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# taz.de -- Fotobücher „POV-Female“: Der weibliche Blick
> Damien Poulain gibt in seinem Indie-Verlag Fotografinnen eine Chance auf
> Öffentlichkeit. Vor allem die Selbstporträts von Mädchen sind
> beeindruckend.
Bild: Aus Estefanía González Fotoserie „Ventanas“ (Fenster).
Ein junges Mädchen knickt ihre Hüfte ein, blinzelt mit verführerisch
geschürzten Lippen in ihr Handy, mit dem sie von oben ein Selfie knipst.
Eine Szene, die sich leicht variiert gleich zweimal findet in Estefanía
González’ Fotobuch „Ventanas“ (Fenster). Über die Dauer von zwei Jahren
fotografierte die junge Kolumbianerin die Bewohner des 18-stöckigen
Apartmenthauses gegenüber, in einer zu gleichen Teilen einfühlsamen wie
voyeuristischen Serie.
González zappt durch die 36 Fensterfronten, zu streitenden Paaren oder
einem nackten Rentner, der einen Großteil seiner Lebensenergie ins
Fensterputzen zu stecken scheint. Besonders sprechend sind jedoch die
Aufnahmen der sich selbstporträtierenden Mädchen, treffen doch in ihnen die
weibliche Perspektive und der zumeist voyeuristische, objektifizierende
(männliche) Blick auf Frauen aufeinander. Der weibliche Blick auf sich
selbst ist hier doppelt interessant, denn „Ventanas“ erscheint in der Serie
„POV Female“, die sich ausschließlich dem Schaffen junger, bisher
unveröffentlichter Fotografinnen widmet.
Auf einem dieser unzähligen Fotografiefestivals wie in Paris, Kassel, Arles
oder L. A. muss es gewesen, dass Damien Poulain des erdrückenden
Männerüberhangs in der Fotografieszene gewahr wurde. Als Reaktion darauf
stampfte der französische Designer, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit
Fotokünstlern wie Pieter Hugo oder Viviane Sassen, 2011 seinen Indie-Verlag
Oodee aus dem Boden.
## Fotografinnen erhalten nicht genug Aufmerksamkeit
Von Beginn an erscheinen dort die „POV Female“-Bücher. „Ich möchte hier
keine große Geste machen. Aber ich denke nicht, dass weibliche Fotografen
genug Aufmerksamkeit bekommen, und das will ich ändern.“ Einmal im Jahr
erscheinen gebündelt fünf Bücher von Debütantinnen aus einer Stadt; nach
London, Tokio und Johannesburg nun Bogotá.
Eines davon ist „Embera-Chamis – ¡Chao, nos vemos!“ Karen Paulina Biswel…
Projekt zu indigenen Lebensweisen in Bogotá. Die Indio-Communities der
Hauptstadt sind zerrissen von der Verantwortung gegenüber ihrem kulturellen
Erbe und den Reizen des modernen Lebens. Eine trübe Porträtserie zeigt
junge Mädchen, in voller Ausstattung samt traditioneller
Gesichtstätowierung. Die verhärmten Gesichtszüge wollen so gar nicht zu
ihren bunten Kleidern passen.
Einige Seiten weiter sieht man dieselben Mädchen westlich gekleidet, mit
Lippenstift, Bier und klimpernden Augenaufschlägen präpariert am Wochenende
– die Indioboys bevorzugen wohl den westlichen Typ. Doch es hilft nichts,
verschmäht sitzen die traditionell tätowierten Mädchen zusammen und nippen
verschämt an ihren Flaschen.
## Der männliche Blick
Deutlich arbeitet sich „POV Female“ verstärkt an den Sehkonventionen ab,
welche die feministische Filmtheoretikerin Laura Mulvey 1975 in ihrem Essay
„Visuelle Lust und narratives Kino“ als male gaze kategorisiert hat: „Der
bestimmende männliche Blick projiziert seine Phantasie auf die weibliche
Gestalt, die dementsprechend geformt wird.“ González voyeuristischer Blick
auf die verführerisch ihre Handys bezirzenden Mädchen oder Biswells Blick
in die Indiopubertät, in der die eigene Kultur als der Liebespolitik
abträglich angesehen wird, sind keine Einzelfälle.
Schon unter den ersten fünf „POV Female“ Büchern aus London konnte man mit
„At Home“ eine Serie finden, die Stripperinnen in den eigenen vier Wänden
ablichtete. Darin zeigte Bronwen Parker-Rhodes die Frauen einfach in einem
anderen Kontext, wodurch der Fokus automatisch hin zu der Person hinter dem
Job führt.
Gänzlich umgedreht hat die Blickrichtung Mirai Hara aus Tokio für ihre
Serie „Men“, die den Blick auf den Mann sexuell auflädt. Statt mit
säuerlichem Testosterongeruch und geölten Sixpacks inszeniert Hara ihre
Modelle betont weich und fragil.
## Die eigene Kultur prägt den Blick
Allerdings führt der Perspektivenwechsel nicht nur die Möglichkeiten und
Eigenheiten eines genuin weiblichen Point of View (POV) vor Augen.
Unbeleckt von den Bildästhetiken globaler Fotoagenturen und Galerien
vermeidet die lokale Verbundenheit der Beiträgerinnen eine Fortschreibung
fotografischer Stereotype – Esel, Drogen und die Farc wird man in der
Bogotá-Serie vergeblich suchen. Zudem zeigt „POV Female“, wie stark auch
die jeweils eigene Kultur den Blick prägt.
So finden sich zum Beispiel bei aller Verschiedenheit in den Tokio-Büchern
Gemeinsamkeiten in Bezug auf den Blick auf Natur oder die Schönheit des
Alltäglichen. Die Arbeiten der Johannesburger Fotografinnen hingegen haben
einen starken räumlichen Bezug, etwas, das bei „POV Female Bogotá“ nahezu
gänzlich fehlt. Der schon theatralen Expressivität des Miteinanders folgend
dreht sich hier alles um Menschen, und wie sie sich inszenieren.
Spielerisch auf die Spitze treibt dies Guadalupe Ruiz, die eine Familie im
Stile der iberoamerikanischen Telenovela inszeniert – gut ausgeleuchtet,
die Stimmung im Hochmelodram, die Emotionen total overacted. Beinahe als
Drohung an den Latino-Paternalismus heißt diese ironische Reproduktion der
Machismo-Bilderwelt mit der daheim pudelstreichelnden Donna und dem
cholerischen Patriarchen „Nada es Eterno“, Nichts hält ewig.
3 Jun 2014
## AUTOREN
Moritz Scheper
## TAGS
Fotografie
Feminismus
Kritische Theorie
Modefotografie
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