse des | |
Konzentrationslagers Trnopolje, kam in den vergangenen Wochen fast jeden | |
Tag hierher. Das Mitglied der Opferorganisation Prijedor 92 gehört zu den | |
knapp 10.000 Bosniaken und Kroaten, die nach dem Krieg nach Prijedor | |
zurückgekehrt sind. Er hat vor wenigen Tagen einen Nachbarn aus seinem Dorf | |
Carakovo wiedererkannt. Music ist erschüttert. | |
Viele der Toten kommen aus seinem Dorf, das am 23. Juli 1992 von serbischen | |
Truppen eingekreist worden war. Hunderte Männer des Ortes, allesamt | |
Zivilisten, wurden damals sofort erschossen, andere Männer, auch Frauen und | |
Kinder, in die Konzentrationslager gebracht. Mirsad Duratovic überlebte das | |
Konzentrations- und Tötungslager Omarska. Die erste Leiche, die jetzt | |
geborgen wurde, war sein Vater. Insgesamt sind damals 10 Mitglieder seiner | |
Familie ermordet worden. | |
## Politiker leugnen | |
Das Massengrab liegt auf einer Anhöhe oberhalb einer Siedlung, die zu dem | |
Bergwerkskomplex und dem gleichnamigen Dorf Tomasica gehört. Anwohner | |
schütteln nur mit dem Kopf, wenn man sie auf die Vergangenheit anspricht. | |
Sie hätten nichts von dem Massengrab gewusst, erklären sie. In der Gemeinde | |
Prijedor, die jetzt vor allem von Serben bewohnt ist – vor 1992 stellten | |
die Serben 42 Prozent der Bevölkerung – will kaum jemand über das | |
Massengrab sprechen. | |
Nach wie vor leugnen Politiker und Medien die Ereignisse von damals. In | |
Prijedor gab es keinen Krieg. Im April 1992 übernahmen serbische | |
Nationalisten die Stadtverwaltung und begannen sogleich, die nichtserbische | |
Bevölkerung zu terrorisieren. Die Toten sind Opfer eines systematisch | |
durchgeführten Verbrechens. Aber genau das will heute niemand wahrhaben, | |
obwohl einige der verantwortlichen Täter vor dem Kriegsverbrechertribunal | |
in Den Haag gerade deswegen abgeurteilt worden sind. | |
„Jeder hier weiß, was damals passiert ist“, sagt der serbische | |
Psychologieprofessor Srdjan Puhalo, der öffentlich die Selbstlügen geißelt. | |
Er fordert von den Politikern, endlich ihr Schweigen zu brechen. „Wie soll | |
der kleine Mann darüber sprechen, wenn die Politiker schweigen und | |
leugnen?“ Der Bürgermeister der Stadt, Milan Pavic, erklärte gegenüber der | |
taz, er wolle „nur über die Zukunft, nicht jedoch über die Vergangenheit | |
sprechen“. Scharf lehnte er es ab, von einem „Genozid an Bosniaken und | |
Kroaten“ zu sprechen, wie dies die Opferbände fordern. | |
17 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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