# taz.de -- Sotschi 2014 – Ski alpin, Kombination: Verprasste Sehnen | |
> Wenn am Montag die Abfahrerinnen starten, herrscht wieder akute | |
> Verletzungsgefahr. Die Deutschen haben eine schmerzliche Serie hingelegt. | |
Bild: Bei der Anfahrt maximal belastet: das Kniegelenk. | |
Gina Stechert hat den Mut noch immer nicht verloren: „Kampflos werde ich | |
nicht aufgeben.“ In ihrem Heimatblatt, der Allgäuer Zeitung, hat die | |
26-Jährige ein Comeback angekündigt. Die Rennläuferin ist wieder einmal | |
verletzt. Das Knie. Anfang Januar stürzte sie bei der Abfahrt in | |
Altenmarkt-Zauchensee. Die Patellasehne im linken Knie riss. Vor den | |
Spielen von Sotschi sei das „sehr, sehr ärgerlich“. Stechert wäre gern | |
dabei gewesen, so wie in Vancouver vor vier Jahren, als sie Zehnte in der | |
Abfahrt wurde. | |
Die Patellasehne, also das relativ dicke Kniescheibenband, hatte ihr die | |
ganze Saison schon Probleme bereitet. Es diente ihrem letzten Operateur als | |
Ersatzteillager. Aus einem Bündel der Patellasehne wurde ihr ein neues | |
Kreuzband im linken Knie gebastelt. | |
Das war der Oberstdorferin im September 2011 gerissen. Normalerweise werden | |
zur Wiederherstellung des vorderen Kreuzbandes Sehnen von der | |
Oberschenkelrückseite entnommen, „aber diese Sehnen hatte ich schon | |
verprasst“, sagt Stechert, denn im März 2005 und exakt vier Jahre später | |
hatte sie jeweils einen Kreuzbandriss im rechten Knie. „Mental ist es nicht | |
ganz so einfach, auf der Höhe zu bleiben“, sagt sie angesichts der Vielzahl | |
von Knieverletzungen. | |
Stechert ist auf dem Krankenbett in guter Gesellschaft. Amerikas | |
Alpinsternchen Lindsay Vonn fehlt in Sotschi wegen eines Kreuzbandrisses. | |
Die französischen Weltmeisterinnen Marion Rolland und Tessa Worley sind | |
deswegen auch nicht im Kaukasus dabei. Und auch im Deutschen Ski-Verband | |
(DSV) kennt man diese Verletzung nur allzu gut. Zuletzt erwischte es | |
Veronique Hronek, ein paar Monate vorher Stefan Luitz, Lena Stoffel und | |
Susanne Weinbuchner. | |
## „Wir sind dieses Jahr gebeutelt“ | |
Auch Susanne Riesch laboriert noch an den Folgen eines zusammengeflickten | |
Knies, das 2011 in Chile kaputtging. „Das häuft sich massiv“, sagt DSV-Arzt | |
[1][Peter Brucker]. „Wir sind dieses Jahr gebeutelt“, ergänzt sein Kollege | |
Johannes Scherr. Grundsätzlich würden Knieverletzungen aber nicht zunehmen. | |
„Sie nehmen eher ab“, sagt Brucker, vor allem bei den Freizeitskifahrern. | |
Im Leistungssportbereich seien die schweren Knieverletzungen „auf einem | |
stabilen Niveau“, erklärt Scherr. Doch wenn etwas passiert, dann meist mit | |
dem Knie, „denn es ist das erste richtige Gelenk oberhalb des Skischuhs“, | |
und entsprechend anfällig. Für aktive Rennläufer ist das Verletzungsrisiko | |
naturgemäß viel höher als für einen Skiausflügler am Arlberg. Bei 1.000 | |
Tagen auf Skiern verletzen sich Topläufer statistisch gesehen an 4,1 Tagen | |
am Knie, der Ski-Normalo aber nur an 1,1 bis 3,2 Tagen. | |
Abfahrtsläufer verletzen sich darüber hinaus dreimal häufiger als | |
Slalomspezialisten am Knie. Das liegt an den höheren | |
Kurvengeschwindigkeiten und dem härteren Aufprall bei einem Sturz. | |
Verunfallt ein Rennläufer bei Tempo 100, dann entspricht das einem | |
Fenstersturz aus über 39 Meter Höhe. Wenn die Bindung bei so einem Sturz | |
nicht aufgeht, wirken Kräfte, die Sehnen und Bänder leicht zerstören. | |
„Hochrasanztrauma“, nennt Scherr so ein Ereignis. Er hofft, dass beim | |
olympischen Abfahrtslauf der Männer am Sonntag (8 Uhr, ZDF) so etwas nicht | |
passiert. | |
## Injury Surveillance System | |
Der internationale Skiverband FIS hat ein Auge auf derlei Verletzungen. Er | |
hat zusammen mit dem Oslo Trauma Research Center im Jahre 2006 ein | |
sogenanntes Injury Surveillance System (ISS) eingerichtet. Eine Kommission | |
innerhalb der FIS versucht mittels technischer Vorgaben, das Risiko zu | |
minimieren. So sind Abfahrtsski weniger tailliert. Eine Versicherung gegen | |
Knieverletzungen sind diese etwas altmodischeren Ski aber nicht, ebenso | |
wenig wie spezielle Knieschienen oder gezieltes Krafttraining. | |
In einer 25 Jahre dauernden Langzeitstudie bei 379 französischen | |
Skirennfahrern kam heraus, dass etwa 28 Prozent aller Athleten in ihrer | |
Karriere einmal einen Kreuzbandriss hatten. Geringfügig höher war das | |
Risiko (30,5 Prozent), sich einen zweiten Kreuzbandriss zuzuziehen. | |
Die Autoren der Studie schreiben, dass vor allem Top-30-Läufer betroffen | |
waren, die Spitzenathleten aber trotz ihrer Knieverletzungen länger im | |
Weltcup unterwegs waren, nämlich 7,5 Jahre im Vergleich zu den 4,5 Jahren | |
der unverletzten Athleten. Gina Stechert hat vor zehn Jahren im Weltcup | |
debütiert. Ein großes Rennen hat sie gewonnen, 2009 die Abfahrt in | |
Tarvisio. Es hieß damals, sie könne konstant unter die ersten Zehn fahren. | |
Es kam anders. Die Knie. | |
9 Feb 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sportortho.med.tu-muenchen.de/?menue=oberaerzte | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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