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# taz.de -- Auf dem Primavera Festival in Barcelona: Was zählt, ist das Dazwis…
> Nicht wegen der Musik reist man zum Festival, sondern um Urlaub von der
> Realität zu machen. Wichtig ist nicht die Inszenierung auf der Bühne,
> sondern die davor.
Bild: Hauptsache gut inszeniert.
BARCELONA taz | Das erste, was ich auf dem Festivalgelände sehe, ist einen
Typ in Cargohose der eine fast senkrechte Wand hochklettert wie Spiderman.
Oben, auf der Kante, sitzt ein Tontechniker, der seinem Mischpult und der
Bühne den Rücken zugedreht hat. Er kümmert sich einen Dreck um die Musik.
Und das Publikum auch. Es applaudiert wie wild dem Spiderman. So ist es auf
Festivals. Alle tun so, als kämen sie wegen der Musik aber in Wahrheit
interessieren sie sich nur für das, was drum herum passiert. Nicht die
Musik gibt ihrem Dasein einen Sinn, sondern das Dazwischen.
Andrea ist vom Gegenteil überzeugt. Er ist Italiener und extra aus Bologna
angereist. Er trägt immer noch die kurzen Hosen vom Mittag, obwohl es nun
nach Sonnenuntergang direkt am Meer recht kühl ist. Er quatscht mich an der
Bar an. Wer nebenan auf der Bühne spielt, weiß er nicht, will aber trotzdem
mitten rein in die Menge. „I need to feel the music, you know?“, sagt er.
Das gilt für jede Musik. Er ist alleine auf dem Festival, seine Freunde
müssen arbeiten oder haben kein Geld. Deshalb sucht er sich jetzt neue
Freunde auf Zeit. „I want to share my happiness, you know?“ Ja, schon klar.
Das wollen viele.
„Weed, Cocaine, Ecstasy“ schreit ein kleiner Typ auf der Herdenwanderung in
Richtung einer neuen Besiedlungsfläche vor einer anderen Bühne. Seine Augen
sehen aus, als habe er alles drei auf einmal konsumiert.
Auf dem Primavera Festival in Barcelona gibt es 12 Bühnen, vor denen sich
vergangenes Jahr 120 000 Menschen getummelt haben. Das größte deutsche
Festival ist Rock am Ring mit rund 90.000 Menschen. Es findet am kommenden
Wochenende zum letzten Mal am Nürnburgring statt. Das Primavera Sound
bedient nicht nur einen Musikgeschmack, es bedient alle:
Stoffturnschuh-Indie-Popper, ganz-in-schwarz-Rocker,
Seifenblasen-für-alle-Elektrofreunde, Teenager, Post-Teenager, und alle
haben ihre Mamas und Papas gleich mitgebracht. Wenn sich all diese Menschen
in Bewegung setzen, sieht es aus wie in den Naturfilmen, wenn die Zebra,
Giraffen und Elefantenherden sich aufmachen zu den Wasserlöchern.
## Blumenkränze und Sterne
Mädchen, die alle Blumenkränze im Haar haben und vermutlich auch ihre
Augenlieder mit Blütestaub eingerieben haben. Ein paar Jungs und Mädchen
haben sich Sterne ins Gesicht geklebt, die haben sie sicher nur kurz vorher
füreinander vom Himmel geklaut. Ein paar Meter weiter vorne werden drei
Heliumballons Gassi geführt. Elmo, Krümelmonster und Kermit gehen zusammen
aus.
„Warum trägst du diese Maske“, frage ich Elmo. „I love you“, sagt er u…
umarmt mich. Zu welcher Band er läuft, weiß er schon nicht mehr. Er
stolpert weiter, immer den anderen nach. Weg von der Bühne, auf der grade
noch drei Frauen auf Schlagzeuge eingehauen haben. Elmo tapst vorbei an
Bühnen vor denen nostalgisiert wird und anderen, vor denen Menschen tanzend
scheinbar mit dem eigenen Körper ringen. Im Zelt der elektronischen
Musikfreunde wird geuhhh-uhht, als der Bass einsetzt. Es klingt wie eine
Schiffshupe. Vor jeder Bühne ein neues Paradies.
Nur sieht für die einen das Paradies schöner aus als für die anderen. Beim
Primavera Sound gibt es nämlich VIP Bereiche. VIP, das sind diejenigen, die
sich teurere Exklusiv-Tickets leisten können. Für sie gibt es
Aussichtspunkte, Sofa-Lounges und am wichtigsten: Einen abgesperrten
Bereich vor der Hauptbühne, der in dem normalerweise die Moshpits sind oder
Hardcore-Fans Stunden warten, um ihre Idole aus nächster Nähe anhimmeln zu
können. Auf dem Primavera kann man sich dort einkaufen. In der VIP-Party
Area steht jede fünf Meter ein Ordner und achtet darauf, dass keiner aus
dem gemeinen Volk über die Absperrung zu den Ticketadeligen klettert.
## Klein wie Modellbaufiguren
Das gleichmachende Element von Pop-Musik wird ausgehebelt. Das ist nicht
schön anzusehen, besonders aus den hinteren Reihen, von wo aus man sowieso
nur auf die riesigen Bildschirme starren kann, weil die Frauchen und
Herrchen auf der Bühne so groß sind wie Modellbaufiguren. Wenn die Kamera
mal kurz über die Menge fährt sieht man vor allem Leerstellen. Kaum einer
dort jubelt und grölt und tobt und heult vor Freude. Es regiert
distinguierte Langeweile und ein Kommen und Gehen. Leidenschaft, Wahnsinn,
Fanneurosen - wo seid ihr?
Und der Applaus, der fehlt auch. Die Bands, SängerInnen, KünstlerInnen
füllen artig ihren Timeslot. Das Publikum klatscht artig für zehn Sekunden
und wandert weiter. Der Ablauf ist so durchgetaktet, dass das Publikum bei
einer Band, die kurz vor ihrem letzten Lied einen dreiminütigen Umbau hat,
währenddessen keiner Unsinn ins Mikro redet, ohne Applaus verschwindet.
Niemand giert nach einer Zugabe. Alles pure Dienstleistung.
Die Aufregung findet woanders statt. In einer schwarz gestrichenen Hütte
mit wuchtigen gotischen Spiegeln kann man sich die Haare schneiden lassen.
Ein Mädchen, das aussieht wie aus einer H&M Werbung gepurzelt mit blonden
Haaren und rot leuchtenden Lippen, spricht mit einem Lächeln und
Ich-brauche-Schutz-Blick mit der Haarschneiderin, geht dann aber wieder.
„Ich traue mich nicht“, erklärt sie, „man darf sich die Frisur nicht
aussuchen, sie wird die Haare schneiden, wie sie will.“ Haarschnitt als
Mutprobe! Wow! Herzlich willkommen in Zeiten des Image Marketings, in denen
es nichts Kostbareres gibt, als das eigene Auftreten. Eine Stunde hat das
Mädchen angestanden, um überhaupt mit der Haarkünstlerin sprechen zu
können. Was man eben so macht auf einen Musikfestival.
## Applaus für den Fahrer
Vor einer kleineren Bühne steht ein Typ, zückt sein Smartphone und checkt
seine Mails. „Are you bored?“ Er schüttelt mit dem Kopf. „I am here for
work.“ Er ist Agent von einigen Künstlern und begleitet sie auf ihren
Touren durch Europa. Immerhin einer der sich für Musik interessiert. „Es
stimmt schon, dass die Menschen sich immer mehr selbst feiern, und immer
weniger die Künstler“, sagt er. Aber bei diesem Festival, würde das
Publikum die Künstler wenigstens kennen.
Es stimmt schon, die Menschen kommen, weil sie ein paar Bands kennen, aber
der Rest ist egal. Auf dem Weg hinaus unterhält sich ein Mädchen mit einem
Typ. „Ich habe Arcade Fire gesehen“, sagt sie „die waren genial. Und Quee…
of the Stone Age. Ganz nett.“ Also ob die eine Band mit der anderen im
Wettbewerb stünde. „Und dann noch so eine Band aus Australien, und noch ein
paar andere, aber die Namen habe ich vergessen.“
Den größten Applaus an diesem Abend, bekommt dann auch nicht irgendeine
Band, sondern der Straßenbahnangestellte, als er um fünf Uhr morgens
endlich das Gitter zur Haltestelle aufsperrt, vor dem sich eine
Menschenmenge angesammelt hat. Da vereinen sich die Hipster, Prog-Rocker,
Folk-Fans. Sie haben ein gemeinsames Ziel: Endlich Ruhe, endlich nach Hause
kommen.
31 May 2014
## AUTOREN
Pia Volk
## TAGS
Festival
Barcelona
Musik
Inszenierung
Arcade Fire
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