# taz.de -- Polizeigewalt in Demmin: Koma-Patient will klagen | |
> Polizisten sollen einen Demonstranten am Rande des NPD- Aufmarschs in | |
> Demmin so stark verletzt haben, dass er im künstlichen Koma lag. Er will | |
> nun klagen. | |
Bild: Polizist am 8. Mai in Demmin: Neonazis lobten den Einsatz im Internet. | |
HAMBURG taz | Der alljährliche Aufmarsch der NPD in Demmin wird ein | |
rechtliches Nachspiel haben. Nicht für die Partei, sondern für die Polizei. | |
Bei der Räumung einer friedlichen Blockade am 8. Mai sollen Beamte einen | |
französischen Demonstranten so schwer [1][niedergeschlagen] haben, das er | |
im Krankenhaus ins künstliche Koma versetzt werden musste. „Wir streben | |
eine Klage an“, äußert Thomas Wanie, Rechtsanwalt des Betroffen gegenüber | |
der taz. | |
In der vorpommerschen Hansestadt an der Peene marschieren Rechtsextreme | |
seit Jahren an dem Gedenktag zum „Ehrendienst“ auf, um an die „Gewaltorgie | |
der sowjetischen Besatzungstruppen“ zu erinnern – eine Provokation am Tag | |
der Befreiung, mit der die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert | |
werden sollen. Mit klassischer Musik und Fackeln liefen in diesem Jahr am | |
frühen Abend rund 170 Neonazis vom Bahnhof bis zum Stadthafen. | |
Gegendemonstranten hatten zeitgleich 37 Mahnwachen in der | |
11.500-Einwohner-Stadt veranstaltet und zudem eine Friedensandacht und | |
einen historischen Stadtspaziergang angeboten. | |
Auf der Route hatten Gegendemonstranten mehrere Blockaden bilden können. An | |
einzelnen Blockaden führte die Polizei die Rechtsextremen über den Gehweg | |
vorbei, andere Blockaden räumte sie. „Vor den Marschierenden sind | |
Polizeieinsatzkräfte gelaufen, die mit einer für unsere Region seltenen | |
Härte gegen Demonstranten vorgingen“, sagt Michael Steiger vom Bündnis | |
„Vorpommern, Weltoffen, demokratisch, bunt“, in dem seit 2009 | |
Gewerkschaften und Parteien dem „Fackelaufzug“ entgegentreten. Das | |
Internetportal „Mupinfo“, das der NPD-Landtagabgeordnete und -Landesvize | |
David Petereit betreibt, lobte den Polizeieinsatz. | |
Bei der Räumung einer Sitzblockade sollen Polizisten einen jungen | |
Franzosen, der Freunde in der Region besucht hatte, angegangen sein. | |
Brüllend seien die Beamten auf die Demonstranten zugestürmt und hätten sie | |
von der Straße gezogen. Hierbei soll ein Beamter dem Betroffenen die Nase | |
zugehalten und einen Finger in der Mund gesteckt haben. Der habe dem | |
Polizisten dabei in den Finger gebissen. „Ein normaler | |
medizinisch-psychologischer Reflex“ sagt das „Aktionsbündnis 8. Mai | |
Demmin“. | |
Sofort hätten sich aber weitere Beamte auf den jungen Mann gestürzt und ihn | |
gefesselt. Als er an einer Wand stand, hätten sie ihm mit den Knien in den | |
Rücken und den Brustkorb getreten und auch weiter auf Rücken und Kopf | |
eingeschlagen, als er bereits auf dem Boden lag, berichten Augenzeugen dem | |
„Aktionsbündnis“. Alle zu Hilfe kommenden Personen seien brutal abgedrängt | |
worden. Ein Angebot, für die Polizisten vom Französischen ins Deutsche zu | |
übersetzen, hätten diese abgelehnt. | |
## Ein Arzt habe nicht helfen dürfen | |
Ein anwesender Arzt habe auch dann nicht helfen dürfen, als der Betroffene | |
bewusstlos da lag, sagen Augenzeugen. Der Betroffene musste im | |
Universitätsklinikum Greifswald behandelt werden, für eine Nacht wurde er | |
ins künstliche Koma versetzt. Auf eigenen Wunsch hat er am Freitag das | |
Krankenhaus verlassen, sagt sein Anwalt Wanie. „Er vertraut weder der | |
Polizei, noch dem Spital“. Über die Brutalität sei sein Mandat geschockt, | |
sagt der Rechtsanwalt. Eine weitere ärztliche Untersuchung auf mögliche | |
bleibende Schäden erfolge noch. | |
In einer Presseerklärung führt die Polizei aus, das aus Berlin und Hamburg | |
gewaltbereite Linke angereist seien. „Drei Polizeivollzugsbeamte“ seien | |
„von einer namentlich bekannten Person des linken Spektrums zum Teil | |
erheblich verletzt“ worden. Die Beamten und der Tatverdächtige hätten im | |
Krankenhaus behandelt werden mussten. | |
Ist damit die Auseinandersetzung mit dem französischen Mann gemeint? Eine | |
Nachfrage der taz bei der Polizei Neubrandenburg bringt keine Klärung. | |
Schriftlich legt Polizeipressesprecherin Eike Wiethoff nur dar, dass „fünf | |
Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs und Widerstandes eingeleitet“ | |
worden seien. Erst nach Abschluss der Ermittlungen wolle man Auskünfte | |
erteilen. Die Frage, ob gegen Beamte ermittelt wird, bleibt ebenfalls | |
unbeantwortet. | |
Das Verhalten der Polizei kritisiert Aktivist Steiger aber auch wegen deren | |
Umgang mit der Presse. An dem Tag hätten Beamte Journalisten soweit von den | |
Rechtsextremen abgedrängt, dass sie kaum etwas sehen oder hören konnten. | |
Auch beim Räumen der Blockaden sollen die Polizisten Journalisten behindert | |
haben. Er befürchtet, dass die Polizei wegen ihres Übergriffs auf den | |
französischen Demonstranten die Gewalt der Gegendemonstranten überbetone. | |
Mit Erfolg, glaubt Steiger: „In den meisten Medienberichten findet sich | |
fast ausschließlich die Darstellung der Polizei wieder.“ | |
13 May 2014 | |
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[1] http://vimeo.com/94645786 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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