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# taz.de -- Polens Ex-Staatschef Jaruzelski ist tot: Verbrecher oder tragischer…
> Er verhängte das Kriegsrecht im Kampf gegen die Solidarnosc. Aber er
> öffnete Polen auch der Demokratie. Nun ist Wojciech Jaruzelski gestorben.
Bild: Wojciech Jaruzelski im September 2009.
WARSCHAU taz | Die schwarze Brille und die stets kerzengerade Haltung waren
sein Markenzeichen: nach langer Krankheit starb am Sonntag General Wojciech
Jaruzelski, von 1981 bis 1989 der letzte kommunistische Staatschef Polens.
1981 verhängte er im Kampf gegen die antikommunistische
Solidarnosc-Bewegung das Kriegsrecht.
„Ich bestätige, dass der General tot ist. Er hat seine letzten Tage auf der
Intensivstation verbracht“, sagte Kliniksprecher Grzegorz Kade. Demnach
starb Jaruzelski am Nachmittag und war bereits seit mehreren Monaten im
Krankenhaus behandelt worden. Im Juli 2011 hatte der General bekannt
gegeben, dass er an Lymphdrüsenkrebs litt. Jaruzelski war seit Jahren
gesundheitlich schwer angeschlagen und musste bereits mehrmals stationär
behandelt werden.
Vor ein paar Wochen hatte der greise General noch für seltsame Schlagzeilen
gesorgt: angeblich wollte sich seine Frau von dem 90-jährigen scheiden
lassen, da eine Krankenschwester wohl nicht nur das Kopfkissen
aufgeschüttelt hatte. Irritiert, ja verstört reagierten sowohl die
Leidtragenden des Kriegsrechts von 1981 als auch die Angehörigen der beim
Massaker von 1970 an der Ostseeküste zusammengeschossenen Arbeiter auf
diese letzte Eskapade des Ex-Kommunisten. Bis zuletzt hatten sie gehofft,
dass der General von einem Gericht zumindest schuldig gesprochen würde.
Wegen der Verhängung des Kriegsrechts wurde Jaruzelski 2007 angeklagt. Aus
gesundheitlichen Gründen blieben beide Verfahren für ihn aber folgenlos.
Seine Rolle in der Geschichte Polens ist zweideutig: War er nur ein
Verbrecher oder doch ein tragischer Patriot? Bis heute diskutieren die
Anhänger und Kritiker Jaruzelskis darüber, ob er sich in der Glasnost- und
Perestroika-Zeit des Sowjetführers Gorbatschow vom Saulus zum Paulus
gewandelt und Polen auf Reformkurs gebracht hat.
## Öffentliche Entschuldigungen
War es womöglich Jaruzelski, der durch die Zusammenarbeit mit dem
Arbeiterhelden Lech Walesa und dessen Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung
Solidarnosc die unblutige Machtübergabe der Polnischen Vereinigten
Arbeiterpartei 1989 ermöglicht hatte? Viele Polen halten dies für möglich.
Sie betonen auch, dass sich Jaruzelski für die Verhängung des Kriegsrechts
immer wieder öffentlich entschuldigt hat.
Etliche Polen gehen soweit, in Jaruzelski sogar einen tragischen Patrioten
zu sehen, der 1981 dem Einmarsch der Sowjets nur zuvorkam und die Polen
somit vor dem Schlimmsten bewahrte. Der Ex-General selbst wurde nicht müde,
diese Geschichtsversion in unzähligen Artikeln, Büchern und Interviews zu
verbreiten.
Doch sie scheint falsch zu sein. Allen bislang zugänglichen polnischen,
sowjetischen und DDR-Akten plante Moskau zu keiner Zeit einen Einmarsch.
Zwar hatte Jaruzelski die Kreml-Chefs mehrfach um „Bruderhilfe“ gebeten und
in Erich Honecker, der für die DDR eine Ansteckung durch den polnischen
„Freiheits-Karneval“ fürchtete, einen willigen Helfer gefunden, der bereits
war, einmal mehr deutsche Panzer gegen Polen rollen zu lassen. Doch Moskau
winkte ab.
Die Sowjets organisierten aber Militärübungen an Polens Ostgrenze, um
Jaruzelski Argumentationshilfe für sein Kriegsrecht zu geben. Zehn Jahre
später war es mit der Macht Jaruzelskis endgültig vorbei. 1990 trat er von
seinem Amt als Übergangspräsident der jungen Demokratie Polens zurück.
25 May 2014
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
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