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# taz.de -- Spielfim über Alltagsrassismus in USA: Nächster Halt, letzter Halt
> Ein junger Afroamerikaner wurde im Januar 2009 in Oakland von einem
> Polizisten erschossen. „Nächster Halt: Fruitvale Station“ erzählt seine
> Geschichte.
Bild: Kurz danach war er tot: Oscar Grant (Michael B. Jordan).
Es gibt diese merkwürdig paradoxe Situation im Kino: Gebannt folgt man
einer Geschichte und fragt sich zugleich, warum sie erzählt werden muss,
ja, was sie überhaupt auf der Leinwand zu suchen hat.
Mit einer Kamera, die mit der Energie des Helden Schritt hält, nimmt uns
Ryan Coogler in „Nächster Halt: Fruitvale Station“ mit in den Alltag eines
22-jährigen Afroamerikaners aus Oakland. Oscars leicht großmäuliges Gebaren
ist nicht unsympathisch, sein breitbeiniger Gang hat etwas Forsches, als
wolle er die Welt erobern. Ausgelassen spielt er mit seiner kleinen
Tochter, springt beim Wettrennen aufs Autodach. Er versucht seine
verärgerte Freundin (Melonie Diaz) zu besänftigen, die ihm eine frühere
Affäre vorhält. Nachdem er sie zur Arbeit gefahren hat, erledigt Oscar die
Besorgungen für die Geburtstagsfeier seiner Mutter. Es scheint ein ganz
gewöhnlicher Tag. Und dennoch wissen wir mehr als der junge Mann auf der
Leinwand.
Oscar Grant (Michael B. Jordan) hat nur noch wenige Stunden zu leben. Nach
einer fröhlichen Silvesternacht wurde er in den frühen Morgenstunden des 1.
Januar 2009 auf dem Bahnsteig der Fruitvale Station von einem Polizisten
erschossen. Von anderen Fahrgästen wurden die brutale Verhaftung und die
Tat mit Handys festgehalten und ins Netz gestellt. Mehrere Millionen
Menschen sind mittlerweile Zeugen davon, wie zwei weiße Polizisten Grant in
die Bauchlage zwingen, ihm die Hände auf den Rücken biegen. Dann schießt
einer der beiden Beamten Grant eine Kugel in den Rücken.
Es ist dieser Wissensvorsprung, der angesichts von Ryan Cooglers Film
Fragen aufkommen lässt. Weil er einen Suspense mit sich bringt, der
angesichts der realen Ereignisse unangebracht sein könnte. Man folgt einem
jungen Menschen während seiner letzten Stunden und wartet letztlich auf den
Todesschuss.
## Klarer Fall von Alltagsrassismus in den USA
Natürlich ist Ryan Coogler nicht der erste Regisseur, der sich an einem
realen Mord abarbeitet und die Tat in eine fiktionalisierte Handlung
einbettet. Man denke nur an Michael Hanekes Film „71 Momente einer
Chronologie eines Zufalls“. In losen Szenen folgt er einer Handvoll
Menschen durch ihr eher tristes und einsames Leben, bevor sie in einer Bank
Opfer eines Amoklaufs werden.
Oder Gus van Sants Film „ Elephant“ über die Stunden vor den Schüssen in
der Columbine High School. Eigentlich macht van Sant nichts anderes als
Ryan Coogler. Er beobachtet junge Menschen bei ihren letzten Gängen und
Gesprächen. Seltsamerweise kamen bei diesen beiden Filmen kaum Bedenken
auf, vielleicht weil es sich um Amokläufe handelt, die einen unerklärlichen
Rest mit sich bringen, sich wie ein Mysterium über die Handlung legen.
Bei Cooglers Film hingegen ist die Sachlage klar. Der Vorfall auf der
Fruitvale Station zeigt den alltäglichen Rassismus eines Landes und seiner
Exekutive. Ohne jede Not wurde ein junger Mensch getötet, weil er eine
andere Hautfarbe hatte und einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort
war. Es ist diese Eindeutigkeit, die den Zuschauer direkt zur Stellungnahme
auffordert. Deshalb kann man sich der Geschichte und der Wut, aus der sie
entstanden sein muss, nicht entziehen. Aber es gibt noch eine weitere,
existenzielle Ebene: Mit seiner Chronik der letzten Stunden von Oscar Grant
macht Ryan Coogler erfahrbar, was es heißt, wenn ein Mensch aus seinem
Leben gerissen wird. Das klingt pathetischer, als der Film ist.
## Sinnloser Überlebenskampf
Unpathetisch und direkt ist auch die Form. Coogler sucht mit seiner
behänden Kamera die Nähe zu Oscar Grant, heftet sich an dessen Nacken, sein
Gesicht, seinen groovenden Gang. Auch der Einstieg könnte kaum
unmittelbarer sein. Man findet sich in den frühen Morgenstunden im Bett mit
Oscar und seiner Freundin Sophina wieder, zwischen Streit, Versöhnung und
zärtlichen Gesten, bis sich die kleine Tochter zu den beiden ins Bett legt.
Die Hektik am Morgen, die schnell geschmierten Pausenbrote, der hastig
runtergekippte Kaffee. Schon sitzt die Familie im Auto und fährt in einen
weiteren Tag.
Die Szenen mögen banal und unmittelbar wirken, doch sie verbinden sich zu
einem Leben, das noch nach einer Perspektive sucht. Ohne an Beiläufigkeit
zu verlieren und ohne größere Dramatisierungen gelingt es Coogler, die
größeren und kleineren Überlebenskämpfe zu skizzieren. Gerade hat Oscar
einen Gefängnisaufenthalt wegen Dealerei hinter sich. Weil er zu seinem Job
in einem Supermarkt stets zu spät kam, steht er jetzt wieder auf der
Straße. Das Säckchen mit dem übrig gebliebenen Marihuana wirft er ins
Wasser. Einmal sieht man ihn im Auto sitzen. Aus dem Radio ertönt ein
Gangsta-Rap. Man sieht quasi den Kampf der verschiedenen Bilder, die Oscar
von sich hat. Liebender, zuverlässiger Familienvater oder cooler
Kleinkrimineller? Er wird es nicht mehr herausfinden.
30 Apr 2014
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