# taz.de -- Pasolini-Schatz gehoben: „Neapel, es steigt die Wut“ | |
> Der Hamburger Laika-Verlag hat den verloren geglaubten Dokumentarfilm | |
> „Der 12. Dezember“ von Pier Paolo Pasolini gefunden und restaurieren | |
> lassen. Gezeigt wird er im Zuge einer Pasolini-Retrospektive. | |
Bild: Filmisch ausgeleuchtet: Bombenanschlag auf eine Bank in Mailand. | |
HAMBURG taz | Er gehört zu den großen Regisseuren aus der Blütezeit des | |
italienischen Kinos, aber im Gegensatz zu Fellini, De Sica oder Visconti | |
war und ist Pier Paolo Pasolini in seiner Heimat nicht beliebt. | |
Der schwule, marxistische Mystiker ist unbequem, aber dennoch ist es | |
erstaunlich, dass keine Institution der Kulturnation Italien, sondern ein | |
kleiner Hamburger Verlag es fertigbrachte, ein verloren geglaubtes Werk von | |
Pasolini zu finden und zu restaurieren. Dabei allerdings übernahm dann die | |
Pasolini Gesellschaft in Bologna die Hälfte der Kosten. | |
Der Dokumentarfilm „Dodici dicembre“ („Der 12. Dezember“) aus dem Jahr … | |
taucht in den meisten Filmografien des Regisseurs gar nicht auf. Dabei | |
zählt ihn der Soziologie-Professor und Pasolini-Übersetzer Peter Kammerer | |
„zu den wichtigsten politischen Dokumenten der italienischen | |
Nachkriegszeit“. Gezeigt wurde er allerdings kaum. | |
Der Film gilt als eine Kollektivarbeit der politischen Gruppe „Lotta | |
continua“, einer Art italienischer APO, zu der neben den Studenten auch | |
viele junge Industriearbeiter gehörten. Zeitzeugen berichten allerdings, | |
der Regisseur des Films sei schon Pasolini gewesen. | |
Die Dokumentation wurde eher aus politischen als aus ästhetischen Gründen | |
gemacht, sie sollte eine Gegenöffentlichkeit für einen damals aktuellen | |
Skandal herstellen. Am 12. Dezember 1969 fand ein Bombenanschlag auf eine | |
Bank in Mailand statt, bei dem 17 Menschen getötet und 88 schwer verletzt | |
wurden. Inzwischen ist bewiesen, dass dies der erste einer ganzen Reihe von | |
rechts-terroristischen Anschlägen war, doch damals wurde die Schuld linken | |
Gruppen zugeschoben. | |
Die Polizei vernichtete Beweise, die rechte Presse begann eine Hetzkampagne | |
und bekannte Linke wurden verhaftet. Der Anarchist Giuseppe Pinelli stürzte | |
aus einem Fenster des Polizeipräsidiums in den Tod. Die Polizeiführung | |
sprach von einem Selbstmord, der als Schuldeingeständnis zu verstehen sei. | |
In „Dodici dicembre“ erzählen Mithäftlinge, Familienangehörige und | |
politische Mitkämpfer ihre Version der Geschichte. Dass Pinelli umgebracht | |
worden war und Faschisten das Bombenattentat ausgeführt hatten, galt damals | |
noch lange als umstritten, wurde aber schließlich durch die Ermittlungen | |
bestätigt. | |
Als Investigation einer Verschwörung hat der Film heute nur noch | |
historischen Wert, aber Pasolini geht tiefer. Er versucht eine | |
Bestandsaufnahme des linken Widerstands im Italien jener Jahre zu machen. | |
Auf dieser Ebene ist „Dodici dicembre“ eine Entdeckung. | |
Pasolini lässt ausschließlich die Kämpfer selber zu Worte kommen: alte | |
Partisanen, die sich von der kommunistischen Partei verraten fühlen und | |
sich für Selbstjustiz aussprechen. Ferner erzählen junge Arbeiter aus dem | |
südlichen Reggio Calabria von einem Volksaufstand und süditalienische | |
Proletarier schildern die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Fiat. | |
Pasolinis Kamera ist immer mitten unter den Leuten. Dadurch wirken die | |
Aufnahmen sehr unmittelbar: Man spürt das Selbstbewusstsein, das diese | |
politischen Kämpfer ausstrahlen. Am Anfang des Films gibt es zum Beispiel | |
eine minutenlange Fahrt der Kamera an den Reihen einer riesigen | |
Demonstration entlang. Einmal reckt der Fahrer kurz die geballte Faust ins | |
Blickfeld, ansonsten macht diese Aufnahme, die auch in der von Orson Welles | |
begründeten Tradition der langen Anfangseinstellungen steht, die schiere | |
Masse und Energie dieser Versammlung deutlich. | |
Diese Sequenz bleibt die einzige, bei der man ein stilistisches Wollen des | |
Filmemachers vermuten kann. Ansonsten ist der Film gewollt kunstlos. Die | |
Protagonisten sprechen meist direkt in die Kamera und berichten von ihren | |
Lebensbedingungen: Ein junger Arbeiter beispielsweise schildert genau | |
seinen Tagesablauf vom Aufstehen morgens um 3.30 Uhr bis zum Schichtende am | |
späten Nachmittag. Was bleibt da noch zum Leben? | |
„Neapel, es herrscht Hunger, es steigt die Wut“, lautet der Zwischentitel, | |
der in das Kapitel über einen Volksaufstand in der Stadt einführt. Der Film | |
dokumentiert nicht nur den politischen Kampf, er ist Teil von ihm. | |
Als solch ein betont parteiliches Werk passt der Film ideal ins Konzept der | |
„Bibliothek des Widerstands“ des Hamburger Laika-Verlags. Um ihn in den | |
neuen Band „Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien“ | |
aufzunehmen, musste ihn der Verlagsleiter Karl-Heinz Dellwo aber erst | |
einmal finden: In ganz Italien gab es keine Filmkopie mehr. | |
Nach langer Suche gab es einen Hinweis, der Film sei auf der Berlinale | |
gezeigt worden, aber dort war er auf keiner Spielliste zu finden. Jemand | |
erinnerte sich schließlich vage daran, dass der Film in Hamburg gelandet | |
sein könnte und tatsächlich gab es in der Kinemathek des Metropolis Kinos | |
eine 16-mm-Kopie. Sie gehörte zu einem Paket von Filmen, das nach der | |
Auflösung des „Central Filmverleihs“ beim Metropolis archiviert wurde. | |
## Uraufführung der restaurierten Fassung von „Der 12. Dezember“ („Dodici | |
dicembre“, OmU): Montag, 26. Mai, 19 Uhr, Metropolis, Hamburg | |
Podiumsdiskussion und Lesung zur politischen Aktualität von Pasolini: | |
Dienstag, 27. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, Hamburg Vorstellung von Giorgio | |
Gallis Buch „Pasolini. Der dissidente Kommunist – Zur politischen | |
Aktualität von Pier Paolo Pasolini“: Mittwoch, 28. Mai, 19 Uhr, Istituto | |
Italiano di Cultura, Hamburg | |
21 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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Dokumentarfilm | |
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