# taz.de -- Michel-Houellebecq-Film auf der Berlinale: Der Narzisst als hässli… | |
> „L’enlevement de Michel Houellebecq“ handelt vom Kidnapping eines Autor… | |
> Der Film ist eine faszinierend konsequente Selbstdemontage. | |
Bild: Michel Houellebecq im film von Guillaume Nicloux, der die Entführung des… | |
Der Goncourt-Preisträger als unartiges Kind: Am Geburtstagstisch schreit er | |
bockig „Nein! Nein!“, haut den Tisch fast um und ruft stolz noch hinterher, | |
dass er tatsächlich von Herzen gern intolerant sei. Wenn er orale Gelüste | |
hat – nicht nach einer Brust (wobei …), sondern nach einer Zigarette –, | |
krakeelt er noch lauter, erst recht wenn er auf den Topf muss. | |
Doch Stockholm-Syndrom auf allen Seiten: Wenigstens mit einem seiner drei | |
Entführer, mit einem literarisch zumindest nicht völlig uninformierten | |
Kampfsportler, der interessierte Nachfragen stellt, freundet sich der | |
Autor, den man aus der eigenen Wohnung entführt hat, ein bisschen an. | |
Auch das Großmütterchen hier im desolaten Hause in der französischen | |
Provinz entdeckt ihr Herz für die Bedürfnisse des blasierten | |
Intellektuellen mit den Nikotinflecken an den Fingern. Erst bietet sie ihm | |
Pornos an, doch die lehnt er so überrascht wie dankend ab. Eine echte Frau | |
hätte er wohl gerne. Die kriegt er dann auch, am Abend besucht ihn Fatima. | |
Die findet er nett, die darf öfter kommen. | |
Im Herbst 2011 war Michel Houellebecq für einige Tage von der Bildfläche | |
verschwunden. Die Medien übertrafen einander mit wilden Spekulationen. | |
Mord? Entführung? Al-Qaida? Als der Skandalautor wieder auftauchte, hielt | |
er sich mit Erklärungen bedeckt. Guillaume Nicloux’ „L’enlevement de Mic… | |
Houellebecq“, zu sehen im Forum, liefert nun, mit dem Autor in der | |
Hauptrolle, die Bilder dazu im ausgestellt dokumentarischen und ausgesucht | |
hässlichen Digitalfilm-Modus nach. | |
## Houellebecq als erschlafftes Apfelbutzenmännchen | |
Nicht, dass sie viel erklären würden oder gar solchen Anspruch hegen. Die | |
Tonalität ist lakonisch bis absurd. Drei stämmige Typen – schon äußerlich | |
das glatte Gegenteil des in beeindruckender Gänze erschlafften | |
Apfelbutzenmännchens, das Houellebecq darstellt – sollen den Autor also | |
gekidnappt haben. Wieso, erfährt man und auch Houellebecq nicht. Gut | |
möglich, dass der Film eh nur als eine Art Angstbild-Exorzismus des Autors | |
selbst angelegt ist. | |
Vor allem aber ist er eine faszinierend konsequente Selbstdemontage eines | |
literarischen Superstars. Als gefeierter, blasierter Dandy mit dubios | |
müffelnden gesellschaftskritischen Thesen betrat er in den Neunzigern das | |
literarische Parkett, davon geblieben ist hier ein zahnloser Tiger, der | |
anfangs öde die Neugestaltung seiner Wohnung diskutiert und auf der Straße | |
von einem Clochard kaum mehr zu unterscheiden ist. Mal schaut ihm die | |
Kamera ins Ohr, später sabbert er in Großaufnahme. | |
Gnadenlos enthüllt der Digitalfilm die Essensreste in den Wimpern. Als ihm | |
seine Entführer einen Crash-Kurs in den hundsgemeinen Kampfsport Krav Maga | |
verpassen, macht er, der zu seinem Körper ein unsicheres Verhältnis pflegt, | |
eine eher wenig gute Figur: der Goncourt-Preisträger als lächerliche | |
Gestalt. | |
Und doch, vielleicht passt das alles gut, ja bestens zusammen. Sich selbst | |
beständig als hässliches Kind zu inszenieren, ist ebenso eine Form von | |
Narzissmus wie der lustvolle Traum, von großen Gestalten entführt zu | |
werden. | |
7 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
## TAGS | |
Michel Houellebecq | |
Kidnapping | |
Entführung | |
Narzissmus | |
Michel Houellebecq | |
Schauspieler | |
Schwerpunkt Berlinale | |
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