| # taz.de -- Die berühmteste Pommesbude Belgiens: Einig Frittenvolk | |
| > Für Belgier sind Fritten ein Nationalheiligtum. Belgiens berühmteste | |
| > Pommesbude, das Maison Antoine, ist gleich neben dem EU-Parlament. | |
| Bild: Pommes frites: Sie allein schon sind einen Besuch in Belgien wert. | |
| BRÜSSEL taz | Na ja, eine Schönheit unter Brüssels Plätzen ist die Place | |
| Jourdan nicht gerade. Asphaltiert und vollgeparkt, Müllcontainer hier, | |
| Absperrgitter dort, einige Gründerzeitgebäude, viele Cafés, manches ist | |
| etwas heruntergekommen. Die Platanen ringsum fangen gerade erst an zu | |
| grünen. Und in der einen Ecke steht ein gedrungener Trumm von Gebäude, | |
| hässlich dunkelbraun, achteckig mit Spitzdach; davor eine bunte Skulptur | |
| einer Frittentüte. Das ist die berühmteste Frittenbude Belgiens, das | |
| [1][Maison Antoine.] | |
| Die Warteschlange an diesem Aprilmittwoch ist wieder lang genug, um den | |
| leichten frischen Fettgeruch ausgiebig zu beschnüffeln. Eine Gruppe | |
| dänischer Schüler steht an für ihre pomfritter, zwei englische Ladys reden | |
| vorfreudig über die typical Belgian chips. Die beiden ungeduldigen | |
| Anzugträger hinter mir vertreiben sich die Zeit mit deutschem Genöle: „Was | |
| das wieder dauert …“ - „Wird alles mit Liebe gemacht. Gehört wahrscheinl… | |
| zur Tradition …“ - „Glaub ich nicht, die Verkäuferin ist so lahm …“ | |
| Man kann, wie an den meisten Fastfoodbuden der Welt, auch hier Würste | |
| haben, Burger, Hähnchen oder sogar Schnecken (10 Stück für 3,50 Euro). Will | |
| aber niemand. Alle wollen nur ihre Pommes. Die mächtigen Friteusen im | |
| Innern zeigen 138 Grad für Garvorgang 1; für Durchgang 2, die Endbräunung, | |
| 170 Grad. So muss es sein. | |
| Die große Portion, klassisch gereicht in der Tüte, kunstvoll aus sieben | |
| einzelnen Lagen Papier gerollt, kostet 2,70 Euro; obendrauf kommt heute | |
| eine große Ladung Sauce Américaine. Elf Minuten hat es gedauert. Das ist | |
| passabel. Reiseführer warnen vor 30 Minuten an Wochenenden; ich selbst habe | |
| hier sonntags mal 36 Minuten hungrig angestanden. | |
| Das Maison Antoine in Brüssels Europaviertel, fußläufig nah zu Parlament | |
| und Kommissionsgebäuden, gegründet 1948, betrieben in 3. Generation der | |
| Familie Desmet, ist Mythos seiner selbst. Kein Ranking ohne es, kein | |
| Stadtführer ohne Hinweis. | |
| ## Sauce Andalouse auf dem Schlips | |
| Als sicher gilt, dass hier fast jedeR EU-Abgeordnete schon mal mit | |
| Majonnaise-Klecksen auf dem Schlips oder Spritzer von Sauce Andalouse auf | |
| dem Kostüm abgelichtet wurde. EU-Beamte aus Südeuropa holen hier ihre | |
| patates, ihre patatas oder batatas fritas und patate fritte, Kroaten und | |
| Slowenen futtern ihre pomfrit, Esten ihre friikartulid, der Pole seine | |
| frytki. | |
| Einig EU-Frittenvolk. Als neulich eine Wirtschaftsdelegation aus dem | |
| Emsland in Brüssel war, um über Lobbyismus zu lernen, ging es als | |
| Reisehöhepunkt gemeinsam an die Antoine-Fritten. Das launige Fazit des | |
| Reiseleiters: „Die Mitgliedschaft im Wirtschaftsverband bietet nicht nur | |
| Mehrwerte, sondern auch Nährwerte!“ | |
| Pro Woche wird hier gut eine Tonne Fett verbrutzelt, geliefert in Blöcken, | |
| groß wie Schuhkartons. Und bitte, wie es in ganz Belgien kulinarischer Usus | |
| ist: kräftiges Rinderfett und nicht billiges Palmöl wie bei uns. Der | |
| Geschmack ist etwas ungewohnt für deutsche Zungen, empfindliche Naturen | |
| können beim Erstkontakt Magengrummeln bekommen. | |
| ## Die Fritten von nebenan | |
| Mit der Tüte in der Hand geht es auf die harten Parkbänke vor dem Maison. | |
| Knabbernd gilt es, sich der vielen Tauben zu erwehren. Die beiden Britinnen | |
| sind samt Tüte in eines der vielen Cafés nebenan gegangen und haben sich | |
| noch ein frisch gezapftes Grimbergen dazu bestellt. Fünf Kneipen haben an | |
| ihren Türen Schilder angebracht: „Fritten akzeptiert“. Was ihren eigenen | |
| Küchen Konkurrenz macht. Aber Extrakundschaft bringt. | |
| Auch König Albert II. hat sich, so die Legende, im Maison Antoine schon im | |
| Taxi vorfahren und eine Tüte holen lassen, die Fritten übrigens aus der | |
| Sorte Agria, einer Spezialzüchtung der Bintje-Kartoffel. Bestätigt ist bei | |
| Hofe, dass Albert seinen 70. Geburtstag auf Schloss Laeken mit Pommes | |
| frites feierte, vor Ort gebrutzelt von einem mobilen Einsatzkommando des | |
| Maison Antoine. Vom neuen König Philippe sind noch keine spezifischen | |
| Amouren zum Maison bekannt. | |
| Mit Fritten (erfunden von Maasfischern im 18. Jahrhundert) kann man in | |
| Belgien die Welt erklären. Karl-Heinz Lambertz aus Eupen, der | |
| Ministerpräsident der Ostkantone, zieht geopolitische Vergleiche: „Fritten | |
| sind wie Europa: Außen hart, innen weich, aber verdammt abhängig vom Öl.“ | |
| Und sie haben, so Lambertz, völkerverbindende Kraft: „Auch Chinesen lieben | |
| sie wegen ihres perfekten Designs: Essen und Essstäbchen in einem.“ In | |
| Belgien sind sie ein identitätstiftendes Nationalheiligtum über alle | |
| Sprachgrenzen hinweg. „Fritten singen“, sagt der Volksmund, wenn sie im | |
| Fett glücklich schmurgelnd umherschwimmen. In Brügge steht das einzige | |
| Frittenmuseum der Welt. In deren Cafeteria gibt es - frische Fritten. | |
| ## Auch ein Thema für Gourmetköche | |
| Auch Sterneköche backen in Belgien Fritten. In den Edelküchen anderer | |
| Länder gelten Fritteusen als prolliges No-Go: zu platzraubend, zu | |
| vollfettend, unnötig. Belgische Gourmetköche referieren gern über | |
| Fettmischungen, Spezialtricks der Garvorgänge, über Handcut-Techniken beim | |
| Zerlegen der Kartoffeln, Abkühlen, Abtupfen, ideale Stäbchendicke und die | |
| chemischen Problematiken der beiden Feinde Fett und Wasser. | |
| Lionel Rigolet ist „Le Chef“ des renommiertesten Restaurants in Brüssel, | |
| des Comme Chez Soi (Wie zu Hause) mit zwei Michelin-Sternen. „Wir haben | |
| unsere Friteuse immer startklar“, sagt er, für Sonderwünsche, als | |
| gelegentliche Beilage oder wenn Gourmetgäste Kinder sind. Essen, meint | |
| Rigolet, beinhalte „immer die ganze Bandbreite. Die große Küche ist ein | |
| Genuss, zum kleinen Vergnügen gehört eine gute Fritte.“ Kann man als | |
| belgischer Spitzenkoch überleben ohne Fritten? „Ja“, sagt Edelkoch Seppe | |
| Nobels aus Antwerpen, „wenn man ein Nudelrestaurant aufmacht.“ | |
| ## Auch Mick Jagger war schon da | |
| Im Maison Antoine sind Johnny Hallyday und Helmut Lotti per Aushang als | |
| Kunden dokumentiert, ebenso Catherine Deneuve und Mick Jagger. „Die besten | |
| Fritten der Welt“ hat mal die New York Times geschrieben - aber bitte, kann | |
| ein verlässlicher Richter aus einem Land kommen, das die große belgische | |
| Erfindung „French Fries“ nennt? | |
| Ohnehin ist das Geschmackssache. Brüsseler Insider haben ihre Geheimtipps: | |
| Justine Henin, die ehemalige Nummer eins im Welt-Damentennis, schwört auf | |
| eine andere Bude in der Innenstadt, Sternekoch Rigolet freut sich immer auf | |
| die Herbstkirmes. „Da kommt immer so ein mobiler Wagen. Da freue ich mich | |
| jedes Jahr drauf.“ | |
| Immer neue Rankings und Tests gibt es in Belgien, dazu den „Frituristen des | |
| Jahres“ - ein Titel, den das Maison Antoine 2012 holte. Längst gibt es für | |
| Brüssel eine Pommes-App mit 50 verschiedenen Frietkot, wie die Buden so | |
| unappetitlich für deutsche Ohren heißen. Landesweit untersucht das Magazin | |
| Test Aankoop, so was wie die belgische Stiftung Warentest, auch die | |
| Pommesbuden. Da gibt es seitenlange Tabellen mit Fettanalysen, Fettanteil | |
| (zwischen 8 und 31 Prozent), Preis pro 100 Gramm, | |
| Köstlichkeitskoeffizienten. Die größte Portion hatte (ohne Majonaise) | |
| fettige 2.000 Kilokalorien. | |
| 1 Jan 1970 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.maisonantoine.be/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
| ## TAGS | |
| Brüssel | |
| Reiseland Belgien | |
| Fast Food | |
| Algerien | |
| Burger King | |
| Bürger | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gastronom über Pommes Frites: „Anfassen gehört zum Genuss dazu“ | |
| Wie macht man die perfekten Pommes? Ein Gespräch mit Vladislav Gachyn, | |
| Betreiber des De-luxe-Imbiss „Goldies“, über Belgien, Frittierzeiten und | |
| Knuspertexturen. | |
| Belgien – Algerien (Gruppe G): Manneken pisst spät | |
| Der Geheimfavorit Belgien ist so geheim, dass er sich 65 Minuten lang auf | |
| dem Platz versteckt. Dann wird es besser. Immerhin: Algerien kann Elfmeter. | |
| Burger King in Deutschland: Beschäftigte systematisch gedisst | |
| Bei Burger King in Deutschland häufen sich die Missstände. Nun will der | |
| Mutterkonzern auf Franchisenehmer Druck ausüben – zumindest in | |
| Hygienefragen. | |
| Und noch ein Hype: Der Burger-Bullshit | |
| Alle essen Burger – und sitzen dabei in Wohnzimmerläden mit Grill. Und wir | |
| dachten, Fast-Food-Fleisch sei von gestern. Ist es auch. |