# taz.de -- Inklusion und Tourismus im Harz: Minigolf mit Klingelball | |
> Mitten im Harz steht eine deutschlandweit einzigartige Minigolfanlage. | |
> Nicht nur die Bahnen sind besonders, sondern auch das Konzept, denn vor | |
> diesen Bahnen sind alle gleich - egal, ob sie eine Behinderung haben oder | |
> nicht | |
Bild: Perfektion ist nicht das Ziel: Minigolfer mit Handicap | |
OSTERODE /HARZ | taz Im Schatten eines Baumes sitzen sich Renate Giesecke | |
und Olaf Strauß gegenüber. Sie unterhalten sich, aber ihr Blick fällt immer | |
wieder auf die wenig befahrene Straße. Die beiden erwarten Gäste, etwa 40 | |
sollen es werden – aber die lassen auf sich warten. Giesecke legt ihrem | |
Gegenüber die Hand auf den Arm: „Die kommen bestimmt gleich“, sagt sie, er | |
nickt. | |
Es ist alles geputzt, der Kühlschrank gefüllt, der Schalter der | |
Kaffeemaschine muss nur noch umgelegt werden. Nun gibt es für beide nichts | |
weiter zu tun – außer warten. | |
Olaf Strauß und seine Kollegin leben, seit sie denken können, in | |
Wohngemeinschaften in Osterode am Harz – betreuten Wohngemeinschaften für | |
Menschen mit geistiger Behinderung der [1][Harz-Weser-Werkstätten]. Bis zum | |
vergangenen Sommer haben beide ganzjährig in Werkstätten gearbeitet und | |
Auftragsarbeiten für Firmen erledigt. Giesecke stellte zuletzt Bauteile für | |
Labore her. Olaf Strauß montierte Rohre. Mit dieser Arbeit ist nun jedoch | |
bis zum Herbst Schluss, denn die beiden arbeiten den Sommer lang auf dem | |
Minigolf-Platz „Crazy Golf“. | |
Im August 2011 hat in Osterodes Ortsteil Riefensbeek-Kamschlacken diese | |
Minigolf-Anlage der etwas anderen Art eröffnet. Alle Bahnen sind | |
Einzelstücke und sollen von jedermann bespielbar sein – egal, ob mit oder | |
ohne Handicap, also Behinderung. Menschen ohne Behinderung können das | |
Spielen mit Handicap ausprobieren: Sie können sich in einen Rollstuhl | |
setzen oder eine abgedunkelte Brille aufsetzen und mit einem klingelnden | |
Ball spielen, der auch für Blinde geeignet ist. | |
Seit der Eröffnung sind Giesecke und Strauß jeweils von Mai bis Oktober | |
beim Crazy Golf angestellt. Und das erste Mal in ihrem Leben nehmen sie | |
seither einen etwas weiteren Arbeitsweg auf sich. Oft nimmt ein | |
Essenslieferant der Harz-Weser-Werkstätten sie mit, am Wochenende fahren | |
sie allein mit Taxi oder Bus – auch das ist neu für beide. Sie betreiben | |
den Kiosk, erklären den Gästen die Bahnen und sind auch für deren | |
Instandhaltung zuständig. Der neue Job gefällt ihnen. „Wir lernen viele | |
neue Leute kennen und sind immer draußen – besser könnten wir es nicht | |
haben“, sagt Giesecke. | |
Die Idee zu der Anlage hatten der Diplompädagoge Bernd Goltermann und sein | |
Kollege, der Heilerziehungspfleger Heiko Pflugmacher, bereits 2007. Beide | |
wollten das weitläufige Gelände der Harz-Weser-Werkstätten irgendwie | |
nutzen. Die wichtigsten Ziele: Es sollte ein Inklusionsprojekt sein, das | |
Menschen mit Behinderung in einen normalen Betrieb bringt. Und sie wollten | |
den Tourismus im Westharz stärker beleben. | |
Denn da, wo vor der Wende so viele Touristen kamen, dass in der Hochsaison | |
sogar Privaträume vermietet wurden, hat man nach dem Mauerfall den | |
Anschluss verpasst. Die Region ruhte sich auf bisherigen Tourismus-Erfolgen | |
aus und investierten nicht in Innovationen. Und so sind heute selbst in der | |
Hauptsaison zahlreiche Hotelzimmer nicht ausgebucht, und viele Restaurants | |
stehen leer. Dem Harzer Tourismusverband zufolge brachen die | |
Übernachtungszahlen in den niedersächsischen Harzkreisen Goslar und | |
Osterode in den 1990er Jahren um mehr als 20 Prozent ein. Und 2011 war der | |
Harz die einzige Ferienregion Niedersachsens, in der die Übernachtungen | |
sanken. | |
Diesem Trend wollten Goltermann und Pflugmacher mit dem Crazy Golf | |
entgegenwirken. Pflugmacher entwarf eine erste Spielbahn und baute sie | |
gemeinsam mit Mitarbeitern der Werkstätten. Im September 2007 wurde sie | |
Politikern und Unternehmern der Region präsentiert – in der Hoffnung, | |
Unterstützer für die Weiterentwicklung der Anlage zu finden. Tatsächlich | |
waren viele Firmen bereit zu helfen. Einige spendeten Geld oder | |
Baumaterial, andere werkelten gleich mit. Die Stadt Osterode zum Beispiel | |
veranlasste Menschen aus einer Jugendwerkstatt, beim Bau der Anlage zu | |
helfen. | |
Trotzdem vergingen vom ersten Spatenstich bis zur Eröffnung vier Jahre. | |
Renate Giesecke und Olaf Strauß bewarben sich auf eine bei den | |
Harz-Weser-Werkstätten ausgeschriebene Stelle und absolvierten ein | |
Praktikum, bevor sie den Job beim Crazy Golf bekamen. „Frau Giesecke kann | |
zwar nicht so gut rechnen, aber wenn sie drei Eis und eine Cola verkaufen | |
soll, nimmt sie ihren Taschenrechner oder scheut sich auch nicht, die Gäste | |
zu fragen, wie viel das kostet“, sagt Goltermann. „Die meisten Kunden | |
reagieren sehr positiv.“ | |
Ganz fertig ist die Anlage allerdings noch nicht. Von zwölf geplanten | |
Bahnen stehen acht, zwei sind im Aufbau, zwei weitere fehlen noch. Darum – | |
und weil die selbst konzipierten Anlagen manchmal haken und der Ball nicht | |
immer dort ankommt, wo man es erwartet hätte –, zahlen die Gäste keine | |
Gebühr. Vielmehr soll jeder nach dem Spiel so viel spenden, wie er möchte. | |
Bislang geht das Konzept auf, und die Anlage kann kostendeckend betrieben | |
werden. Nur wenn es zu stark regnet, muss die Bahn schließen. „Das ist | |
blöd, dann ist es hier langweilig und es fehlt natürlich auch was in der | |
Spendendose“, sagt Giesecke. | |
Wer zum Spielen herkommt? Vor allem Firmen oder Schulklassen; auch etliche | |
Kindergeburtstage werden hier gefeiert. Aber noch stammen die meisten Gäste | |
aus der Nähe. Denn solange die Anlage nicht komplett ist, wird sie | |
außerhalb der Region nicht beworben. | |
Die für heute angemeldete Gruppe ist inzwischen angekommen. Olaf Strauß | |
teilt die Schläger aus und erklärt die einzelnen Bahnen, Renate Giesecke | |
verkauft Kaffee und Eis und klönt mit den Gästen. Gerade hat „ihre“ Anlage | |
zwei Preise gewonnen: den Elisabeth-Preis der Caritas Hildesheim und den | |
Mitmenschpreis des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe e.V. | |
Vielleicht helfen diese Auszeichnungen, die Anlage auch über den Harz | |
hinaus bekannt zu machen. Dann könnten Renate Giesecke und Olaf Strauß | |
sicher seltener im Schatten der Bäume sitzen – doch das würde sie überhaupt | |
nicht stören. | |
24 Jul 2012 | |
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## AUTOREN | |
Kathrin Otto | |
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Harz | |
Spießer | |
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