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# taz.de -- Migrations-Prozess: Angeklagt wegen Fluchthilfe
> Vor dem Landgericht sind fünf Männer angeklagt, die syrische Flüchtlinge
> nach Deutschland gebracht haben sollen. Ob gewerblich oder altruistisch,
> ist die Frage.
Bild: Angeklagte am Dienstag vor dem Landgericht: Fünf Männer haben Syrern na…
BREMEN taz | Im März 2013 landen Rula und Sitra A. mit dem Flugzeug in
Hannover. Sie stammen aus Syrien und sind offiziell nicht im Besitz von
Einreisedokumenten. Doch sie legen Pässe vor: gefälschte, in denen die
Fotos ausgetauscht wurden. Die Papiere stammen von den Kindern des
Bremerhaveners Yüksel S.. Er hat Rula und Sitra A. auf ihrem Flug aus der
Türkei begleitet, soll von dort aus deren Flucht nach Deutschland
organisiert und 8.000 und 7.000 Euro erhalten haben.
Am Dienstag begann gegen den 42-Jährigen deshalb ein Prozess vor dem Bremer
Landgericht: Gewerbsmäßige „Einschleusung von Ausländern“ und „Überla…
von Ausweispapieren“ in 14 Fällen in den Jahren 2012 und 2013, so lautet
der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Mit ihm sind vier weitere Männer
angeklagt, wegen jeweils zwei oder drei Fällen. Maximal könnte dies mit
einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft werden. Massiv
kriminalisiert worden waren S. und seine Mitstreiter bei der Festnahme:
Bundesweit war von einem Schlag gegen die Schlepperkriminalität die Rede,
„Schleuser zockt Syrer ab“, vorverurteilte der WDR anlässlich der Festnahme
mithilfe von GSG-9-Einsatzkräften.
Doch, so einfach ist die Angelegenheit nicht – das deutete der Vorsitzende
Richter Helmut Kellermann an. „Das Unrecht ist nicht mit dem zu
vergleichen, was ich hier sonst so auf dem Tisch habe“, sagte er zu Beginn
des Prozesses.
Denn die Menschen, deren Reise S. und seine Bekannten organisiert haben
sollen, stammen überwiegend aus Syrien. 150.000 Todesopfer soll der dortige
Bürgerkrieg in den letzten drei Jahren gefordert haben. Kellermann verwies
auf die Aussagen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier von Ende Mai,
wonach Deutschland bis zu 10.000 weitere Syrer aufnehmen solle. Und er
nannte die „abgeschottete EU“ als Stichwort – ein Verweis darauf, dass es
für Flüchtlinge kaum legale Wege gibt, um Schutz in der EU zu bekommen.
Ob S. und die vier anderen tatsächlich „gewerbsmäßig“ gehandelt haben od…
sie vielmehr altruistische Fluchthelfer waren, wird der Prozess klären
müssen. Hinweise auf letzteres gaben Ausführungen des Ermittlungsführers
der Bundespolizei, der als erster Zeuge gehört wurde: Alle
„Eingeschleusten“ sind wohl Angehörige der Geliebten von S., sind
Mitglieder einer jesidischen Großfamilie: Die Jesiden sind als religiöse
Minderheit unter den Kurden besonders von Verfolgung bedroht.
Laut Ermittlern wurden die Pässe in der Türkei gefälscht. Etwa 2.000 Euro
soll S. das jeweils gekostet haben. Diese Ausgaben seien wie die Kosten für
die Flüge aus der Türkei in den Beträgen enthalten gewesen, die S. von den
Flüchtlingen bekommen haben soll. Auch seine eigenen Flüge in die Türkei,
die der Begleitflüge von ihm und den anderen, die ihrerseits ein paar
hundert Euro bekamen, all das müsste als „Betriebskosten“ eingerechnet
werden, so Kellermann.
„Das Risiko, wenn eine Schleusung scheitert, hat er schon getragen“, sagte
der Bundespolizist. S. habe garantiert, eine Person für den Betrag nach
Deutschland zu bringen. Für den Bundespolizisten war klar, dass S. ein
„Schleuserbüro“ unterhalten und zwei Immobilien besessen habe. Eine der
Wohnungen könnte in der Türkei als Unterkunft für die Flüchtlinge
vorgesehen sein, manche von ihnen habe S. in seiner eigenen Wohnung
untergebracht.
Dass S. im Geld schwamm, könne er nicht sagen, sagte der Polizist auf
Nachfrage. S. sitzt derzeit in Untersuchungshaft, wohnt aber aber wie
manche der anderen Angeklagten in Grünhöfe in Bremerhaven – einer
Hochhaus-Gegend, die nicht für ihren Wohlstand berühmt ist. Manchmal habe
S. selbst kein Geld für seinen Rückflug aus der Türkei gehabt.
Geldübergaben in genannter Höhe tatsächlich gesehen hätten die Ermittler
nicht.
Auf S. kamen sie eher durch Zufall: Das Bremer Landeskriminalamt hörte
seinen Namen bei einer Telefonüberwachung in einem anderen Fall.
Die Bundespolizei startete daraufhin einen großen Lauschangriff:
Telefonüberwachung, Observation, Post-Überwachung, Video-Aufnahmen vom Haus
von S und schließlich: Durchsuchungen. 20.000 Gespräche wurden
mitgeschnitten, die Fallakte enthält 140 Zeugen.
3 Jun 2014
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Flüchtlinge
Prozess
Flucht
Landgericht
Bremen
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Vier Männer wurden wegen der Einschleusung von Syrern aus der Türkei
verurteilt. Der Richter sah neben einem finanziellen auch ein
altruistisches Interesse.
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