# taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Manchmal wie sediert“ | |
> Sind Medien noch die Vierte Gewalt? Heribert Prantl glaubt, sie sind mit | |
> dem Internet unberechenbarer geworden. Malte Spitz sieht darin eine | |
> Chance. | |
Bild: Noch vierte Gewalt? | |
„Mit der Spiegel-Affäre begann vor 52 Jahren die aufgeklärte Demokratie in | |
Deutschland; die Presse wurde die vierte Gewalt“, schreibt Heribert Prantl, | |
der das Ressort Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung leitet, [1][im | |
sonntaz-Streit] zu der Frage ob die Medien das heute immer noch sind. | |
Weil zwei Spiegel-Autoren im Jahr 1962 die Politik von | |
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß kritisiert hatten, wurden sie | |
wegen Landesverrats angeklagt. Die Räume des Magazins wurden durchsucht, | |
mehrere Redakteure verhaftet. Studenten gingen auf die Barrikaden und auch | |
der damalige Hamburger Innensenator Helmut Schmidt meldete „schwere | |
politische Bedenken“ an. Trotzdem dauerte es noch fast drei Jahre, bis die | |
Affäre beendet wurde: Erst im Mai 1965 entschied der Bundesgerichtshof, | |
dass der Vorwurf des Landesverrats nicht zutreffe. | |
Die Mediengewalt, schreibt Prantl, ist mit dem Internet nicht schwächer, | |
sondern immer stärker geworden. Aber auch unberechenbarer. „In der Causa | |
Wulff lag schon in der Dichte und Frequenz von Artikeln und Sendungen eine | |
Art von Gewalttätigkeit“. Wenn Journalisten vorschnell „Skandal“ schreien | |
und gleichzeitig die wirklichen Skandale völlig verschlafen, dann wirke die | |
Presse manchmal „wie besoffen und manchmal wie sediert.“ Diese Art von | |
Gewalt sei nicht gemeint, wenn von der vierten Gewalt die Rede ist. Es gehe | |
um Aufklärungsmacht, nicht um Vernichtungskraft. | |
Journalistin Charlotte Wiedemann glaubt, dass die Rede von der vierten | |
Gewalt einem Medienbetrieb, der ohnehin schon zur Eitelkeit neigt, nicht | |
gut tun kann. „Viele von uns Journalisten leiden an einem aufgeblasenen | |
Ego, das sich durch die Qualität ihrer Produkte nicht erklären lässt“. | |
Unter Journalisten halte man sich gerne für modern – doch viele | |
Medienhäuser hinken den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. | |
Noch immer gibt es in vielen deutschen Redaktionen „kaum Frauen als Chefs | |
und wenig Migranten“, sagt Wiedemann. Und: „Den größten Mut zeigen | |
Journalisten in Ländern, wo niemand auf die Idee kommt, sie als vierte | |
Gewalt zu bezeichnen.“ | |
Malte Spitz, der im Parteirat der Grünen sitzt, ist dagegen zuversichtlich, | |
was die Rolle der Medien betrifft: „Seit elf Monaten erleben wir, wie die | |
vierte Gewalt Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks treibt, wie | |
sie Druck auf sie ausübt.“ Edward Snowden habe bewusst seine geheimen | |
Dokumente nicht bei einer Plattform geleakt, sondern in die Hände von | |
Vertretern der Medien gelegt. „Sie sollen recherchieren, aufarbeiten, | |
einordnen und Geschichten erzählen, die jeder verstehen kann.“ | |
## Die vierte Gewalt ist heute breiter aufgestellt | |
Ein Trugschluss aber ist, schreibt Spitz, dass die vierte Gewalt lediglich | |
aus Tageszeitungen und Fernsehen besteht. Online-Blogs, Twitter und | |
Facebook sind heute ein selbstverständlicher Teil der vierten Gewalt. „Das | |
ist ein Gewinn für alle Seiten. Medien werden dadurch offener, der Druck | |
auf die Regierungen wird größer und die vierte Gewalt kann von viel mehr | |
Menschen ausgeübt werden. Jeder kann sich nun eine Öffentlichkeit schaffen. | |
Und das ist nicht nur gut, sondern auch wichtig, damit die vierte Gewalt | |
stark und lebendig bleibt.“ | |
Einer, der sich mit dem Thema lange beschäftigt hat, ist Michael Rediske, | |
Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen. Seiner Meinung nach | |
„funktioniert die vierte Gewalt nicht schlechter als die ersten drei | |
Gewalten. Aber auch nicht besser“. Er glaubt, dass die Qualität der Medien | |
vor allem durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmt wird: „Wir | |
haben die Medien, die wir verdienen (sprich: kaufen).“ | |
Daher gibt es sowohl gute Medien, die ihrer Kontrollfunktion gerecht | |
werden, als auch solche, die „Mainstream und Verlautbarungsjournalismus“ | |
betreiben. Doch auch wenn es immer schwarze Schafe gibt, die diese Freiheit | |
zu falschen Zwecken nutzen, kann dies niemals ein Argument gegen die | |
Pressefreiheit sein. „Wo die vierte Gewalt versagt, sollten wir alles daran | |
setzen, sie zum Funktionieren zu bringen. Unsere Stimmen erheben für | |
Vielfalt, inhaltliche Kontroverse, für mehr und bessere Recherche in | |
unseren Medien.“ | |
Die Streitfrage beantworten außerdem der Moderator Jörg Kachelmann, die | |
Journalistin Wibke Bruhns, der Politiker Franz Josef Jung, die Politikerin | |
Susanne Gaschke und der Medienprofessor Bernhard Pörksen – in der | |
[2][sonntaz vom 10./11. Mai 2014]. | |
10 May 2014 | |
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## AUTOREN | |
Julia Ley | |
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