# taz.de -- Beisetzung von Jaruzelski in Polen: Tumulte beim Staatsbegräbnis | |
> General Jaruzelski hatte 1981 das Kriegsrecht verhängt. 1989 trug er aber | |
> auch die Transformation zur Demokratie mit. Er spaltet das Land bis | |
> heute. | |
Bild: Vorne Musik vom Militärorchester, hinten Protest von Jaruzelski-Gegnern. | |
WARSCHAU taz | „Verräter!“, brüllt die aufgebrachte Menge vor der | |
polnischen Armeekathedrale in Warschau. Ein Mann in grauem Anorak heizt die | |
Stimmung per Megafon an: „Hammer, Sichel, rote Bande!“ Viele der rund 200 | |
Demonstranten tragen Trauerkleidung und halten Schwarz-Weiß-Fotos von den | |
Opfern des kommunistischen Regimes in die Höhe. | |
Der Trauergottesdienst für General Wojciech Jaruzelski, den letzten | |
kommunistischen Staatschefs Polens, wird durch Trillerpfeifen und | |
Sirenengeheul massiv gestört. Nach der katholische Messe macht erst die | |
Polizei dem Spießrutenlaufen der Familienangehörigen, Bekannten und | |
Politiker durch die hasserfüllte Menge ein Ende. | |
General Jaruzelski war am Sonntag nach einem langjährigen Krebsleiden und | |
einem Schlaganfall im Alter von 90 Jahren gestorben. Als Partei- und | |
Staatschef hatte er 1981 das Kriegsrecht über Polen verhängt und | |
Zehntausende Oppositionelle internieren lassen. Er verbot die | |
Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidarnosc, die der Elektriker Lech | |
Walesa von der Danziger Leninwerft angeführt hatte. Rund hundert Menschen | |
kamen damals ums Leben. | |
Schon 1970 war Jaruzelski mitverantwortlich für das Massaker an der | |
Ostseeküste, als streikende Arbeiter, die ihre Betriebe verlassen hatten, | |
von Soldaten und der Miliz zusammengeschossen wurden. 1968 wiederum hatte | |
sich Jaruzelski an den antisemitischen Säuberungen der Partei beteiligt und | |
die Juden benannt, die ihre Militärkarriere in Polen beenden sollten. | |
## Opfer erwarteten einen Schuldspruch | |
Doch 1989 gehörte Jaruzelski zu den Reformern aufseiten der Staatsmacht. Am | |
runden Tisch verhandelte er mit Walesa, dem katholischen Publizisten | |
Tadeusz Mazowiecki und anderen Oppositionellen und ebnete den Weg zur | |
friedlichen Übergabe der Macht. Als Solidarnosc die halbdemokratische Wahl | |
vom 4. Juni 1989 haushoch gewann, wurde Jaruzelski für ein Jahr | |
Übergangspräsident und unterschrieb sämtliche Reformgesetze, die die | |
Transformation vom Einparteienstaat zu Demokratie und Marktwirtschaft | |
einleiteten. | |
Auch wenn sich Jaruzelski mehrfach für das 1981 verhängte Kriegsrecht | |
entschuldigte, erwarteten viele Opfer und ihre Angehörige einen | |
Schuldspruch vor Gericht. Doch Jaruzelski gelang es, sich 20 Jahre lang | |
jeder Verantwortung zu entziehen. | |
Zwar wurden mehrere Gerichtsverfahren angestrengt, zu einem Urteil kam es | |
aber nie. Dass nach dem Tod Jaruzelskis dessen Weggefährte, der heutige | |
Vorsitzende des Bündnisses der demokratischen Linken (SLD), Leszek Miller, | |
forderte, Präsident Bronislaw Komorowski solle „Staatstrauer“ für den | |
General anordnen, zeigt, wie sehr Polens Gesellschaft bis heute gespalten | |
ist. Nicht nur Walesa, auch Komorowski saß 1981 im Gefängnis, weil er an | |
Werte wie Freiheit und Demokratie glaubte. | |
30 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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