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# taz.de -- Tempelkunde in Kambodscha: Die Horden von Angkor
> Wer an eine Reise nach Kambodscha denkt, meint Angkor. Die Tempelanlage
> zieht massenhaft Touristen an. Dennoch ist es möglich, ihre Magie zu
> erfahren.
Bild: Umgeben vom Urwald: Die Tempelanlage Angkor Wat.
Die Luft flirrt nicht nur vor Hitze, sondern mehr noch vor den Abgasen der
großen Busdiesel: Mit einer wahren Armada von Großraumbussen fallen
Schwärme meist asiatischer Touristen Tag für Tag in die Tempel von Angkor
ein. Bereits vor über 50 Jahren, nach der Unabhängigkeit Kambodschas von
Frankreich, hatte Angkor den Status als kultureller Touristenmagnet in
Südostasien inne. Und seit Ende des Pol-Pot-Regimes und des Bürgerkriegs
steigen die Zahlen wieder rasant an: Heute erreichen die Besucherströme
jährlich Millionen. Die große Mehrheit stammt aus anderen asiatischen
Staaten und macht Tempelkunde im Schnelldurchlauf.
Wir stehen mit unserem Guide vor den flachen Dienstgebäuden des
Angkor-Checkpoints und fühlen uns eher in einer Einwanderungsbehörde als an
der Kasse eines Nationalparks. Hier anstellen, Sonnenbrille abnehmen, in
die Kamera schauen! Noch 40 Dollar pro Person hinlegen und den
scheckkartengroßen Tempelpass entgegennehmen. Er ist das Visum in die
versunkene Welt der Khmer-Tempel, das größte religiöse Bauwerk der Welt,
Symbol des Stolzes und der Seele eines Volkes.
Angkor ist überall. Sein Umriss prangt auf der kambodschanischen
Landesflagge, sein Name steht für Produkte von Bier bis zu Zigaretten, und
nahezu jede Unterkunft von der einfachen Herberge bis zum Luxusresort führt
die sechs Buchstaben an prominenter Stelle im Namen.
In einem Land, in dem derart alles an den Tempeln zu hängen scheint, wird
die Pflicht zum Besucherpass rigoros durchgesetzt: Vor jedem Tempel, an
jedem Parkplatz und manchmal auch zwischendrin wird der Ausweis
kontrolliert. Einen Beigeschmack bekommt die Ticket-Manie allerdings beim
Blick auf den Pass selbst: Nur unter ferner liefen findet sich hier die
staatliche Denkmalbehörde Apsara Authority.
Noch über deren Namen steht als eigentlicher Aussteller des Passes (und
Kassierer der Gebühren) ein Privatunternehmen: die Sokha Hotel Co. Ltd.,
Teil eines in den 90er Jahren entstandenen Firmenkonglomerats rund um den
kambodschanischen Erdölkonzern Sokimex.
Welcher Anteil der Einnahmen an den Staat weitergereicht wird, ist in der
kambodschanischen Politik immer wieder Gegenstand heißer Diskussionen.
Sowohl von Sokimex als auch von staatlicher Seite waren keine exakten Daten
zu erhalten. Bei Eintrittspreisen von je nach Aufenthaltsdauer 20 bis 60
Dollar pro Kopf kommt schon eine Summe zusammen.
„Angkor und die Touristen, das ist wie eine Python, die jeden Tag ein
ganzes Schwein verdaut.“ Mit dieser Metapher versucht uns Andy Booth,
Gründer der Agentur About Asia, den Angkor-Tourismus zu erklären. „Dort, wo
sich das Schwein gerade in der Schlange befindet, ist alles aufgebläht und
zum Bersten gespannt, aber davor und dahinter wird alles schnell wieder
schmal, relaxed und normal.“
Es kommt also darauf an, sich stets an einer anderen Stelle in der Python
aufzuhalten als das Schwein. Andy hat sich deshalb auf „crowd-avoidance“
spezialisiert, Vermeidung der Massen: Da nahezu alle Touristenschwärme nach
derselben, in der offiziellen Guide-Ausbildung festgelegten Zeit- und
Routenplanung durch die Tempel geschleust werden – ein echter
Schweinezyklus sozusagen –, lässt er seine Guides die Touren genau um
dieses Gedränge herum planen.
## Unterstützung für Gemeinden vor Ort
Und davon sollen nicht nur die Individualität suchenden Touristen
profitieren, sondern auch die Gemeinden vor Ort: „Während die Erlöse des
ausländischen Tourismus hier üblicherweise fast vollständig auch wieder ins
Ausland abfließen“, so Andy, „wollen wir jeden von uns verdienten Dollar in
eine Zukunftschance für einheimische Familien verwandeln“. Sämtliche
Profite seines Unternehmens gehen in lokale Schulprojekte und finanzieren
so die Bildung von mehr als 50.000 Kindern.
Neben den Hauptattraktionen Angkor Wat und Angkor Thom gibt es im gesamten
Gebiet zahllose weitere Tempel. Während Angkor Wat auch nach seiner
Blütezeit immer bewohnt war, sind die umliegenden Bauwerke größtenteils in
Vergessenheit geraten. Erst langsam werden sie wiederentdeckt.
Bunchhay, unser Guide, kennt sie aus tausenden Besuchen. Für unsere erste
Station lässt er den Fahrer an den Bussen vorbeisteuern und das kurz hinter
Angkor Wat gelegene Ta Phrom anvisieren. Es ist den meisten Touristen
bekannt aus dem Angelina-Jolie-Film Tomb Raider. Mächtige Baumwurzeln
umklammern die Ruinen. Eine vergessene Welt. Da dieser Ort bei den
offiziellen Guides erst später am Tag auf der Agenda steht, darf sich der
frühe Besucher in dieser fast mystischen Atmosphäre tatsächlich wie ein
Entdecker fühlen.
## Die fünf Ebenen zum Himmel
Als das Herannahen anderer Touristen uns abrupt in die Neuzeit
zurückzuholen droht, führt uns Bunchhay auf schmalen Urwaldpfaden zu den
nächsten Tempeln Ta Nei und Ta Keo, die wir ganz für uns haben.
Steintreppen mit ungewöhnlich hohen Stufen führen den Tempel entlang steil
hinauf zur Spitze. „Diese Tempel sind als die fünf Ebenen zum Himmel
aufgebaut“, erklärt Bunchhay. „Die Stufen sind steil und schwer zu
erklimmen, denn der Himmel ist nicht für jeden und soll nicht leicht zu
erreichen sein.“
Den Höhepunkt jeder Kambodscha-Reise haben wir uns für den nächsten Morgen
vorgenommen: zum Sonnenaufgang über Angkor Wat. Bunchhay hat eine Stelle
etwas seitlich der Mauern ausgewählt, wo wir in Ruhe sitzen und einen
ungestörten Blick auf die sich langsam aus dem Dunkel schälende Silhouette
genießen. Gut hundert Meter neben uns auf der Brücke und vor den Teichen
treten sich die Besucher gegenseitig auf die Füße, um den Sonnenaufgang zu
begrüßen.
Nachmittags steuern wir Angkor Thom an. Im 12. Jahrhundert beschäftigte und
versorgte die Stadt rund eine Million Menschen. Als wir das große Tor
passieren, meint Bunchhay mit Blick auf die hindurchführende Straße:
„Dieses Gate wurde für Elefanten erbaut, nicht für Tourbusse.“ Kürzere W…
zwischen verschiedenen Bauwerken legen wir gern zu Fuß zurück – zum Glück
sind die direkt zur zentralen Angkor-Region gehörenden Gebiete mittlerweile
minenfrei. Nur bei weiter entfernten Tempeln sollte selbst zum Austreten
lieber nicht vom ausgewiesenen Weg abgewichen werden.
## Geröstete Ameisen
Beim Spazieren durch den Dschungel wird nicht an Erklärungen und
Erzählungen gespart: Einige eingerollte und mit weißem Klebstoff verbundene
Blätter zeigt uns Bunchhay als Nest einer Spezies von Ameisen, die auf
Bananenblättern geröstet eine besondere Köstlichkeit ergeben soll.
Überhaupt ist die kambodschanische Küche reich an krabbelnden Spezialitäten
wie handtellergroßen Taranteln, im Ganzen frittiert.
Zwischen Angkor Wat und Angkor Thom liegt auf einer Anhöhe Phnom Bakeng.
Diese Tempelruine ist dank ihres spektakulären 360-Grad-Blicks ein
beliebter Sonnenuntergangspunkt der Angkor-Besucher. Jedoch nicht ohne
Risiko: Die Nacht über Angkor fällt rasant und ist rabenschwarz, kaum eine
Viertelstunde nach Sonnenuntergang lässt sich kaum mehr die Hand vor Augen
erahnen. Bunchhay erzählt, dass nicht wenige Touristen sich beim Abstieg
auf den steilen Felstreppen die Beine brechen. Die Rückkehr aus dem Himmel
ist eben nicht ungefährlich.
Wir sind am Vormittag hier, es ist noch einsam, und wir genießen in Ruhe
die spektakulären Blicke. Westlich schimmert eine fast 20 Quadratkilometer
große, rechteckige Wasserfläche in der Sonne. Sie wurde von Menschenhand
vor über eintausend Jahren für die kontinuierliche Wasserversorgung
angelegt. Auch der größte natürliche Süßwassersee Südostasiens, Tonle Sap,
ist nicht weit.
## Kilometerlange Reliefs
Immer wieder sind im ganzen Gebiet von Angkor auch Baugerüste zu sehen:
Kambodscha erfährt Unterstützung von Regierungen und Hochschulen aus aller
Welt in Restaurierung und Erhalt der mächtigen Tempel. So beschäftigt sich
seit 1995 das „German Apsara Conservation Project“
([1][www.gacp-angkor.de]) vor allem mit den kunstvollen, mehrere Meter
hohen und kilometerlangen Reliefs an den Tempelwänden und Giebeln – darauf
viele tausend himmlische Tänzerinnen, sogenannte Apsaras.
Diesen mythischen Nymphen lässt sich auch in Person begegnen: War der
Apsara-Tanz unter den Khmer Rouge nahezu ausgerottet worden, kann er –
durch einige Mutige aus der Erinnerung überliefert – heute wieder ausgeübt
und gelehrt werden.
Kaum ein Tourist, der in Angkor heute nicht damit in Berührung käme. In den
Tempeln posieren Frauen in klassischen Kostümen aus den verschiedenen
Tänzen für ein Foto mit Touristen, gegen ein paar Dollar, versteht sich.
Und kein größeres Hotel, das nicht abendliche Menüs mit begleitendem
Apsara-Tanz bietet. Unseres ist da keine Ausnahme: Am letzten Abend nach
langen Tagen der „crowd avoidance“ darf man dann auch mal der ganz normalen
Touristenbespaßung frönen.
23 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.gacp-angkor.de
## AUTOREN
Mark Torben Rudolph
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