| # taz.de -- Bela B. über Karma, Politik und Musik: „Ich habe Spaß an der Ir… | |
| > Bela B. von den Ärzten heißt eigentlich Dirk Albert Felsenheimer – und | |
| > mag auffällige Frisuren. Ein Gespräch über politisch missbrauchte Songs | |
| > und Spermaflecken. | |
| Bild: „Das Auge rockt mit“: Bela B. sagt von sich selbst, dass er eitel ist | |
| sonntaz: Bela B., wann hatten Sie das letzte Mal Sex in einem Auto? | |
| Bela B.: Oh, das ist schon eine Weile her. | |
| Offensichtlich können Sie sich aber noch ganz gut erinnern. „Sentimental“, | |
| ein Song auf Ihrem neuen Album, handelt davon, wie Sie auf der Rückbank | |
| eines Wagens auf dem eigenen Spermafleck sitzen. | |
| Der Song ist schon etwas älter, den habe ich ursprünglich mal für Die Ärzte | |
| geschrieben. Ja, der Spermafleck, über den stolpern alle. | |
| Das wundert Sie jetzt nicht wirklich. | |
| Ich muss zugeben, dass ich mich über den Kontrast zwischen dem großen, | |
| schwermütigen, tragischen Liebeslied und dem profanen Wort Spermafleck | |
| totlachen könnte. Aber in der ersten Fassung war das Wort Spermafleck sogar | |
| noch fünf- oder sechsmal drin. Dann habe ich ewig an dem Song | |
| herumgeschraubt, jedes Mal fiel ein Spermafleck raus … | |
| Und jetzt ist das Wort nur noch einmal drin. | |
| Genau. Und jetzt ist der Song viel besser, lange nicht mehr so platt. | |
| Platt passt also besser zu den Ärzten? | |
| Das würde ich jetzt auch wieder nicht so gesagt haben wollen. Auch die | |
| erste Fassung hat gut funktioniert. Aber das war schon sehr plakativ. | |
| Mittlerweile ist mir an „Sentimental“ aber der melancholische Aspekt | |
| wichtiger. | |
| Oder war das Angst vor der eigenen Courage? | |
| Nein, gar nicht. Ob ein Wort wie Spermafleck einmal oder fünfmal in einem | |
| Song auftaucht, ist auch egal, der wird so oder so nicht im Radio gespielt. | |
| Schon Die Ärzte wurden immer wieder indiziert. Setzen Sie jetzt diese | |
| Tradition auch als Solist fort? | |
| Ach, so ein einzelner Spermafleck führt dann wieder nicht zur Indizierung. | |
| Die Radiosender spielen so einen Song einfach nicht, da braucht es gar | |
| keine Indizierung. | |
| Ist das Teil einer neuen Schamhaftigkeit? | |
| Nein, ein Spermafleck hatte es schon immer schwer im Radio. Aber man fragt | |
| sich schon, was da gerade los ist in der Welt. Auf der einen Seite wird | |
| alles immer offener, Lars von Trier hat einen vierstündigen Porno gedreht, | |
| und die ganze Welt kann es kaum erwarten, den Film zu sehen. Auf der | |
| anderen Seite hat man in Baden-Württemberg oder Russland Angst vor | |
| Homosexualität. | |
| Können Sie als Vater die protestierenden Eltern in Baden-Württemberg | |
| verstehen? | |
| Da muss ich jetzt aufpassen, wie ich das formuliere. Ich will es mal so | |
| sagen: Wenn Leute, die wirklich Dreck am Stecken haben, ihren | |
| Heiligenschein aufpolieren wollen, dann sind sie bei „Ein Herz für Kinder“ | |
| und ähnlichen Aktionen dabei, spenden öffentlich eine Million und halten | |
| publikumswirksam ihre Botoxfressen in die Kamera. Denn Kinder gehen immer. | |
| Uns aber wird glauben gemacht, die ganze Welt besteht aus Räuber | |
| Hotzenplotz und Rumpelstilzchen, die unsere Kinder verderben, missbrauchen | |
| oder gleich umbringen wollen. Unter dem Deckmäntelchen, gegen Pädophilie | |
| vorzugehen, werden dann homophobe oder auch fremdenfeindliche Ideen | |
| umgesetzt. Und in dem Zug kommen Parteien nach oben, die zwar nicht mehr | |
| NPD heißen, aber dafür Pro NRW. Da macht man sich schon Gedanken, denn ich | |
| möchte nicht, dass mein Kind in einer homophoben Welt aufwächst. | |
| Das scheint Sie ja ganz schön aufzuregen? | |
| Ach, eigentlich nicht. Man muss da vorsichtig sein. Es ist ein sehr | |
| schmaler Grat, wenn man als öffentliche Person für etwas einsteht. Da kommt | |
| schnell der Verdacht der Eigenwerbung auf. Man muss auch aufpassen, dass | |
| man nicht anfängt, sich wichtiger zu nehmen, als man ist. Ich spende auch | |
| gern mal was, aber das tu ich dann heimlich und auch für mich, um mein | |
| Karmakonto auszugleichen. | |
| Sie engagieren sich aber immer wieder auch gerne mal öffentlich für die | |
| gute Sache. Die Ärzte werben zum Beispiel für Viva con Agua, die in | |
| Entwicklungsländern Brunnen bauen. | |
| Wir sagen, die Leute sollen bei den Konzerten für | |
| //www.vivaconagua.org/:Viva con Agua ihre Bierbecher auf die Bühne werfen. | |
| Jeder Becher bringt einen Euro Pfand, am Ende sind dann ein paar tausend | |
| Euro zusammengekommen. Dafür halten wir gerne den Kopf hin – und hoffen, | |
| dass die Becher immer leer sind, wenn sie angeflogen kommen. Mittlerweile | |
| bin ich sogar Stifter der Viva-con-Agua-Stiftung und demnächst nehme ich | |
| mit Irie Révoltés … | |
| … einer Reggae- und Dancehall-Band, die aus Heidelberg stammt … | |
| … einen Song für Viva con Agua auf. Aber, um ehrlich zu sein, weil ich | |
| endlich auch mal Dancehall machen wollte. Und das ist doch ideal: Das mag | |
| für einen guten Zweck sein, macht aber auch und zuerst Spaß. | |
| Fühlen Sie eine Verpflichtung, sich zu engagieren? | |
| Ja, diese Verpflichtung gibt es durchaus. Gerade als Die Ärzte sich 1993 | |
| wiedervereinigt haben, war das ja die Zeit, in der Deutschland seine | |
| hässlichste Fratze gezeigt hat. In den Jahren zuvor waren Hoyerswerda, | |
| Rostock-Lichtenhagen oder Mölln passiert, und da wussten wir, wenn wir | |
| zurückkommen, dass wir als eine der bekanntesten deutschen Rockbands ein | |
| Statement dazu abgeben müssen. | |
| Warum? Die Ärzte galten als weitgehend unpolitische Fun-Punks. | |
| Ja, wir waren damals die subversivste Bravo-Band oder die kommerziellste | |
| Underground-Band, wir hatten ein sehr ambivalentes Image. Wir hatten bis | |
| dahin nie ausdrücklich politische Songs gemacht, haben uns aber nie als | |
| unpolitisch gesehen. Als Punk konnte man sich gar nicht als unpolitisch | |
| sehen. Außerdem muss man wissen, dass sich bei unseren Konzerten – wie bei | |
| anderen Punkkonzerten auch – schon mal Skinheads herumgetrieben haben, die | |
| sich zwar nie selbst als Nazis gesehen hätten, aber als Witz schon mal den | |
| Hitlergruß gezeigt haben. Das war in der Punk-Szene damals durchaus ein | |
| probates Mittel, um zu schockieren. Deswegen hatten wir das Gefühl, wir | |
| brauchen einen Song, der ein eindeutiges, klares Statement ist, waren aber | |
| sehr unsicher, weil so etwas leicht ins Peinliche kippen kann. 1993 haben | |
| wir dann „Schrei nach Liebe“ als erste Single nach unserer | |
| Wiedervereinigung herausgebracht. Und heute bin ich sehr stolz, dass Jan | |
| und mir aus der Verzweiflung heraus das beste Anti-Nazi-Lied gelungen ist, | |
| das je eine deutsche Band geschrieben hat. Okay, BAP denken das von | |
| „Kristallnacht“ wahrscheinlich auch, aber das ist ja nicht mal Deutsch, was | |
| die da singen. | |
| Was kann so ein Song erreichen? | |
| Er kann helfen. Es gab vor einigen Jahren mal ein Spiel von Hansa Rostock | |
| beim FC St. Pauli, in dessen Vorfeld die Nazis im Internet massiv | |
| mobilisiert hatten, das Stadion zu stürmen. Ich war damals bei dem Spiel im | |
| Stadion und die Stimmung war sehr seltsam, sehr beklommen, unheimlich | |
| still. Und in diese Stille hinein wurde – ich hatte damit nichts zu tun – | |
| „Schrei nach Liebe“ gespielt. Das hat geholfen, das hat Mut gegeben und die | |
| ängstliche Stimmung vertrieben. | |
| Auf der anderen Seite passiert es den Ärzten – wie anderen Bands auch – | |
| immer wieder, dass ihre Songs von rechten Bands adaptiert werden. | |
| Ja, das ist eine Masche, die nicht ganz neu ist. Erst letzte Woche haben | |
| wir zusammengesessen und mussten aus aktuellem Anlass mal wieder | |
| beratschlagen, wie man verhindern kann, dass rechtsradikale Parteien auf | |
| Demonstrationen Songs von uns wie „Deine Schuld“ spielen können. | |
| Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Song missbraucht wird? | |
| Das ist natürlich schrecklich. Die nehmen sich Songs, deren Text man falsch | |
| verstehen kann. Aber Hoffnung macht, dass diese Taktiken ja offensichtlich | |
| nicht sonderlich erfolgreich waren. Einen großen Zulauf scheinen sie | |
| jedenfalls nicht ausgelöst zu haben. Eher im Gegenteil, die Nazis schaden | |
| sich mit solchen Verwirrspielen eher selbst – wenn nämlich so ein | |
| rechtsnationaler schwarzer Block, der aussieht wie ein Haufen | |
| Antifa-Autonome, von den Alt-NPDlern nicht mehr verstanden wird. Aber | |
| generell sollten wir alle uns nicht so sehr darüber aufregen, sonst haben | |
| die nämlich geschafft, was die wollen. Die wollen doch nur ihre Gegner | |
| ärgern, indem sie auf rechtsradikalen Demos auch Songs von Bands spielen, | |
| die sich eindeutig links bekennen. | |
| Solch eine Aneignung ist also vor allem eine Provokation. Da kennen Sie | |
| sich ja aus? | |
| Ich? Ich will gar nicht provozieren. Ich habe Spaß an der Irritation. | |
| Die Ärzte galten lange als am häufigsten indizierte Band Deutschlands. | |
| Wir haben die Indizierungen damals als Zensur verstanden. Die Leute haben | |
| uns sogar vorgeworfen, wir hätten diese Indizierungen absichtlich | |
| provoziert, um unseren Ruhm zu mehren. Als wäre das eine Masche gewesen. | |
| Tatsächlich gab es nach uns Bands, die versucht haben, absichtlich | |
| Straftatbestände in Songs reinzubauen, um indiziert zu werden. Das hat dann | |
| oft genug nicht geklappt, während wir indiziert wurden, ohne dass wir das | |
| gewollt hätten. Ich kenne einen Song über Inzest von einer Band, der ist | |
| nie verboten worden – weil er nie jemanden gekümmert hat. So einfach ist es | |
| nämlich auch nicht mit dem Provozieren. | |
| Darf Ihr fünfjähriger Sohn denn Ihre neues Album hören? | |
| Ja, klar. Aber es gibt sicher Songs, an denen ich beteiligt war, die würde | |
| ich ihm nicht vorspielen. | |
| Das indizierte „Schlaflied“ von den Ärzten? | |
| Ja, zum Beispiel. Aber die Verantwortung haben alle Eltern. Ich finde das | |
| Lied immer noch großartig. Farins Idee eines Schlafliedes, das einem so | |
| viel Angst macht, dass man erst recht nicht mehr einschlafen kann, das ist | |
| genau der Humor, den ich liebe. Das würde ich zwar meinem Sohn noch nicht | |
| vorspielen, weil er sonst nicht einschlafen könnte. Trotzdem verstehe ich | |
| ich die Indizierung des „Schlafliedes“ nicht, denn Kinder haben sich das | |
| bestimmt nicht gekauft, um sich damit selbst in den Schlaf zu wiegen. Und | |
| Elfjährigen kann man das „Schlaflied“ schon ohne Bedenken vorspielen. | |
| „Geschwisterliebe“ ist vielleicht der einzige Ärzte-Titel, bei dem ich eine | |
| Indizierung halbwegs verstehe, obwohl ich Zensur natürlich grundsätzlich | |
| ablehne. Alle anderen unserer Indizierungen finde ich geradezu lächerlich. | |
| Ein anderer berühmter indizierter Song ist „Claudia hat ’nen Schäferhund�… | |
| der von Sodomie handelt. Was sagen Sie einem Fünfjährigen, der fragt: Was | |
| macht denn die Claudia mit dem Schäferhund unterm Tisch? | |
| Das erkläre ich dir später, wenn du groß bist. Und jetzt iss deinen Teller | |
| auf … Ich glaube, so ein Song ist nicht gefährlich für Kinder. Kinder | |
| machen doch einfach zu, wenn sie etwas nicht verstehen. Indizierungen sind | |
| in erster Linie für Erwachsene gemacht. | |
| Ob ungewollt oder nicht: Die Provokation diente den Ärzten als erfolgreiche | |
| Marketingstrategie. | |
| Das ist ein Vorwurf, der schon deshalb nicht stimmt, weil man durch so eine | |
| Indizierung erst einmal tatsächlich weniger Platten verkauft. Wenn die | |
| Platte dann trotzdem Erfolg hat, dann hat das zuletzt damit zu tun, dass | |
| die Band indiziert wurde, es funktioniert nur, weil sie schon mit der | |
| Provokation auf sich aufmerksam machen konnte. Aber da muss man sich dann | |
| fragen: Warum provozieren die denn gerade? Vielleicht weil sie etwas | |
| ansprechen, das in der Luft liegt? Weil sie den Finger in eine Wunde legen? | |
| Und das kann im Idealfall sogar politisch sein. | |
| Wo ist die politische Ebene bei den Provokationen eines, sagen wir mal, | |
| Bushido? | |
| Zugegeben, das ist das Gegenbeispiel einer absichtsvollen Provokation, die | |
| trotzdem funktioniert. Dazu muss man aber wieder wissen, dass heutzutage, | |
| da es kein Musikfernsehen mehr gibt und kaum noch Radiosender, die Musik | |
| spielen, die nicht schon jeder kennt, Fernsehsender wie Pro7 und vor allem | |
| die Bild-Zeitung immer wichtiger werden, wenn es darum geht, Musik bekannt | |
| zu machen und zu verkaufen. Und die Bild-Zeitung bedient ein Bushido mit | |
| seinen pseudosubversiven Provokationen mustergültig. | |
| Ist Popmusik generell zu unpolitisch? | |
| Ich würde mir schon wünschen, dass Musik wieder weniger Beschwichtigung ist | |
| und mehr Relevanz bekommt. Dass dezidiert politische Bands wie die Goldenen | |
| Zitronen es aus der Nische heraus schaffen würden, dass bekannte Bands sich | |
| wieder mehr trauen – das sagt jetzt zwar ausgerechnet jemand, der auf | |
| seinem neuem Solo-Album selber ziemlich unpolitisch ist. Aber mir ist | |
| wichtig, wenn Musiker klare politische Standpunkte beziehen. Da muss ich | |
| dann aber als Fan auch damit leben, dass ein Alice Cooper während des | |
| Irakkrieges sich als übler Reaktionär entpuppte und die Bush-Fahne | |
| schwenkt. | |
| Böse Überraschung. | |
| Allerdings. Vorher war Alice Cooper für mich ein Sprachrohr für | |
| unverstandene Jugendliche. Ich habe „I Wanna Be Elected“ immer für einen | |
| politischen Song gehalten, für eine ironische Abrechnung mit Politikern, | |
| die sich nicht um Jugendliche kümmern. Ähnlich wie „Summertime Blues“ von | |
| Eddie Cochran. Beide Songs sagen: Ihr versteht uns nicht, und die Politik, | |
| die ihr macht, die macht ihr nicht für uns. | |
| Wird die Musik von Alice Cooper durch seine reaktionäre Einstellung | |
| schlechter? | |
| Finde ich schon, ein bisschen zumindest. Popmusik ist nun mal nicht nur | |
| einfach Musik. Auftreten, Stil, Haltung, das ist wichtig. Es gibt mir | |
| Kraft, wenn ich Leute wie Lemmy oder Iggy Pop auf der Bühne sehe. Die | |
| stellen auch etwas dar, weil sie aussehen, wie sie aussehen. Ist das gleich | |
| politisch? Links oder rechts? Nicht unbedingt, aber Stil bedeutet, dass man | |
| den Leuten auf der Bühne ansieht, wie ernst sie es meinen. Ich war eine | |
| Zeit lang ein Riesenfan von Hanoi Rocks. | |
| Eine finnische Glamrock-Band mit sehr extravaganten Frisuren. | |
| Ja, allerdings. Dass ich die gut fand, das hatte – muss ich zugeben – wohl | |
| mehr mit dem Aussehen als mit der Musik zu tun, denn die waren, seien wir | |
| ehrlich, nicht die allerbesten Songwriter. Aber was ich immer sage: Das | |
| Auge rockt mit. Die Erfahrung zeigt aber auch: Paradiesvögel gehen unter, | |
| wenn ihre Songs nichts taugen. Auf der anderen Seite können Superlangweiler | |
| erfolgreich sein, wenn ihre Musik großartig ist. Aber ich gebe gerne zu, | |
| dass ich nicht zu selten schon Platten nur deswegen gekauft habe, weil die | |
| Band auf dem Cover großartig aussah. | |
| Sie selbst haben auch die eine oder andere auffällige Frisur getragen. | |
| Ich bin eben eitel. Als wir 1993 zurückkamen, habe ich mir Glitzeranzüge | |
| nähen lassen, wie sie T. Rex oder The Sweet getragen haben, als ich ein | |
| Kind war. Ich dachte, das muss jetzt sein, solche Bühnenklamotten. Die habe | |
| ich zwei Jahre lang getragen, dann war es wieder gut. | |
| Welcher Aufzug war Ihnen retrospektiv peinlich? | |
| Sicher habe ich es oft auch übertrieben, aber peinlich? Ich habe mir 1994 | |
| einen Bay-City-Rollers-Anzug nähen lassen, so mit Karos. Aber als ich den | |
| anzog, wusste schon niemand mehr, wer die Bay City Rollers waren. | |
| In den Siebzigerjahren eine sehr bekannte Boygroup. | |
| Selbst ich kann mich heute nicht mehr an einen einzigen ihrer Songs | |
| erinnern. | |
| Früher, als die Haare noch nicht grau waren, haben Sie Ihre Haare in allen | |
| denkbaren Farben getragen. Heute, wo die Schläfen grau werden, wird nicht | |
| mehr gefärbt. | |
| Das ist sogar noch absurder: Früher habe ich mir eine Zeit lang die Haare | |
| an den Schläfen grau gefärbt, weil die Comic-Figur Mr. Fantastic von den | |
| Fantastischen Vier, die ich toll fand, graue Schläfen hatte. | |
| Gibt es eine Kunstfigur Bela B.? | |
| Ja, aber die unterscheidet sich kaum noch vom Privatmenschen. Als junger | |
| Punkrocker habe ich gesagt, ich gehe genauso auf die Bühne, wie ich auch | |
| privat rumlaufe. Mittlerweile, könnte man sagen, laufe ich privat rum, wie | |
| ich mich auf der Bühne anziehe. Ich glaube, ich komme mittlerweile ganz gut | |
| damit klar, wie ich bin und wer ich bin. Aber ich hatte immer den Wunsch, | |
| mich abzuheben. Für mich war Punkrock immer individueller als nur | |
| Nietenlederjacke und Irokesenschnitt. Ich habe als blutjunger Punk auf dem | |
| Flohmarkt eine türkisblaue Jacke gekauft, ABBA auf den Rücken geschrieben | |
| und um die beiden As einen Kreis gemacht – dafür wurde ich dann von einem | |
| Skinhead-Punk zusammengeschlagen. Da ist mir mein Hang zur Individualität | |
| nicht so gut bekommen. | |
| Sie sind extrovertiert, haben sogar eine Zweitkarriere als Schauspieler | |
| gestartet, doch Ihr Privatleben halten Sie recht konsequent unter | |
| Verschluss. | |
| Allerdings wurde mir auch schon mal vorgeworfen, ich würde mein Privatleben | |
| nur halbherzig geheim halten. Vor allem in der Zeit, als ich angefangen | |
| habe mit dem Schauspielern und öfter auf Filmpremieren war, da habe ich | |
| mich auch mal hinreißen lassen, in ein Mikro, was mir hingehalten wurde, | |
| einen Kommentar zu Boris Becker abzulassen. Da habe ich Dinge getan, die | |
| ich eigentlich schlimm finde, weil dieses Gelaber auf roten Teppichen die | |
| Welt nicht besser oder schöner macht. Ansonsten haben wir uns immer | |
| rausgehalten und uns, so weit es ging, nicht verbrüdert mit diesem | |
| Unterhaltungsbetrieb oder auch dem Musikgeschäft. Bloß weil ich Musiker bin | |
| und jemand anderes auch was mit Noten zu tun hat, ist der noch lange nicht | |
| mein Freund. Bestenfalls sind wir Kollegen im selben Betrieb und die | |
| Echo-Verleihung ist die Weihnachtsfeier – aber ich muss da nicht unbedingt | |
| hin. | |
| Die Ärzte gehören zu den erfolgreichsten deutschen Rockbands. Gibt es | |
| Momente, in denen Sie Ihre Prominenz verfluchen? | |
| Das kann man nicht kontrollieren. Ich versuche einfach, mich normal zu | |
| benehmen. Natürlich, wenn ich alle zwei Wochen mit 29.000 anderen zum FC | |
| St. Pauli ins Fußballstadion gehe, werden mir schon mal Handys ins Gesicht | |
| gehalten. Damit muss ich leben. Aber es gibt andere, die gehen mit sechs | |
| Bodyguards aufs Oktoberfest, die werden natürlich als Stars erkannt und | |
| entsprechend verfolgt. Es ist immer noch relativ einfach in Deutschland, | |
| unbehelligt zu bleiben. So lange die Boris Beckers dieser Welt in jede | |
| Talkshow rennen, um von ihren Problemen zu berichten, können Leute wie ich | |
| relativ ruhig leben. | |
| 22 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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