# taz.de -- Voodoo in Benin: Der Baum der Kräfte | |
> „Wenn du diese Farben siehst, heißt das: Aufpassen!“ Victor, der | |
> Priester, deutet auf den Baum. Ein Besuch auf einem Voodoo-Fest. | |
Bild: Eine Gruppe kommt aus dem Tempel heraus. Wer die langen bunten Ketten tr�… | |
KPETEKPA taz | Victor Adohonannon wirkt erschöpft. Als sich der | |
Voodoopriester auf das dunkelbraune Sofa gesetzt hat, nimmt er einen großen | |
Schluck Wasser und wischt sich dann den Schweiß von der Stirn. Trotz der | |
vielen geöffneten Fenster ist es heiß im Wohn- und Empfangszimmer, denn | |
Strom gibt es nicht – stattdessen die Überbleibsel der vergangenen Abende: | |
Vor dem Sofa stehen ein paar leere Whisky- und Weinflaschen. Auf einem | |
kleinen Tisch liegen zusammengedrückte Bierdosen. | |
Vor drei Tagen ist Victor Adohonannon nach Kpêtêkpa, seinem Heimatdorf, | |
zurückgekehrt. Es liegt gut eine halbe Stunde von der Stadt Abomey | |
entfernt. Abomey ist die alte Hauptstadt des früheren Königreiches Dahomey, | |
aus dem nach dem Ende der Kolonialherrschaft Benin wurde. Wenn es nicht | |
geregnet hat, ist die Piste aus rotem Sand, über die der kleine Ort | |
erreichbar ist, gut passierbar. Trotzdem, Fremde verirren sich nicht | |
hierhin. | |
„Sie wollten mich in den vergangenen Tagen alle sehen“, sagt Victor | |
Adohonannon und rutscht noch etwas tiefer ins Sofa. Gestern war der | |
Bürgermeister hier, und die Ältesten des Dorfes und jene aus ein paar | |
Nachbardörfern ohnehin. Für sie ist ein Besuch bei Adohonannon | |
obligatorisch, denn er ist der spirituelle und religiöse Chef des Dorfes. | |
Und im Januar ist er die wichtigste Person. Denn der Januar ist in Benin, | |
wo gut 9,5 Millionen Menschen leben, der Voodoomonat. Mit dem 10. Januar | |
hat die uralte Religion sogar einen eigenen, staatlichen Feiertag erhalten. | |
Victor Adohonannon entschuldigt sich für fünf Minuten. Wohin er gehen will, | |
sagt er nicht. Doch er bleibt über eine Stunde weg, und es ist klar, dass | |
das etwas mit der großen Feier zu tun hat, auf die das ganze Dorf wartet. | |
Es sind die letzten Vorbereitungen, die er treffen muss, bevor am | |
Nachmittag der Höhepunkt der diesjährigen Voodoofeierlichkeiten stattfinden | |
kann. Voodoo ist in keinem anderen Land so verbreitet und anerkannt wie in | |
Benin. Offiziell bekennen sich mehr als 17 Prozent zu der Religion. | |
Tatsächlich praktizieren dürften diese aber eine weitaus größere Zahl von | |
Einwohnern. | |
## Einen Gott mehr zu haben – wo ist das Problem? | |
In Benin gibt es oft eine Vermischung. Viele Menschen gehen nicht nur in | |
den Sonntagsgottesdienst, sondern bei speziellen Lebensfragen und Wünschen | |
auch zu einem Voodoopriester – etwa dann, wenn eine Frau nicht schwanger | |
wird. Doch gerade Europäern gegenüber wird das nicht gern erwähnt. Die | |
Sorge ist groß, als rückständig zu gelten. Wer sich aber offen dazu | |
bekennt, der fragt gern mit einem Augenzwinkern: Einen Gott mehr zu haben - | |
wo ist denn das Problem? | |
Victor Adohonannon bedauert, dass er so lange fortgeblieben ist. Aber jetzt | |
sind die Vorbereitungen fertig, und wir könnten zusammen ins Dorf gehen. | |
Seitdem er vor drei Tagen angekommen ist, hat er keine Schuhe mehr | |
getragen. Er spricht gerne darüber, wie wichtig das Barfußlaufen ist. Sehr | |
bewusst setzt er einen Fuß vor den anderen, um jeden Sandkorn zu spüren. | |
Nur so habe er tatsächlich Kontakt zur Erde, aus der alles kommt. „Sie ist | |
überall. Selbst wenn du das Wasser des Meeres wegnimmst, findest du | |
letztendlich die Erde.“ Wenn er seine Schuhe auszieht, dann erweist er ihr | |
somit Respekt und Ehrfurcht. | |
Im Zentrum des kleinen Dorfes zeigt er schließlich, womit er beschäftigt | |
war. Er hat ein großes Laken mit roten und schwarzen Farbtupfern um einen | |
uralten Baum gespannt. Seit fünfzig Jahren ist er das Heiligtum Kpêtêkpas. | |
Wenn hier am 10. Januar gefeiert wird, dreht sich alles um den Baum, dessen | |
Wurzeln alt und knorrig sind. Sie sehen so aus, als ob der Baum längst | |
abgestorben sein müsste. | |
## „Aufpassen! Zakpata“ | |
Doch jedes Jahr trägt er frische, grüne Blätter. Dieses Zeichen ist für die | |
Bewohner ein Wunder, weshalb dem Baum magische Kräfte zugeschrieben werden. | |
„Und wenn du diese Farben siehst“, Victor Adohonannon deutet auf das Laken, | |
„dann weiß du: Aufpassen! Zakpata“. Zakpata ist der Gott der Erde, der | |
durch den Baum symbolisiert wird: Er wird in Kpêtêkpa verehrt. | |
Aus der Ferne erklingen Männer- und Frauenstimmen. Kleine Metallglocken | |
läuten. Irgendwann ist die Gruppe zu sehen, zu der etwa zwanzig Personen | |
gehören. Die ersten Einwohner, die zu der Feier gekommen sind, werfen sich | |
in den Sand. Das Gemurmel wird lauter. Als sie schließlich vor dem Baum | |
stehen, ist es intensiv und eindringlich. | |
Die Zeremonie zu Ehren des Baumes und damit des Gottes Zakpatas hat | |
begonnen. Dah Sonon Houevenon, ein junger Mann, versucht zu erklären: „Sie | |
machen das jetzt mehrere Male. Zwischendurch kehren sie zurück in den | |
Tempel. Zum Schluss werden sie für den Baum tanzen.“ | |
## Was sich im Tempel abspielt, bleibt ein Geheimnis | |
Bis zum Tempel ist es nicht weit. Er leuchtet ebenfalls in den Farben | |
Zakpatas. Doch der Gruppe darf niemand folgen. Was sich im Tempel abspielt, | |
bleibt ein Geheimnis, an dem nur die sogenannten Initiierten teilhaben | |
dürfen – all jene, die ein spezielles Ritual durchlaufen haben. Sie sind in | |
Trance. „Natürlich könnte man sich das auch von außen anschauen“, sagt | |
Victor Adohonannon, der sie offenbar in Trance versetzt hat. Aber das sei | |
natürlich nicht dasselbe. Verstehen würde man nichts. | |
Ohnehin ist das Begreifen und Verstehen schwierig. Als die Gruppe nach | |
kurzer Zeit wieder herauskommt, singt sie offenbar. Das Läuten der Glocken | |
ist noch eindringlicher geworden. Es klingt wie nach einer Aufforderung. | |
Die langen und bunten Ketten, die die Initiierten tragen, baumeln um ihre | |
Hälse. Die Gesichter sind ernst und regungslos. | |
Auf die Frage, welche Lieder sie singen, lächelt Dah Sonon Houevenon milde | |
und sagt: „Ich weiß es nicht.“ Dabei ist er in Kpêtêkpa groß geworden u… | |
verfolgt diese Zeremonie jedes Jahr. Verstehen kann er die Texte trotzdem | |
nicht. Er versucht wieder zu erklären: „Die Gruppe, die du jetzt siehst. | |
Das sind keine Menschen mehr, das sind Fetische. Wie der Baum. Jetzt singt | |
ein Fetisch für den anderen. Wir Menschen können nicht verstehen, was sie | |
singen.“ | |
Mit der Zeremonie soll der Baum für ein weiteres Jahr seine Kraft bewahren. | |
Und schon ein einziges Blatt würde dem Besitzer selbst Schutz bieten. Nach | |
dem Besuch in Kpêtêkpa kann man ein Blatt als eine Art Talisman im Auto | |
mitführen oder in die Wohnung legen. | |
Bei größeren Problemen rät Victor Adohonannon jedoch zu einer Übernachtung | |
im Dorf. Wer Sorgen hat, der soll am frühen Morgen aufstehen, seine Brust | |
mit einem weißen Stück Stoff verhüllen, sich neben den Baum setzen und mit | |
ihm darüber sprechen wie mit einem Menschen. „Das Ergebnis wird man sehen, | |
wenn man wieder zu Hause ist.“ Es werde positiv ausfallen, ist sich | |
Adohonannon sicher. | |
## Das Böse kommt zurück | |
Der Baum ist im Dorf, das weder Strom noch eine Schule hat, bei Weitem | |
nicht der einzige Fetisch. Gleich neben dem Baum liegen ein paar Holzstämme | |
und etwas Metall. Wer nicht weiß, was das bedeutet, hält es für Müll, der | |
achtlos weggeworfen wurde. Victor Adohonannon lächelt milde. Es ist ein | |
Fetisch, der seinen Ort gegen Krieg und feindliche Angriffe schützt. Dabei | |
wird Voodoo selbst gerne als kriegerisch und düster bezeichnet – als Magie, | |
die heraufbeschworen werden kann, etwa bei den kleinen, mit Nadeln | |
durchbohrten Voodoopuppen, die Unheil anrichten sollen. | |
Als sich die Fetische wieder in den Tempel zurückziehen und ihr Gesang | |
verstummt, zeigt Victor Adohonannon auf die Blätter, die sich sachte | |
bewegen. Es ist angenehm in der Nachmittagshitze. „Schau sie dir an, alles | |
hat zwei Seiten. Auch im Voodoo.“ Jede Macht könne positiv oder negativ | |
genutzt werden. Wer Voodoo tatsächlich benutzen will, um Unheil | |
anzurichten, der sei gewarnt. „Das Böse kommt zurück“, sagt Baba Guevigbe. | |
Er hat sich zu Victor Adohonannon gesellt und mitgehört. | |
Er möchte ein positives Beispiel geben, wenn er über seine Religion | |
spricht. Nach kurzem Überlegen findet er eins – seine schwangere Frau. | |
„Heute Morgen hat sie mich angerufen und gesagt, dass sie nicht die Kraft | |
hat, unser Kind auf die Welt zu bringen.“ Seine Frau ist in Cotonou, drei | |
Autostunden von Kpêtêkpa entfernt. Trotzdem konnte er helfen. Baba Guevigbe | |
lächelt. „Ich habe Wasser geholt, bin zu meinem Fetisch gegangen und habe | |
ihm das Problem erklärt.“ Keine Stunde habe es gedauert, und der Sohn war | |
auf der Welt. Jetzt strahlt der Vater über das ganze Gesicht. „Weißt du, | |
Voodoo, das ist wie jemand, der auf uns aufpasst und uns leitet.“ | |
5 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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