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# taz.de -- Die Generation Minigolf: Der dunkle Dämon
> Der VW Golf wird 40 Jahre alt – und mit ihm eine Generation. Überstrahlt
> wird seine Bedeutung jedoch vom Minigolf. Sonst gab es ja nicht viel.
Bild: Im Schwarzlicht kann man die Venen nicht erkennen.
Am 29. März 2014 wird der VW Golf genau vierzig Jahre alt. Da wollen wir
ihm mal pro forma gratulieren wie einem nervigen FacebookFriend, der
trotzdem irgendwie noch zu sehr zu uns gehört, um diesen Unsympathen
einfach zu verstoßen. Vielleicht killt ihn ja die anstehende Midlife-Crisis
oder stürzt ihn wenigstens ins Unglück.
Eine Spießerkiste sondergleichen ist der VW Golf, ein werthaltiges
Massenfahrzeug, die Rettung für den damals angeschlagenen
Volkswagen-Konzern und der eigentliche, echte, endgültige KDF-Wagen (Kraft
durch Freude – so stellten sich schon die Nazis das ideale Auto für die
Deutschen vor).
Wo der Mercedes die Spießigkeit des Gutsituierten und der Opel die der
unteren Mittelschicht versinnbildlicht, symbolisiert der Golf die
frühvergreiste Biederkeit rechtsgescheitelter Popper und FDP-Jungwähler.
Die in den frühen Siebzigern geborene „Generation Golf“, wie Florian Ilies
sie in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, ließ sich zunächst von den
Eltern im Golf herumkutschieren, um sich mit achtzehn dann selber hinters
Lenkrad des zumindest gebraucht bezahlbaren Erstlings zu setzen. Der Golf
als Auto einer Generation, die als erste nach dem Krieg geborene einen
weitgehenden Rückzug vom Politischen in den Konsum und ins Private vollzog.
## Abgeschwächte Frühform
Und doch war dieser Weg durch die wiederum etwas Älteren bereits
vorgezeichnet: Denn vor der Generation Golf gab es, die „Generation
Minigolf“.
Die „Generation Minigolf“, wie der Autor in den 60ern geboren und in Teilen
mit der „Generation X“ deckungsgleich, war, wie schon der Name nahelegt, im
Grunde eine abgeschwächte Frühform der „Generation Golf“. Nach den
politischer geprägten Nachkriegsgeborenen, die unter dem Eindruck von
schwarzer Erziehung und mangelhafter Entnazifizierung noch echte
Befreiungskämpfe auszufechten hatten, waren nun die ersten Tendenzen einer
eingelullten Entpolitisierung auszumachen, die ihren Höhe- (besser
Tief-)punkt allerdings erst mit der nachfolgenden „Generation Golf“
erreichen sollte. Letztere verseucht bis heute nachhaltig die Denke.
Minigolf in der bis heute bekannten und standardisierten Form wurde genau
zwanzig Jahre vor dem VW Golf, im März 1954 also und damit vor sechzig
Jahren, im schweizerischen Ascona erfunden und breitete sich rasch in
Europa aus. Minigolf war der Siegeszug eines Zeitgefühls in einer Welt, in
der nach dem Krieg überall gebaut wurde.
Die Weite, die Größe, die Moderne machte den Leuten Angst. Zusammen mit der
Angst, die der Mensch kurz nach dem schlimmsten Krieg aller Zeiten vor sich
selber hatte, führte das zu einem psychologisch nachvollziehbaren Bedürfnis
nach niedlichen, vertrauten und gern auch sinnlosen Dingen: Kurbeltische,
Schlagermusik, Minigolf. Eine Hochzeit auch für den Gartenzwerg, ob in der
Politik oder im Vorgarten.
## Sisyphos war ein glücklicher Mensch
Der Autor wurde, wie viele seiner Generation, komplett durch Minigolf
sozialisiert. Wir spielten oft, schlecht und eigentlich nicht gern. Doch
wir spielten, sonst gab es ja nicht viel. Bespielten wir eine Bahn wie den
„Vulkan“, der wie ein Vulkankegel aussieht mit Krater oben drauf, wo der
Ball rein sollte, sahen wir den Ball entweder machtlos kurz vor dem Loch
zurückrollen oder über das Loch hinausschießen, gesetzt den Fall, wir
bekamen ihn überhaupt zielgerecht auf die Rampe.
Sisyphos war ein glücklicher Mensch – er bekam keine Minuspunkte. Wie oft
hatte ich Tränen des Zorns in den Augen und das obligatorische Stieleis
vermochte mich nicht zu trösten. Wie sehr war Minigolf zugleich Symbol für
und Vorbereitung auf ein sowie Ablenkung von einem Leben, das für die
„Generation Minigolf“ erstmals nach Krieg und Wirtschaftswunder wieder
Bedrohungen wie Arbeitslosigkeit und Armut bereithielt.
Zu Versagensängsten und ökonomischen Problemen kam auch das Bewusstsein für
ein drohendes ökologisches Inferno hinzu. Bis dahin war es in der
Bundesrepublik stets vorwärts gegangen, nun ging es häufig daneben: Der
„Vulkan“, die „Bodenwellen“, das „Netz“– sie stehen stellvertrete…
Leben.
Ich erinnere mich noch an den Tag, da ich mit etwa siebzehn Jahren neben
dem „Schrägen Kreis ohne Hindernis“ nach fünf Fehlversuchen wutentbrannt
den Schläger in den Wald warf und seither nie wieder einen anfasste. Die
generationstypischen Irrwege, die folgten, seien es Fehlversuche im Sucht-,
im Beziehungs-, im Arbeits-, im Bildungs- und im Sozialverhalten, vermochte
ich dadurch nicht zu beeinflussen: Der dunkle Dämon Minigolf lässt sich
nicht austricksen.
## Der große und der kleine Frust
Übrigens, heute ist er wieder im Kommen, natürlich in zeitgemäßen
Modifikationen. Da gibt es das Schwarzlichtminigolf, eine Kreuzberger
Einrichtung, mit der zum einen die Elternlobby Junkies von den
Minigolfbahnen vertreiben möchte, da diese im Schwarzlicht ihre Venen nicht
erkennen können. Zum anderen soll der Relaunch dem als altmodisch
verschrienen Sport einen modernistischen Anstrich verleihen.
Der Renner sind entsprechend auch Minigolf-Apps, mit denen man, während man
auf die Antwort der Quizduell-Partner wartet, vergeblich versucht, im
„Labyrinth“ einzulochen. Und sogar die alten Berliner Anlagen in der
Hasenheide oder am Landwehrkanal sind moderner geworden, denn sie haben
immerhin Club Mate in ihr Getränkesortiment aufgenommen. Ironisch fluchend
staksen ironisch gekleidete Bartträger zwischen den Bahnen herum und
übertünchen den großen Frust mithilfe des kleinen.
Denn dem Revival liegt eine tiefere Bedeutung zugrunde als nur eine weitere
von zahllosen 80er-Retromoden wie das Schlümpfesammeln, Jo-Jo oder
Seifenblasen zu sein: Auch hier handelt es sich um den Rückzug einer
zutiefst verunsicherten Generation in eine übersichtliche, warme Welt der
Kindheit und der Kindlichkeit.
Wie Schlumpf- und Säuglingsmützen, die aktive und passive Harmlosigkeit
ausstrahlen, hat das Kinderspiel Minigolf den Zweck einer geborgenen
Embryonalstellung gegen die böse Welt da draußen. Denn dort lauern auf die
Jugend, analog zu den in den 60ern Geborenen, unsichere
Arbeitsverhältnisse, ungewohnte Gefahren und eine nicht mehr zu
bewältigende Komplexität und Weite.
Das vergebliche Ringen mit dem „Vulkan“ im Minigolf verkörpert die
Kapitulation vor den Zusammenhängen. So steht die „Generation Minigolf“
eigentlich eher für ein generationsübergreifendes Phänomen. Von daher wäre
der Begriff „Mentalität Minigolf“ angebrachter, was ohnehin die schönere
Alliteration ist. Und auch Alliterationen schaffen eine ersehnte Ordnung,
die wie Golf und Minigolf die Seele schützt und warmhält.
29 Mar 2014
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Spießer
Nachkriegszeit
Kolumne Einfach gesagt
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