| # taz.de -- Regisseur Gröning über Gewalt: „Der Film arbeitet in dir weiter… | |
| > Philip Gröning hat für seinen Film „Die Frau des Polizisten“ über die | |
| > Verzahnung von Gewalt und der Sehnsucht nach Nähe recherchiert. | |
| Bild: Die Familie des Polizisten in einem glücklichen Moment (mit David Zimmer… | |
| taz: Die junge Familie, um die es in „Die Frau des Polizisten“ geht, lebt | |
| in einer ungewöhnlichen Straße in einer Kleinstadt im Münsterland. Sowohl | |
| die eng gedrängten Einfamilienhäuser als auch das Straßenpflaster sind aus | |
| rotem Stein. Herr Gröning, wieso haben Sie diese Nachbarschaft gewählt? | |
| Philip Gröning: Weil sie schon viel von dieser Geschichte erzählt. Wir | |
| hatten ja wenig Geld – der Film hat soviel gekostet wie ein Fernsehspiel, | |
| wahrscheinlich weniger. Ich konnte nicht wie der italienische Regisseur | |
| Antonioni hingehen und sagen, diese ganze Straße bitte monochrom | |
| anstreichen. Und diese Straße erzählt für mich etwas von einem ganz großen | |
| Wunsch nach Harmonie. Dass alles gut sein soll. Alles immer gut sein soll. | |
| Alles immer wirklich ganz gut sein soll. Wenn man diese Sätze dann | |
| weiterdenkt, dann ist man schon in einer großen Bedrücktheit. Und wie Glück | |
| in einer Beziehung umschlägt in Bedrücktheit, das ist – neben dem | |
| Liebestransfer zwischen Mutter und Kind – eines der Themen des Films. | |
| In Ihrem Film ist es überraschend zu sehen, wie liebevoll der Polizist Uwe | |
| und seine Frau Christine im Alltag miteinander umgehen, während er sie | |
| gleichzeitig fürchterlich misshandelt. | |
| Erst durch meine Kontakte während der Recherche zu betroffenen Frauen und | |
| Männern habe ich verstanden, wie solche gewalttätigen Beziehungen | |
| funktionieren. Man kann nicht sagen: Da ist einer nur der Böse und eine ist | |
| nur die Gute. Es ist eine ineinander verzahnte extreme Abhängigkeit, | |
| extreme Nähe. Die Paare geben sich Mühe. Das ist eigentlich das Gemeinsame | |
| von allen Beziehungen, die ich recherchiert habe. Diese Mühe ist ein Abbild | |
| von großer Liebe, die aber nicht richtig gehandhabt werden kann. Da ist | |
| einfach eine Hilflosigkeit: Wie wandle ich die Liebe, die zu so einer Mühe | |
| wird, zu etwas Freierem? | |
| Dazu passt, dass Uwe, wenn er prügelt, eher ohnmächtig als mächtig wirkt. | |
| Keiner von den Männern, die ich gesprochen habe, fühlt sich mächtig in dem | |
| Moment der Gewalt. Unser ganzes Bild von uns selbst als zivilisierte Person | |
| beruht ja darauf, dass wir auf Gewalt verzichten. Der Zivilisationsakt ist, | |
| zu sagen: Der Staat hat das Gewaltmonopol, aber privat bringe ich nicht | |
| jemanden um, weil der mich nervt. Wenn jemand Gewalt ausübt, dann | |
| unterminiert er immer einen ganz zentralen Teil seiner eigenen | |
| Persönlichkeit. Und je mehr das passiert, desto mehr wird die eigene | |
| Persönlichkeit vernichtet. Das ist wichtig. | |
| Warum wehrt sich seine Frau nicht? | |
| Weil sie in dieser Beziehung drin ist. Das passiert schleichend, dass | |
| Grenzen überschritten werden. Aber recht schnell kommt es zu einem Punkt, | |
| wo die Frauen keinen Kontakt mehr haben zu ihren Eltern, Geschwistern, | |
| Freundinnen. Dann ist dieser Mensch, der dich angreift, die ganze Welt | |
| geworden. Du kannst deine eigene Welt aber nicht einfach so verlassen. | |
| Das ist ja vielleicht der gesellschaftliche Wert von so einem Film wie „Die | |
| Frau des Polizisten“, dass man damit sagt: Es muss möglich sein, dass die | |
| Frauen und auch die Männer in solchen Beziehungen sich äußern, Hilfe | |
| suchen, ohne durch Scham daran gehindert zu sein. Diese Scham macht sie | |
| ohnmächtig gegenüber ihrem eigenen Leben. Das ist gesellschaftlich. Das | |
| kann eine Gesellschaft also auch ändern. | |
| Auf einer zweiten Ebene des Films geht es um die Liebe der Mutter zu ihrer | |
| kleinen Tochter. Wie hängen diese beiden Ebenen zusammen? | |
| Fundamental ist „Die Frau des Polizisten“ ein Film über Intimität. In zwei | |
| extremen Ausprägungen: der Weitergabe von Liebe und der Weitergabe von | |
| Zerstörung. Die hängen dadurch zusammen, dass du als Mensch ja immer sowohl | |
| Liebe als auch Zerstörung erfahren hast. Und die große Frage ist: Was von | |
| beidem gibst du weiter? | |
| Erklärungen, warum Uwe und Christine so geworden sind, geben Sie in Ihrem | |
| Film nicht. Warum? | |
| Ich psychologisiere nie in meinen Filmen. Wenn man Menschen trifft, dann | |
| begegnet man ihnen in der Gegenwart. Alles, was du als Mensch bist, trägst | |
| du in deiner Gegenwart immer mit dir. Ich brauche die Vergangenheit nicht | |
| zu zeigen, weil sie ja in dem Menschen schon drin ist. Und was die soziale | |
| Verankerung angeht: Die dient oft ja nur der Abwehr des Publikums. Wenn du | |
| zum Beispiel weißt, das Paar kommt aus unterschiedlichen sozialen | |
| Schichten, dann würdest du sofort denken: Aha, daran liegt es! Weil ich in | |
| diesem Film aber wenig Außenwelt zeige, musst du als Zuschauer darüber | |
| nachdenken, was eigentlich in deinem eigenen Leben geschieht. Jeder | |
| geglückte Film ist ja ein Film über den Zuschauer. | |
| Warum haben Sie Ihren fast dreistündigen Film in 59 Kapitel unterteilt, die | |
| mit langen Schwarzblenden voneinander getrennt sind? | |
| Du wirst in dem Film in tiefe psychische Erlebnisse eingeschleust, und dann | |
| kommt wieder so ein schwarzes Zwischenstück mit Kapitelangabe, das dich | |
| daran erinnert: Du bist ein rationaler Mensch, du kannst zählen, du weißt, | |
| nach sieben kommt acht. Ich glaube, du kannst durch diese Unterbrechungen | |
| einerseits tiefer tauchen als Zuschauer, andererseits behältst du immer | |
| wieder deine Urteilsfähigkeit. Du wirst immer wieder daran erinnert, dass | |
| du dich verhalten musst zu dem Film. | |
| Du kannst nicht einfach nur sagen: Ich erlebe jetzt identifikatorisch etwas | |
| mit, und nach 90 Minuten ist es vorbei, und dann schmeiß ich den Film | |
| sozusagen psychisch sofort aus dem Fenster. Er arbeitet ja in dir weiter | |
| und wird dich viele Tage begleiten. Das sagen mir die Leute zumindest. | |
| Sehr rätselhaft ist ein immer wieder auftauchender alter Mann, der nicht | |
| mit der Familiengeschichte verknüpft wird. | |
| Wenn ein Film es schafft, dich zu verwirren, dann ist das schon mal ein | |
| guter Start. Jedes wirkliche Kunstwerk lässt sich ja nicht ohne Rest | |
| erklären. Da bleibt etwas übrig, was dich beschäftigt, weil du es eben | |
| nicht einfach so einordnen kannst: Ich habe von Zuschauern schon mindestens | |
| fünf verschiedene Deutungen der Rolle des alten Mannes gehört. Und | |
| natürlich sind alle wahr! Das, was bleibt nach einem Film, ist der Kern der | |
| Erzählung. Wenn nichts bleibt, ist einfach nur Zeit weg. | |
| Sie arbeiten ohne Drehbuch, das ist in Deutschland sehr ungewöhnlich. | |
| Die Crux des deutschen Films ist seine Drehbuchhörigkeit. Wenn man im Kino | |
| sitzt und denkt: Da ist ein gutes Drehbuch verfilmt worden zu einem okayen | |
| Film. Das ist katastrophal. | |
| Warum? | |
| Weil ich als Zuschauer damit unterfordert werde. Ich merke, da hat sich | |
| jemand Mühe gegeben, im richtigen Moment die richtigen biografischen | |
| Informationen einzustreuen, und dann kommt der Konflikt, und genau in dem | |
| Moment, wo ich denke, alles wird gut, taucht der Antagonist auf und so | |
| weiter. Es gibt Momente, die eine große Intimität haben, wenn du die | |
| aufschreibst in einem Drehbuch, dann fallen die sofort auseinander. | |
| Bei einer Szene, in der eine Mutter ihr Kind weckt und weiter nichts | |
| passiert, denkst du beim Lesen sofort: Da muss doch irgendwie noch ein | |
| Konflikt rein oder es muss noch irgendeine Bedeutung haben. Dann schreibst | |
| du noch was dazu, dass es diese Bedeutung bekommt – und dann ist die ganze | |
| Szene am Schluss eine Katastrophe. Weil sie Information wird, und nicht | |
| mehr Erfahrung. Mir geht es immer um ein Kino tiefer Erfahrung. | |
| In der Psychotherapie gibt es den Begriff der „Achtsamkeit“ im Sinne einer | |
| Form von Aufmerksamkeit, die nicht wertend ist und sich ganz auf den | |
| gegenwärtigen Moment bezieht. Ich würde Ihr Kino als ein „Kino der | |
| Achtsamkeit“ bezeichnen. Würden Sie dem zustimmen? | |
| Das freut mich, dass die Psychologie meine Theorie jetzt endlich übernommen | |
| hat (lacht). Aber das war schon immer das Ziel in allen meinen Filmen, | |
| genau diese Öffnung der Wahrnehmung. Durch den Reizentzug im Kino – es ist | |
| dunkel und still – kannst du als Regisseur setzen, was wichtig ist. Reine | |
| Wahrnehmung ist als Mensch großes Glück. Nur zu sehen, nur zu hören, zu | |
| spüren. Das ist Glück. Dann gibt es diese Momente, wo du froh darüber bist, | |
| dass der alte Mann isst. Wo du einfach nur zuschaust, wie ein kleiner | |
| Mensch von einem größeren Menschen geweckt wird. Das sind Glücksmomente. | |
| Mit freundlicher Genehmigung des WDR-Filmtipps | |
| 21 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven von Reden | |
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