# taz.de -- Von der rechten in die linke Szene: Ein Hardcore-Leben | |
> Er trug Glatze und Bomberjacke: Mo Büttner war früher in der rechten | |
> Szene unterwegs. Bei der Bundeswehr wandelte er sich – zum Linken. | |
Bild: Ausgerechnet die Armee brachte Mo Büttner von seinem rechten Weg ab. | |
Laut hämmern die Bässe einer US-amerikanischen Punk-Hardcore-Band aus den | |
Boxen, die „Rise against“ heißt. Als wolle er die Bedeutung des Bandnamens | |
darstellen, erhebt sich Mo Büttner – gut aussehend mit lockigen Haaren und | |
Vollbart, irritierend mit einer Schlagring-Kette um den Hals – von seinem | |
Bett. Er überlässt es seinen zwei weißen Katzen Kami und Emma, dreht die | |
Musik leiser und bietet auf einem Tisch neben dem Bett selbstgebackenen | |
veganen Marmorkuchen und Pfefferminztee an. Krass. | |
In die Haut seines rechten Armes hat Mo Büttner, der eigentlich Marcel | |
heißt, den Kriegs- und Göttervater Odin, den Donnergott Thor und den Gott | |
des Kampfes und des Sieges Tyr tätowiert. Die nordische Mythologie, erzählt | |
der 26-Jährige, habe er für sich entdeckt, als er noch in der rechten Szene | |
unterwegs war. „Ich habe mich als Nationalist und deutscher Krieger | |
gesehen.“ Er trug Glatze, Springerstiefel und Bomberjacke, hing mit | |
Jugendlichen ab, „die einiges auf dem Kerbholz hatten“. Auf rechten | |
Konzerten stimmte er in „Heil Hitler!“-Rufe ein, ließ sich volllaufen bis | |
zur Besinnungslosigkeit. Wirkliche Interessen hatte er nicht. Deutsche | |
Tugenden aber fand er gut. | |
Geboren wurde Mo Büttner in Brandenburg an der Havel, die Mutter | |
Arzthelferin, der Vater Industriemechaniker. Aufgewachsen ist er in einem | |
Einfamilienhaus auf dem Land, „alles tipptopp“. Mit 13, 14 Jahren fing er | |
an zu rebellieren. „Ich hatte keinen Bock mehr auf Behütetsein, auf die | |
Eltern oder Lehrer zu hören“, beschreibt er diese Zeit. Er las „Die | |
Abenteuer des Werner Holt“ – zu DDR-Zeiten Pflichtlektüre an Schulen – �… | |
einen jungen Mann, der freiwillig und voller Begeisterung Flakhelfer im | |
Zweiten Weltkrieg wird. Später schloss er sich einer Clique an, die der | |
Meinung war, Ausländer nähmen den Deutschen die Arbeit weg. Er hörte | |
Nazi-Bands, sprühte „Deutschland erwache“ auf Häuserwände. „Ich war | |
extrem“, sagt Büttner heute. „Hätte ich ein größeres Gewaltpotenzial | |
gehabt, hätte ich mir jemanden im Suff geschnappt.“ | |
Nach der zehnten Klasse stellte er sich bei der Bundeswehr vor: mit Glatze, | |
Bomberjacke und Springerstiefeln. Zweimal musste er zum Psychologen. Für | |
das sogenannte Schaumburger Modell, bei dem eine zivile Ausbildung | |
absolviert wird und es eine Übernahmegarantie durch die Bundeswehr gibt, | |
wurde er nicht genommen. Büttner wurde deshalb SaZ 8, Soldat auf Zeit für | |
acht Jahre, und machte bei der Bundeswehr eine Ausbildung als | |
Mechatroniker. | |
## Dann lernte er Punker kennen | |
Doch ausgerechnet die Armee brachte ihn von seinem rechten Weg ab. In einer | |
Kaserne in Bayern lernte Büttner einen Soldaten kennen, einige Jahre älter | |
als er, „ein zwei Meter großer Hüne mit Glatze“. Von ihm dachte Büttner,… | |
wäre seine Wellenlänge. Doch dann stellte sich heraus, dass der ganz anders | |
drauf war. „He, du suchst Anschluss und findest Musik geil?“, fragte er. | |
„Das gibt es auch bei den Linken.“ Er lernte Punker, Ausländer, | |
Homosexuelle kennen. Gespräche mit einem Lehrer, den er über drei Ecken | |
kennengelernt hatte, brachten ihn ebenfalls zum Nachdenken. „Und dann ging | |
mir ein Licht auf.“ | |
Büttner hat die rechte Ideologie längst hinter sich gelassen. Eine | |
Initiative für Aussteiger brauchte er dafür nicht. Er war nicht wirklich | |
organisiert in der Szene, die Beziehungen zu den Kumpels bewegten sich, | |
wenn man so will, im Promillebereich. Sie waren zu oberflächlich und | |
unverbindlich, als dass er Ärger zu befürchten hatte. | |
Eine besonders harte Zeit hatte Büttner im Sommer 2010, als er für vier | |
Monate in Masar-i-Scharif in Afghanistan war. Im Bundeswehrfeldlager in der | |
Wüste hatte er mehr Zeit zum Nachdenken, als ihm lieb war. Als ihn auch | |
noch seine Freundin verließ, stürzte ihn das in eine Krise: Einmal hielt er | |
seine Dienstpistole in die Hand und überlegte, sein Leben zu beenden. | |
Stattdessen zog er sich zurück, trank keinen Alkohol mehr, machte viel | |
Sport, sprach mit seinem Vorgesetzten und einem Seelsorger. In Berlin | |
konsultierte er einen Psychologen. | |
„Ich habe mich in einen Käfig einsperren lassen, mit Gehirnwäsche, Musik | |
und Gelaber“, sagt Büttner heute. Er weiß auch, warum das so war: „Ich ha… | |
Anerkennung und Bestätigung gesucht.“ Einige seiner Sätze klingen wie aus | |
einem Lehrbuch für rechte Aussteiger. „Aus Liebe und Mitgefühl kann man | |
Kraft ziehen, genau wie aus Hass.“ Aber Büttner ist der beste Beweis, dass | |
das gehen kann. | |
## Innerer und äußerer Wandel | |
Sein innerer Wandel ist mit einem äußeren einhergegangen. Damals wog der | |
1,75 Meter große Mann 105 Kilo. Jetzt sind es fast 30 Kilo weniger. In | |
seinem Zimmer steht eine Hantelbank. Darauf trainiert er, sooft er kann. | |
Hat Büttner früher sonntags seinen Rausch ausgeschlafen, sammelt er nun an | |
den Wochenenden Kleidung für einen Berliner Obdachlosenverein und hilft, | |
Essen für Obdachlose zuzubereiten und zu verteilen. „Nur Party, Party, | |
Party“, sagt er, sei ihm genauso zuwider wie „konsumgesteuerte Leute“. An | |
der Bundeswehrfachschule in Gatow hat Büttner eine weitere Ausbildung | |
begonnen – zum staatlich anerkannten Erzieher. Krass. | |
Ein Symbol, das entscheidend ist für seinen Wandel, trägt er auf seiner | |
Armbanduhr: ein schwarzes X. Es steht für die Jugendbewegung „Straight | |
Edge“ aus dem Hardcore-Punk, die Nein sagt zu Alkohol und Zigaretten, zu | |
anderen Drogen, zu One-Night-Stands. Viele Anhänger sind Vegetarier oder | |
Veganer wie Büttner. Straight Edger mögen Tätowierungen und stehen auf | |
Hardcore und Punkmusik. Für Büttner ist „Straight Edge“, das sich ableitet | |
von „straight“ für nüchtern und dem US-amerikanischen Ausdruck „to have… | |
edge“, einen Vorteil haben, zur Lebensphilosophie geworden. „Ich bin immer | |
klar im Kopf“, sagt er und nimmt einen Schluck Pfefferminztee. „Ich kann | |
Argumente bringen, die 100 Prozent von mir stammen, und muss nichts | |
revidieren.“ | |
Wenn ihm danach ist, lackiert er sich auf Trash-Partys die Fingernägel | |
schwarz oder bunt oder zieht sich ein rosa Hasenkostüm an. Büttner gefällt | |
es, zu provozieren. Aber – auch darüber redet er offen – er lasse kaum | |
jemanden wirklich an sich heran. „Emotionale Bindungen fallen mir schwer.“ | |
Die Veränderungen in seinem Leben hat er sich ebenfalls unter die Haut | |
stechen lassen, auf den linken Oberschenkel, als die Soldatenjahre bei der | |
Bundeswehr vorbei waren: die Umrisse Afghanistans, zwei Raketen, eine Hand | |
mit einer Feder, ein Herz, ein tränendes Auge. Die Bilder stehen für den | |
Auslandseinsatz, die zerbrochene Beziehung zu einer Frau und für die Liebe, | |
die er für das Schreiben von Gedichten entdeckt hat. | |
## „Ich bin wütend auf mich“ | |
Ob Büttner etwas bereut? Er schüttelt den Kopf. „Ich bin der geworden, der | |
ich bin, weil das andere passiert ist“, ist er überzeugt. Eher ärgert er | |
sich über sich selbst. „Ich bin wütend auf mich, dass ich mich in diesen | |
Käfig hab sperren lassen.“ Auf einem Flyer, in dem die Bundeswehr die | |
Erzieherausbildung bewirbt, die er absolviert, heißt es: „Sie müssen bereit | |
sein, über sich und Ihre Lebensgeschichte nachzudenken.“ Das hat Büttner | |
längst gemacht. | |
Im kommenden Jahr beendet er seine Ausbildung. Obwohl händeringend | |
männliche Erzieher in Kindertagesstätten gesucht werden, reizt ihn das | |
nicht. Er will als Streetworker arbeiten. Sieht er heute Rechte, denkt er | |
an seine eigene Zeit als Jugendlicher. „Ich habe Mitleid mit ihnen“, sagt | |
er. „Niemand kann etwas so Schlimmes getan haben, dass ihm nicht verziehen | |
werden könnte, wenn er ernsthaft Reue zeigt und zum Umdenken bereit ist.“ | |
Büttner spricht natürlich von sich, wenn er sagt, dass „kein Minderjähriger | |
sich 100-prozentig im Klaren über die Tragweite seiner Taten sein kann“. Er | |
will offen sein für jeden Menschen. Aber, auch das betont Büttner, als | |
Sozialarbeiter könne er nur Türen öffnen, durchgehen müssten die | |
Jugendlichen selbst. | |
Er will die Innenseite seines rechten Armes tätowieren lassen. Odin, Thor | |
und Tyr sollen Gesellschaft bekommen von weiteren Göttern der nordischen | |
Mythologie, von kriegerischen Göttern der Asen und Fruchtbarkeitsgottheiten | |
der Wanen. Sie sollen das Kreative und Soziale in seinem Leben | |
symbolisieren. Der Schlagring an seiner Kette, erklärt er noch, stehe in | |
der Tattoo-Szene für Nächstenliebe. Krass. | |
27 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
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