| # taz.de -- Autor Riccò über Flüchtlingselend: "Die Leute haben wunderbar re… | |
| > Eine Gruppe Deutscher und Italiener hat sich in Hannover zusammengetan, | |
| > um etwas gegen die Not der vielen Flüchtlinge vor Lampedusa zu tun - auf | |
| > der Bühne. | |
| Bild: Ambivalent: Das Tor auf Lampedusa soll Gastlichkeit zeigen - und ist aus … | |
| taz: Haben Sie sich gerade als Italiener aufgefordert gefühlt, etwas für | |
| die Lampedusa-Flüchtlinge zu tun, Herr Riccò? | |
| Antonio Riccò: Das hat mit Sicherheit für mich eine Rolle gespielt – aber | |
| auch für viele andere Italien-Stämmige, die in unserem Projekt tätig sind. | |
| Unter uns sind auch Sizilianer, die sich da emotional sehr nahe fühlen: den | |
| Lampedusanern und, logischerweise, vor allem den Flüchtlingen, die dort | |
| ankommen. | |
| War jemand von Ihnen schon selbst auf Lampedusa? | |
| Ich persönlich war nicht da, aber diejenigen, die aus Sizilien kommen, | |
| kennen die Insel. Es war eine Mischung aus Scham, Mitverantwortung, Wut und | |
| Trauer, als wir von der furchtbaren Tragödie am 3. Oktober letzten Jahres | |
| gehört haben. | |
| Lange hat sich kaum jemand für die Ertrunkenen vor der Insel interessiert. | |
| Der 3. Oktober ist der Höhepunkt, wenn man so will, aber kein Einzelfall. | |
| Ich war beeindruckt von dem Ausmaß der Tragödie und zugleich von der | |
| Reaktion der Inselbewohner. Traditionell ist Lampedusa ein Tor zwischen | |
| Afrika und Europa und die Insulaner – inzwischen haben wir zahlreiche | |
| Kontakte zu ihnen – verstehen sich als Nachfolger derjenigen, die | |
| jahrtausendelang dort Gastlichkeit gezeigt haben. Aber in den letzten | |
| Jahren haben sie durch die Politik der Europäischen Union eine zusätzliche | |
| Funktion bekommen: sie sind Stellvertreter für uns alle an der Außengrenze | |
| und müssen die Unzulänglichkeiten der Politik mittragen und mit bezahlen. | |
| Sie haben in diesen Stunden wunderbar reagiert. | |
| Davor hat man auch Berichte gelesen, wonach die Lampedusaner aus einem | |
| Gefühl der Überforderung heraus aggressiv auf Flüchtlinge reagierten. | |
| Genau das habe ich die Inselbewohner gefragt – es gibt übrigens einen | |
| Verein aus Lampedusa, der uns bei unserem Vorhaben unterstützt. 2011 waren | |
| die Zeitungen voll von Berichten, dass die Lampedusaner den | |
| Flüchtlingsstrom stoppen wollten und es schien, dass rechts gerichtete | |
| Parolen umgehen würden. | |
| Was hat man Ihnen geantwortet? | |
| Dass es einen riesigen Unterschied gibt, zwischen dem, was 2011 und dem, | |
| was in den letzten Monate passierte. Damals hat sich die Bevölkerung nicht | |
| gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gestellt. Sie haben gegen die | |
| Bedingungen protestiert, die furchtbar waren – und noch sind. Damals kamen | |
| viele Menschen aus Tunesien, die gerade aus den Gefängnissen befreit worden | |
| waren. Und man muss sich bewusst machen: Lampedusa ist ein Fünftel so groß | |
| wie Sylt. Es sind wenige Tausend Einwohner, dazu kamen mehrere Tausend | |
| Flüchtlinge. Oft waren es junge Leute, die ein bisschen auf Abenteuersuche | |
| waren, während es jetzt und in den Monaten vorher Menschen waren, die vor | |
| Krieg und Armut flüchteten. Die Bevölkerung hat alle Türen geöffnet und | |
| viel mehr getan als – das muss man leider sagen – der Staat. | |
| Wie kamen Sie zu der Idee, eine szenische Lesung mit Musik zu machen? | |
| Ich suchte eine Möglichkeit, persönlich mit dem Thema fertig zu werden und | |
| habe ein paar E-Mails an Freunde geschickt: Heute schreiben alle Zeitungen | |
| darüber, aber in wenigen Wochen wird es vergessen – das darf nicht sein. | |
| Die Freunde, darunter der Musiker Franceso Impastato, haben sofort | |
| geantwortet: Ja, machen wir etwas. Aber was? Ich habe gesagt: Wir könnten | |
| auf der Grundlage der Zeugenaussagen der Flüchtlinge und Helfer eine | |
| szenische Lesung machen. | |
| Das heißt, Sie haben eine Collage daraus gemacht? | |
| Wir haben fünf Sprecher, zwei davon sind Erzähler, die das Publikum in die | |
| Geschichte begleiten. Am Anfang erzählen die Flüchtlinge, woher sie kommen, | |
| von den Schleppern, der Überfahrt, der Panik an Bord, dem Kentern. Dann | |
| kommen die Retter: ganz normale Leute, Touristen, Fischer, die vor Ort | |
| waren. Sie haben getan, was jeder Mensch, der den Namen verdient, in so | |
| einer Situation tun müsste. Dazwischen sind Musikstücke von Francesco | |
| Impastato eingebaut. Er ist Sizilianer und ich wage zu sagen, dass man in | |
| den Stücken das Meer und die Kultur des Mittelmeers spürt, die eigentlich | |
| eine positive und offene Kultur ist, es gibt auch Trauer und Wut darin. | |
| Von Hause aus waren Sie Schuldirektor – jetzt sind Sie Texter, Logistiker, | |
| der die Lesung an andere Veranstalter weitergibt. Wie finden Sie sich da | |
| hinein? | |
| Als Schulleiter muss man mit organisatorischen Dingen umgehen können. Was | |
| das Schreiben anbelangt: Ich habe vor einigen Jahren zwei Romane | |
| geschrieben, von denen der eine um ein verwandtes Thema geht: zwei Brüder | |
| aus Afghanistan, die nach Italien kommen und dort in den Maroni-Jahren | |
| leben. | |
| Wer ist Maroni? | |
| Das war der italienische Innenminister, der gesagt hat: Man muss rabiat | |
| gegenüber den Flüchtlingen vorgehen. Wir zitieren ihn auch in unserem | |
| Stück. Ebenso wie den deutschen Innenminister Friedrich. Er sagte kurz nach | |
| dem Unglück, dass die Dublin-II-Verordnung – die besagte, dass jeder | |
| Flüchtling nur in seinem Erstankunftsland Asyl beantragen darf – | |
| selbstverständlich nicht verändert werde. Wir wollen das Publikum mit den | |
| Fragen konfrontieren, die aus diesen Schilderungen entstehen. | |
| Zum Beispiel? | |
| Normalerweise hat man die Flüchtlinge immer schon 70 Meilen vor Lampedusa | |
| identifiziert und ihnen geholfen. Wie kam es, dass sie am 3. Oktober ganz | |
| nah an die Küste kamen, ohne Hilfe zu bekommen? Gab es eine Verzögerung der | |
| Hilfe? Das haben die nicht-professionellen Helfer hinterher gesagt. Wir | |
| lassen alle Stimmen dazu hören. | |
| Den italienischen Honorarkonsul haben Sie nicht überzeugt. | |
| Er meinte, wir würden eine Tragödie auf ein Theaterstück reduzieren. | |
| Außerdem sei das Problem auf Lampedusa gelöst. Das war uns ein Ansporn, das | |
| Stück umso besser zu machen. | |
| Angesichts der vielen anderen Unterstützer: Gibt es gerade ein so breites | |
| Unbehagen an der europäischen Flüchtlingspolitik, dass sich jetzt etwas | |
| ändern könnte? | |
| Das ist schwer zu sagen – stellen Sie die Frage in einigen Monaten noch | |
| einmal. Derzeit kann ich nur sagen: Wir möchten die Lesung nicht nur dort | |
| zeigen, wo die Leute ohnehin interessiert sind. Sondern auch in Vierteln, | |
| wo sich eine Bürgerinitiative gegen ein Flüchtlingsheim gegründet hat. | |
| ## Szenische Lesung „Lampedusa, 3. Oktober 2013“: Vorpremiere am 18. März, | |
| 17 Uhr, IGBCE, Königsworther Platz 6, Hannover; Premiere am 30. März, 11 | |
| Uhr, Cumberlandschen Galerie, Hannover | |
| 17 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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