| # taz.de -- Katholizismus in Polen: Der Papst der Freiheit | |
| > Polens Katholiken feiern die Heiligsprechung „ihres Papstes“ Johannes | |
| > Paul II. – doch der Einfluss der katholischen Kirche im Land schwindet. | |
| Bild: Bald gibt es mehr Heiligenbildchen als Gläubige in Polen. | |
| WARSCHAU taz | „Einen Heiligen persönlich zu kennen: Das hat etwas | |
| Mystisches an sich“, sagt die Managerin im dunkelblauen Kostüm. Wie | |
| Tausende andere Warschauer ist sie auf den zentralen Pilsudski-Platz | |
| gekommen, um die Heiligsprechungszeremonie von gleich zwei Päpsten auf | |
| einer großen Leinwand mit zu verfolgen. | |
| Die 54-jährige Anna P. zieht ein kleines Fotoalbum aus der Tasche. „Hier – | |
| 1978 – da war ich 18 Jahre alt. Im selben Jahr wurde Karol Wojtyla zum | |
| Papst gewählt. Mitten im tiefsten Kommunismus.“ Anders als die meisten | |
| Polen sei sie nicht übermäßig gläubig, sagt sie, „dennoch hat mich dieser | |
| Papst immer beschäftigt. Als Mensch vor allem, aber auch als Politiker.“ | |
| Sie steckt das Album wieder weg. „Über Papst Johannes XXIII. weiß ich kaum | |
| etwas. Ein Kirchenreformer“. Sie zuckt die Achseln und lächelt: „Von seiner | |
| Reform ist hier in Polen, so befürchte ich, nicht allzu viel angekommen.“ | |
| Zwar versetzt die Heiligsprechung des „polnischen Papstes“ das Land in | |
| einen Ausnahmezustand ähnlich dem, den jede Pilgerreise des charismatischen | |
| Kirchenoberhauptes in seine alte Heimat einst auslöste: Die Straßen sind | |
| geflaggt – mit den weiß-gelben Fahnen des Vatikans und den rot-weißen | |
| Polens. In vielen Schaufenstern hängen Porträts des Heiligen, die | |
| Johannes-Paul-II.-Denkmäler sind mit Blumen geschmückt. | |
| Doch der Andrang zu den Plätzen mit den Großleinwänden hält sich in | |
| Grenzen. Statt der Millionen Gläubigen, die sich zu Lebzeiten Johannes | |
| Pauls II. auf den Weg machten, um seine Predigten zu hören oder ihm abends | |
| nur „Gute Nacht“ zu wünschen, sind es am Sonntag nur Hunderttausende, die | |
| sich die Übertragung aus Rom anschauen und dann in die Kirchen strömen. | |
| Dabei sind über 90 Prozent der 38 Millionen Polen katholisch. | |
| ## Religion wird Privatsache | |
| Es lässt sich nicht mehr leugnen: Der Katholizismus macht in Polen einen | |
| ähnlichen Wandel durch wie zuvor bereits in Westeuropa. Religion wird mehr | |
| und mehr zur Privatsache. Die polnischen Bischöfe und Priester verlieren an | |
| Einfluss. Lange schon sind die Kirchen nicht mehr so voll wie früher. | |
| Vor allem in den Städten gehen viele Gläubige nur noch an Weihnachten und | |
| Ostern zum Gottesdienst. Noch lassen die meisten ihre Kinder taufen und | |
| feiern mit ihnen die erste Kommunion. Doch vor den Traualtar treten immer | |
| weniger Paare. Selbst Polens Premier Donald Tusk heiratete erst kurz vor | |
| der Übernahme seines politischen Amtes. | |
| „Für mich ist eigentlich nur eine Lehre des Papstes wirklich wichtig“, sagt | |
| der 33-jährige Ingenieur Kamil B.: „Liebe und Barmherzigkeit.“ Vielleicht | |
| habe dies auch damit zu tun, dass er zur „Generation JPII“ gehöre, die mit | |
| dem polnischen Papst in Rom aufgewachsen sei. „Die Liebe, wie sie Karol | |
| Wojtyla verstand, öffnete unseren Horizont. Als er einen Zettel mit einem | |
| Wunsch in die Ritzen der Klagemauer in Jerusalem steckte, war das für mich | |
| ein Schlüsselerlebnis. Er hat sich offiziell für den jahrhundertelangen | |
| Antijudaismus der katholischen Kirche entschuldigt. Das muss man sich mal | |
| vorstellen!“ | |
| Für Polen, die mit dem Selbstbild des „ewigen Helden und Opfers“ | |
| aufgewachsen seien, sei das eine enorme Herausforderung gewesen. | |
| Der Ingenieur hebt seine quengelnde Tochter Marysia hoch und setzt sie sich | |
| auf die Schultern. „Wir lernten, dass man über sich selbst hinauswachsen | |
| kann, indem man Schuld zugibt und sich dafür entschuldigt. Das kannten wir | |
| nicht. Das war eine moralische Revolution.“ Auf einer seiner Pilgerfahrten | |
| nach Polen habe der Papst den damaligen Präsidenten Aleksander Kwasniewski | |
| ins Papamobil gebeten. „Vielen erschien das unfassbar. Immerhin gehörte | |
| Kwasniewski einst der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei an. Er diente | |
| einem Regime, das Karol Wojtyla verfolgt hatte, als dieser noch Bischof und | |
| Kardinal in Krakau war.“ | |
| ## Gläubige sind genervt | |
| Heute hingegen gingen von der katholischen Kirche Polens keine wichtigen | |
| Impulse mehr aus. Die ständigen Strafpredigten nervten die meisten | |
| Gläubigen nur noch. Die Pädophilie-Skandale in der Kirche würden immer noch | |
| unter den Teppich gekehrt. Und wenn es mal einen herausragenden Geistlichen | |
| gebe, dann werde dieser von seinen Vorgesetzten mundtot gemacht. | |
| Polens Präsident Bronislaw Komorowski mischt sich in die aktuellen | |
| Streitfragen der katholischen Kirche nicht ein. Zur Heiligsprechung der | |
| beiden Päpste flog er zusammen mit den beiden Expräsidenten Aleksander | |
| Kwasniewski und Lech Walesa nach Rom. „Wir verdanken Johannes Paul II. | |
| unsere Freiheit“, sagt der 61-Jährige. „Wer weiß, ob ohne diesen politisch | |
| so bewussten Papst die Mauer in Berlin gefallen wäre.“ | |
| Als sich 1978 die Kardinäle in Rom auf Karol Wojtyla als neuen Papst | |
| einigten, war das eine Weltsensation: kein Italiener, sondern ein Pole auf | |
| dem Heiligen Stuhl! Kaum jemand kannte damals diesen „Papst aus einem | |
| fernen Land“, wie sich Johannes Paul II. gleich in seiner ersten Ansprache | |
| an die Gläubigen in Rom vorstellte. | |
| Niemand ahnte, dass dieser charismatische Mann den Ostblock aus den Angeln | |
| heben würde. In Polen waren die Oppositionellen zwar voller Hoffnung, | |
| blieben jedoch abwartend. Die Parteifunktionäre hingegen ahnten bereits, | |
| dass ihnen dieser Papst gefährlich werden könnte. Alle Versuche des | |
| Geheimdienstes, Karol Wojtyla als Bischof und später Kardinal in Krakau zu | |
| desavouieren, waren misslungen. | |
| Als der neue Pontifex nur ein Jahr später bereits seine Heimat besuchen | |
| wollte, mussten Polens Kommunisten gute Miene zum bösen Spiel machen. | |
| 500.000 Menschen strömten auf den „Siegesplatz“ in Warschau, dem heutigen | |
| Pilsudski-Platz. | |
| ## Arbeiter und Intellektuelle kämpften gemeinsam | |
| Die Predigt und vor allem die letzten Worte – „Lass Deinen Geist | |
| herabsteigen und das Antlitz der Erde erneuern. Dieser Erde.“ – gab den | |
| Arbeitern und Intellektuellen Polens die Kraft, sich zum ersten Mal | |
| zusammenzutun und gemeinsam für eine bessere Zukunft zu kämpfen. | |
| An die Spitze der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc trat der | |
| Elektriker Lech Walesa von der Danziger Lenin-Werft. Zu seinen Beratern | |
| gehörten Intellektuelle wie Tadeusz Mazowiecki, Bronislaw Geremek oder Adam | |
| Michnik. „Der Papst hatte uns eine ungeheure Zuversicht gegeben, den | |
| Glauben an die Freiheit“, sagt Komorowski in einem Interview für die | |
| Katholische Nachrichtenagentur KAI. | |
| Im Dezember 1981 wusste sich General Jaruzelski keinen anderen Rat mehr als | |
| das Kriegsrecht über Polen zu verhängen, die Gewerkschaft zu verbieten und | |
| Tausende Dissidenten zu internieren, darunter auch Walesa und Komorowski. | |
| Damals zählte die Solidarnosc 10 Millionen Mitglieder. | |
| Doch nun prangerte der polnische Papst in Rom das Regime in Warschau und | |
| überhaupt im Ostblock offen an. Überall öffneten sich die Kirchen, boten | |
| den Verfolgten Schutz an und erlaubten Versammlungen und Vorträge ohne jede | |
| Zensur. 1989 war es so weit: Polen gewann als erstes Land des damaligen | |
| Ostblocks seine Freiheit zurück. Wie ein Dominostein nach dem anderen | |
| folgten weitere Ostblockstaaten, auch die DDR mit dem bis heute | |
| symbolischen Mauerfall in Berlin. | |
| „Für mich ist Johannes Paul II. der Papst der Freiheit“, so Komorowski. | |
| „Denn er lehrte uns nicht nur, für unsere Freiheit zu kämpfen, sondern | |
| auch, das Leben in Freiheit neu zu gestalten. Seine Rede im polnischen | |
| Parlament war ungeheuer wichtig für die Entwicklung der Demokratie in | |
| unserem Land.“ | |
| 27 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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