| # taz.de -- Türkisch-bayerischer Kriminalroman: Ein Kommissar und Postmigrant | |
| > Fastenbrechen und Butterbreze: Su Turhan spielt mit türkischen wie mit | |
| > bayerischen Klischees. In „Bierleichen“ gelingt ihm ein | |
| > Perspektivwechsel. | |
| Bild: Der Autor, der gerne ein Pascha wäre. Sieht gar nicht danach aus. | |
| Die Quintessenz von Su Turhans Wirken passt auf ein Lebkuchenherz vom | |
| Münchner Oktoberfest. „Ich bin (k)ein Pascha“ steht auf der eingeschweißt… | |
| Süßigkeit, die der Autor an die Wand hinter seinem Schreibtisch gepinnt | |
| hat. Vermutlich trifft es dieser Spruch ganz gut. Es ist diese Ambivalenz, | |
| dieses Einerseits und Andererseits, das sowohl den Autor wie auch seinen | |
| Romanhelden bestimmt. | |
| Vor Kurzem ist Su Turhans zweiter Kriminalroman „Bierleichen“ erschienen. | |
| Kommissar Zeki Demirbilek löst darin, wie schon im ersten Band, als | |
| „Kommissar Pascha“ Mordfälle in München. Beide, der Autor, ebenso wie die | |
| von ihm erschaffene Figur, sind in zwei Welten zu Hause. In München, dieser | |
| gemütlich-bayerischen Stadt, voller gutsituierter Bräsigkeit, und in | |
| Istanbul, der schillernden Millionenstadt, aus der ihre Familie stammt. | |
| „Zeki kam nach Hause in die Karadeniz Cadessi, war unterwegs gewesen mit | |
| Plastikball und einer Horde kurzgeschorener Freunde. Seine Eltern | |
| erwarteten ihn in der Küche. Während er aus dem Kühlschrank eine eiskalte | |
| Flasche Leitungswasser hohlte, rückten sie mit der Neuigkeit heraus, dass | |
| sie nach Almanya gehen würden, um dort zu arbeiten.“ | |
| Drei Wochen später erreichten die Demirbileks mit dem Nachtzug Augsburg. In | |
| Su Turhans Fall lautete das Ziel der Eltern nicht Augsburg, sondern | |
| Straubing, eine 45.000-Einwohner-Stadt in Niederbayern. Den Zwiespalt, ein | |
| bisschen türkisch und ein bisschen bayerisch zugleich sein, kennen sie | |
| beide. Ebenso wie die Lücke, die zwischen dem Leben der Eltern und dem | |
| Leben der Kinder klafft. | |
| ## Von der Skifabrik zur Polizeischule | |
| Zuerst verdingte sich der Vater in einer Zahnrad- und Maschinenfabrik, dann | |
| als Asphaltierer. Später heuerten die Eltern gemeinsam als Arbeiter in | |
| einer Skifabrik an. Bis heute sprechen beide „gebrochen Bayerisch“, wie | |
| Turhan sagt. | |
| „Ich finde das wahnsinnig mutig“, sagt Turhan gleich anerkennend dazu. „S… | |
| waren damals Mitte 20. Man vergisst immer, was es bedeutet, so einen | |
| Einschnitt im Leben zu machen.“ Turhan selbst ging nach dem Abitur fürs | |
| Studium der neuen deutschen Literatur nach München. Sein Kommissar indes | |
| besuchte die Polizeischule. | |
| Als Leiter des Sonderdezernats Migra, einer fiktiven Abteilung der Münchner | |
| Polizei, soll der Kommissar gemeinsam mit seinen beiden Mitarbeiterinnen | |
| Isabel Vierkant und Jale Cengiz, „Kapitalverbrechen aufklären, bei denen | |
| Opfer oder Täter einen Migrationshintergrund aufweisen“, wie es im Buch | |
| heißt. | |
| Dass es offenbar einen Bedarf an Geschichten gibt, die deutschen Lesern | |
| authentisch aus der Zuwandererperspektive erzählen, hat nicht der Autor | |
| ausgemacht. Turhan kommt eigentlich vom Film. Es war der Knaur-Verlag, der | |
| 2012 an den Drehbuchautor herantrat. Turhan hatte bereits 2010 in seinem | |
| ersten und bislang einzigen Spielfilm „Ayla“ von den Sorgen | |
| türkischstämmiger Einwandererkinder erzählt. | |
| ## Gerne ein Pascha | |
| Ob er über eine bayerisch-türkische Figur schreiben könne, fragte man ihn | |
| daraufhin. Turhan sagte „ja, aber nur einen Krimi“; einen Krimi, weil er | |
| das Genre mag, und „ja“, weil solch ein Charakter autobiografisch ist. Wie | |
| sein Kommissar ist auch der Autor genau das: ein bayerischer Türke. | |
| „Ich möchte schon gerne ein Pascha sein“, sagt Turhan in seinem Giesinger | |
| Schreibbüro und lacht. Ein sehr münchnerisches Lachen ist das: Aus vollem | |
| Halse klingt es, großspurig fast, leicht kratzig, wegen der vielen | |
| Zigaretten, und ein bisschen g’schert. | |
| „Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich denke: Warum gibt es denn heute | |
| kein Abendessen? Genau wie mein Vater. Dabei ist meine Frau in der Arbeit.“ | |
| Auch darin gleicht Su Turhan seiner Figur: Obwohl „Kommissar Pascha“ stets | |
| bemüht ist, seinem Namen alle Ehre zu machen, würde auch er für seine große | |
| Liebe so einiges tun. | |
| Auch Laster teilen beide: Sie essen gerne Schweinebraten und trinken gerne | |
| Bier – obwohl beide strenggenommen Muslime sind. „Meine Mutter weiß nichts | |
| davon“, sagt Turhan, „sie denkt, ihr Sohn sei ein Mann, der in die Moschee | |
| geht und sich an die Regeln hält.“ Über alles Weitere wird geflissentlich | |
| geschwiegen. | |
| ## Teamresistent und übellaunig | |
| In seinem ersten Fall musste Kommissar Demirbilek herausfinden, was die | |
| Besitzer der Fastfoodkette „Döner Delüks“ mit dem Tod zweier Männer zu t… | |
| haben. In „Bierleichen“ nun geht es um die Brauerei „Minga Bräu“, die … | |
| kürzlich von einem türkischen Investor aufgekauft wurde. Die Handlung | |
| seiner Kriminalgeschichten aber, das kann man sagen, ohne dem Autor Böses | |
| zu wollen, sind bei Turhans Werken zweitrangig. | |
| „Ich wollte nicht das Genre neu erfinden, sondern mit der Figur einen neuen | |
| Ermittler auf die Jagd schicken“, sagt Turhan. Deshalb ist es nicht der | |
| Krimi an sich, der beim Lesen gefällt, sondern der Einblick in das | |
| deutsch-türkische Leben, das seine Figuren bieten. Turhan gelingt etwas, | |
| das seine Romane interessant macht: ein Perspektivwechsel. | |
| Obwohl teamresistent, aufbrausend und übellaunig, ist Kommissar Demirbilek | |
| der Antiheld, mit dem man leidet, wenn ihm im Fastenmonat Ramadan der Magen | |
| knurrt, den man interessiert zum „Kuaför“ begleitet, wenn ihm dieser mit | |
| einem brennenden Wattebausch auf traditionelle Art die feinen Härchen an | |
| Ohren und Wangen versengt, und zu dem man hält, wenn ihn sein urbayerische | |
| Kollege Pius Leiphold mit Klischees konfrontiert. Der deutsche Leser soll | |
| und darf, was er sonst selten tut: sich fühlen wie jemand, der in beiden | |
| Welten zu Hause ist. | |
| Turhans Figuren – das kann man kritisieren – sind auf gewisse Weise | |
| stereotyp: der Kommissar mit den Paschaallüren, seine junge Mitarbeiterin | |
| Jale Cengiz aus Berlin, die ambitioniert über die Stränge schlägt, der | |
| bayerische Kollege, ein Bierliebhaber, dem der türkische Kommissar bei | |
| aller vorsichtigen Sympathie suspekt bleibt. Trotz oder gerade wegen dieser | |
| Klischees sind Turhans Charaktere aber auch unterhaltsam, Prototypen | |
| gleich. | |
| ## Das urbayerische Granteln | |
| Darüber hinaus zeigen Turhans Figuren aber auch – und darin besteht | |
| womöglich sein größtes Verdienst –, dass die Gemeinsamkeiten zwischen | |
| Deutschen und Türken weitaus größer sind als das Trennende. So fantasiert | |
| der ausgehungerte Kommissar vor dem Fastenbrechen von einer Butterbreze mit | |
| viel Salz und einem frischen Weißbier. | |
| Und im Granteln, dieser urbayerischen Gemütslage, die zwischen | |
| Schnoddrigkeit, Melancholie und der gepflegten Lust am Lamentieren | |
| changiert, steht er seinem bayerischen Kollegen in nichts nach. „Zeki | |
| Demirbilek ist ein Postmigrant“, sagt Turhan und würde wohl von sich | |
| dasselbe behaupten. | |
| Ins Türkische wurden seine Romane bislang nicht übersetzt. Zwar gab es | |
| Verhandlungen mit einem Verlag, jedoch ohne Erfolg. „Zu viel Sex“, so die | |
| Begründung. „Ich hätte schon gerne, dass es mit der Übersetzung klappt“, | |
| sagt Turhan. „Damit meine Mutter die Bücher auch irgendwann lesen kann.“ | |
| 23 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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