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# taz.de -- Hundeschlittenrennen bei Minus 50 Grad: Der Hase, den die Meute het…
> Eisstürme und menschenleere Wildnis: Der Yukon Quest, auf 1.600
> Kilometern zwischen dem Yukon Territory und Alaska, gilt als härtestes
> Rennen der Welt.
Bild: Die Schlittenhunde sind die eigentlichen Stars des Rennens.
„Es hörte sich an, als ob die Saite einer Violine gesprungen sei“, wird
sich Hans Gatt später erinnern. „Der metallische Ton hallte noch ewig in
meinem Kopf nach und ich konnte den Haarriss unter meinem Schlitten
förmlich spüren.“ Dann ging alles ganz schnell. Knacken, Krachen, Eis
bricht.
Als Erstes versinkt der komplette Schlitten mitsamt seinem Führer und dem
Gepäck im Birch Creek, dann gibt das dünne Eis auch unter den angeschirrten
Huskies nach.
Irgendwann stoßen die Kufen endlich auf meterdickes Eis. Glück im Unglück.
Das war einer dieser tückischen Overflows. Dünn überfrorenes
Strömungswasser, versteckt unter Neuschnee.
Der Austroamerikaner Hans Gatt steckt bis zum Hals im Wasser. Viel Zeit
bleibt dem Hundeschlittenführer nicht. Nach drei, vier Minuten stirbt
selbst ein abgehärteter Dogmusher bei einer Wassertemperatur um den
Gefrierpunkt. Irgendwie kämpft sich der mehrfache Yukon Quest Champion aufs
feste Eis zurück, zieht Hunde und Schlitten aus dem Loch.
Jetzt hat Gatt ein weiteres ernsthaftes Problem: Die Quecksilbersäule zeigt
bitterkalte 48 Grad unter Null, die Feuerzeuge sind unbrauchbar, seine
Kleidung sofort stocksteif gefroren und er muss die Hunde schnellstmöglich
von ihren vollgelaufenen Booties befreien. Denn friert das Wasser in den
Schühchen fest, würden die Pfoten der Tiere irreparabel geschädigt werden.
Der Rest ist kein Problem für die Huskies, ihr dichtes Fell schützt sie
selbst bei so einem frostigen Bad.
Musher würden ihre Huskies besser behandeln als ihre Frauen, witzelt man in
der Gegend. Gatt zieht sich bei der Befreiungsaktion Erfrierungen dritten
Grades an seinen Fingern zu, wird kurze Zeit später das Rennen quittieren
müssen. Es hätte noch viel schlimmer kommen können, doch der Mittfünfziger
scheint einen nordischen Schutzengel zu haben. Einer seiner stärksten
Konkurrenten, der Deutschkanadier Sebastian Schnülle, kommt zur
Unglücksstelle, macht sofort Feuer und versorgt den Österreicher mit
trockener Kleidung.
So eine Hilfe ist selbstverständlich in Alaska und im Yukon, auch wenn sie
den gebürtigen Wuppertaler in diesem Fall den Sieg kosten wird. Jahr für
Jahr spielen sich ähnliche Szenen ab beim „härtesten Hundeschlittenrennen
der Welt“, wie der Yukon Quest auch genannt wird. Dieses
Bis-an-die-Grenzen-Gehen und mitunter noch ein Stück darüber hinaus, zieht
Musher wie auch Abenteuertouristen magisch in seinen Bann.
## Treffen an den Checkpoints
Die eingefleischten Fans fahren in kleinen Konvois mit allradtauglichen
SUVs zu den sogenannten Checkpoints, wenn sie sich nicht selbst gerade als
Schlittenführer auf einer der Ranches versuchen. Die Feuerwache im
amerikanischen Circle City, ganz in der Nähe des Birch Creeks, ist so
einer.
Dort wärmen sich die Musher nach Tagen in subarktischer Wildnis endlich
wieder auf, stärken sich mit deftigem Elchfleisch-Eintopf und heißem Tee,
finden ein paar kurze Stunden Schlaf. Natürlich erst nachdem sie ihre Hunde
mit Kraftfutter und Stroh versorgt haben. Denn die vierbeinigen Gesellen
sind die eigentlichen Stars des Wettbewerbs. Renntierärzte haben sich
provisorisch eingerichtet zwischen Löschgerät, Spitzhacken und
Feuerschutzhelmen.
Von hier aus funken Journalisten aktuelle Rennergebnisse in die Welt. Und
dazwischen überall freiwillige Helfer und Aktivurlauber aus Nordamerika und
Europa. In Alaska und im Yukon Territory geht so etwas noch. Die Magie des
Nordens vereint alle auf friedlichste Art und Weise, die Liebe zu den
Huskies tut ihr Übriges.
## „Schnellstraße des Goldrauschs“
Von weit her sind die Musher über den mächtigen Yukon-Strom in die
92-Seelen-Gemeinde Circle City gekommen. In Whitehorse, der Hauptstadt der
kanadischen Provinz Yukon Territory, begannen sie ihr großes Abenteuer eine
Woche zuvor. Die 25 Teams folgen der alten Post- und Handelsroute aus
Zeiten des großen Goldrauschs um 1900, die die Schürfgebiete des legendären
Klondike im Zentralyukon via Alaska mit der Außenwelt verbanden. Fast alles
lief damals über die „Schnellstraße des Goldrauschs“, den Yukon River, im
Sommer per Schiff, im Herbst und Frühling per Pferdeschlitten und im
eisigen Winter mit dem Hundegespann.
Es war die Ära der tapferen Einzelkämpfer wie Percy de Wolfe. Der
Postunternehmer sollte als „Iron Man of the North“ in die amerikanische
Geschichte eingehen. Über 40 Jahre lang beförderte er Briefe zwischen Eagle
in Alaska und der berühmt-berüchtigten Goldgräberstadt Dawson City in
Kanada. Brachte lang ersehnte Kunde von Frauen, Müttern und Kindern aus der
fernen Heimat zu den entwurzelten Goldschürfern, die allesamt auf das eine
große Gold-Nugget hofften, das ihnen sagenhaften Reichtum und die Rückkehr
als gemachter Mann versprach. Noch immer ist Percy de Wolfe die Ikone der
Hundeschlittenführer von heute.
## „Ich bin der Hase“
Von Whitehorse führt ihre erste Etappe über 100 Meilen oder 161 Kilometer
zum ersten Checkpoint nach Braeburn über den großen Strom und den Trans
Canada Trail. Hier schon sortiert sich das Feld. Vorn die Aspiranten auf
den begehrten Titel, hinten diejenigen mit dem eher olympischen Gedanken,
bei denen nur die Teilnahme zählt. „Wenn du vorne läufst, bist du der Hase,
den die Meute hetzt“, weiß der Quest-Gewinner von 2012, Raubein Hugh Neff,
zu berichten. „Ich bin der Hase, getrieben vom Heulen der Huskies in tiefer
Nacht.“
Anders als bei heimischen Rennen können die Schaulustigen das Geschehen nur
von bestimmten Punkten aus verfolgen, nämlich immer dort, wo eine
befahrbare Straße die Rennstrecke kreuzt. Da es aber kaum Autopisten gibt
im hohen Norden, passiert dies eher selten.
In diesem Fall genau einmal an der Takhini River Bridge, von der aus sie
die Musher und Huskies lautstark anfeuern. So treffen sich die Touristen an
solchen neuralgischen Punkten immer wieder, fachsimpeln und tauschen sich
aus mit Informationen, wo es denn eigentlich die nächste offene Tankstelle
gäbe oder vielleicht einen beheizten Schlafplatz in einer Schule für die
Nacht.
Durch Eis und Nacht jagen die Gespanne Dawson City entgegen, kämpfen gegen
Berge, Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Irrungen und Wirrungen
sind an der Tagesordnung. Manche Musher kommen vom Weg ab und verlieren
sich im Nirgendwo. Einige schlafen selbst im Stehen bei voller Fahrt durch
die klirrend kalte Nacht oder halluzinieren gar.
## Tanzende Geister über den Bergen
Die flackernden Polarlichter tun ihr Übriges. „Manchmal sehe ich Geister
über den Bergen tanzen, weiß nicht so recht, ob ich grad träume oder noch
wach bin“, schildert der Biologe und amtierende Champion Allen Moore seine
selbst gewählte Odyssee.
In Dawson City ist Halbzeit und die Rennteilnehmer müssen eine 36-stündige
Pause einlegen. Zeit der Regeneration für Mensch und Tier. Zeit für die
Veterinäre, die American und Sibirian Huskies genauer unter die Lupe zu
nehmen und kleine Blessuren zu behandeln. Zeit, seine Liebsten in den Arm
zu nehmen oder für einen Plausch mit den Fans in den Saloons der alten
Goldgräberstadt.
Mit seinem Roman „Ruf der Wildnis“ verschaffte Jack London der Stadt einen
festen Platz in der Weltliteratur. Und noch heute scheint man einen Hauch
vom längst verflogenen Geist des Goldrauschs spüren zu können. Dabei ist
heutzutage nur zweimal im Jahr richtig was los in der
1.700-Seelen-Gemeinde, die einst von 100.000 Goldgräbern unsicher gemacht
wurde: Im Februar zum Yukon Quest und im November zur Fulda Challenge, wenn
der gleichnamige deutsche Autoreifen-Hersteller seinen subarktischen
Zehnkampf mit allerlei Prominenz aus Sport und Showbiz medienwirksam in
Szene setzt.
## Nur die Hälfe schafft es
Nur gut die Hälfte der Gespanne wird es am Ende über die
kanadisch-amerikanische Staatsgrenze und von dort über Circle City bis nach
Fairbanks schaffen. Kurz vor Toresschluss hat der Eagle Summit in den White
Mountains schon so manchen Traum vom nahen Sieg zunichte gemacht.
Zumindest bei jedem zweiten Quest, denn die Richtung des Rennens alterniert
von Jahr zu Jahr. Hier scheiterte selbst Haudegen Hugh Neff, als über der
vegetationslosen Kuppe ein Eissturm fegte und die gefühlte Temperatur auf
unerträgliche minus 80 Grad fiel. Manchmal sind es eben nicht die gehetzten
Hasen, die das Rennen machen, sondern die alten. Mit 55 Jahren konnte der
sympathische Allen Moore den Wettkampf 2013 für sich entscheiden.
Der gleichaltrige Hans Gatt will es in diesem Jahr etwas ruhiger angehen
und hat sich lediglich für das etwas leichtere Iditarod Sled Dog Race
gemeldet. Sebastian Schnülle hingegen bleibt seinem Quest treu, auch wenn
er 2014 nur die verkürzte Variante über 300 Meilen fahren will.
19 Jan 2014
## AUTOREN
Marc Vorsatz
## TAGS
Alaska
Reiseland USA
Tiere
Kanada
Umweltschutz
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