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# taz.de -- Nachruf auf Ernesto Laclau: Gesellschaft als unmögliches Objekt
> Der argentinische Postmarxist Ernesto Laclau ist tot – er war Autor von
> „Hegemonie und radikale Demokratie“ und ein einflussreicher Theoretiker.
Bild: Für Ernest Laclau gab es nur Versuche, sich durch kontingente Inhalte so…
Es gibt Theoretiker, die sterben, wenn man sie gerade am dringendsten
braucht. Das war bei Lenin so und ist jetzt bei Ernesto Laclau, der am
Sonntag in Sevilla im Alter von 78 Jahren einem Infarkt erlag, nicht
anders. Laclau hatte in den letzten Jahren wieder angefangen, sich mit dem
Populismus als politischer Erscheinung und als Begriff auseinanderzusetzen.
1938 in Buenos Aires geboren, war Laclau in den 1960er Jahren als Mitglied
der Sozialistischen Partei Argentiniens an der radikalen Kritik und
Zersetzung der Staatsapparate beteiligt, die von einer Oligarchie
beherrscht wurden, die das Land regiert hatte. In diesem Kontext war es für
Laclau vollkommen verständlich, dass man sich die Forderungen des Volkes,
den Prozess der Massenmobilisierung und ideologischen Massenformierung
nicht einfach in Klassenbegriffen vorstellen konnte.
Deshalb wurde für ihn die Frage nach dem, was man die demokratische oder
nationale Anrufung des Volkes nennt, zentral. Bis zuletzt verteidigte er
deshalb die aktuellen Populismen der linken südamerikanischen Regierungen,
die seiner Meinung nach den dort gangbaren Weg der Emanzipation zeigten,
weil sie den Bevölkerungen in ihrem Populismus ihre Heterogenität ließen.
Aus der argentinischen Erfahrung heraus stritt er dem klassischen Marxismus
mit seinem ökonomischen Reduktionismus und der Theorie des Klassenkampfes
jede Wirkmacht ab im Prozess der Emanzipation. Deshalb war es auch kein
Wunder, dass sich Laclau, nachdem er 1969 nach Europa gekommen war, in den
1980er Jahren auf die Seite der neuen sozialen Bewegungen schlug.
## „Hegemonie und radikale Demokratie“
Sein bekanntestes Buch „Hegemonie und radikale Demokratie“, das er zusammen
mit Chantal Mouffe verfasste, erschien 1985. Man kann es als einen Versuch
lesen, diesen Bewegungen eine angemessene Theorie zu liefern. Eine Theorie,
die aber immer eine Theorie zweier Aktivisten in Aktion ist. In Aktion sind
die beiden auch deshalb, weil sie einen Kampf an der Begriffsfront gegen
die Hegel’sche Vorstellung des „konkreten Allgemeinen“ führen, die bei M…
noch nicht überwunden ist. Eine Wiedervereinigung des Partikularen oder
Besonderen mit dem Allgemeinen gab es für sie nicht.
Die Fülle der Gesellschaft war für sie ein unmögliches Objekt, in ihrer
Mannigfaltigkeit oder Vielheit weder darstellbar noch repräsentierbar. In
diesem Sinn gibt es für sie keine Gesellschaft, sondern nur Versuche, sich
durch kontingente Inhalte so etwas wie eine Gesellschaft zu formen. Und der
Prozess dieser Formung ist die Hegemonie, ohne die es überhaupt keine
gesellschaftlichen Institutionen gibt.
Ein Prozess, der für Mouffe/Laclau in dem Moment radikal demokratisch wird,
in dem er die Zufälligkeit seiner Kriterien und dadurch geschaffenen
Tatsachen bedenkt und für Veränderungen offen hält. Veränderungen, die dann
natürlich auch die Identitäten der in der Gesellschaft agierenden Subjekte
betreffen.
Denn auch die Identität ist nichts anderes als die Differenz, als der
unüberbrückbare Graben zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen. Eine
These, mit der man im aktuellen Europa die Identität als zentrale Kategorie
in den Reden von Beppo Grillo, Viktor Orbán, Marie Le Pen und Geert Wilders
sehr gut abwehren kann.
14 Apr 2014
## AUTOREN
Cord Riechelmann
## TAGS
Argentinien
Nachruf
Syriza
Politische Theorie
Demokratie
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