# taz.de -- Festival Theaterformen: Der lange Atem des Gestern | |
> Das Festival Theaterformen zeigt in Braunschweig 18 internationale | |
> Arbeiten, bei denen sich Künstler mit ihren Identitäten im Hier und Jetzt | |
> befassen. | |
Bild: Theater der Entschleunigung bei Theaterformen: In Philippe Quesnes "Swamp… | |
BRAUNSCHWEIG taz |Den Blick aus der Ferne will sie noch einmal nach | |
Braunschweig bringen. Zum sechsten und letzten Mal leitet Anja Dirks dort | |
das Festival Theaterformen. Jedes Jahr reist sie um die ganze Welt, um das | |
Programm zusammenzustellen. Und stellt dabei immer wieder fest, dass „die | |
Welt von Braunschweig aus so und so aussieht, aber von Kinshasa aus oder | |
von Buenos Aires aus, da sieht die Welt ganz anders aus“. Ein bestimmtes | |
Motto hat sie nicht im Kopf, wenn sie sich auf die Reise macht. Es sei | |
eigentlich eine Art Puzzle, aber letztlich eben doch ein organischer | |
Prozess, betont Dirks: Entscheidend sei, was ihr von den Künstlern | |
entgegengebracht wird. | |
Ein Seismograf für Trends und Entwicklungen im internationalen und | |
deutschen Theater ist das Festival in den vergangenen Jahren schon gewesen. | |
Ästhetische und inhaltliche Trends sind auch bei der diesjährigen Auswahl | |
in den 18 Produktionen zu erkennen, die Dirks und ihr Team nach | |
Braunschweig eingeladen haben. Einer davon sei die Auseinandersetzung der | |
Künstler mit der eigenen Identität, so Dirks. Die werde auf „der einen | |
Achse“ maßgeblich von der Vergangenheit bestimmt, der Familiengeschichte, | |
der Historie des Landes, eben dem, wo man herkommt. Auf der anderen Achse | |
sei die Zeitgenossenschaft, die Gegenwart mindestens ebenso wichtig für die | |
Frage: Wie verwandele ich das Vergangene in eine positive Zukunft? | |
Eröffnet werden die Theaterformen mit einer „Macbeth“-Inszenierung des | |
Regisseurs Brett Bailey. Der Abend, der zuvor unter anderem bei den Wiener | |
Festwochen zu sehen war, wird zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Und | |
hat für seine Verlegung des Shakespeare-Stoffes ins postkoloniale, aber von | |
der Vergangenheit bis heute extrem geprägte Afrika bereits viel Lob | |
erhalten. Zu Klängen von Verdi soll in dieser Inszenierung der blutrünstige | |
Kampf um die Macht in einer Zivilisation, in der Hexen ein | |
selbstverständlicher Teil des Alltags sind, eine ganz neue Interpretation | |
erfahren. | |
Um eine Vergangenheit, die nicht vergehen will, soll es auch im ungarischen | |
Beitrag gehen. Regisseur Béla Pintér stellt in „Unsere Geheimnisse“ die | |
Frage nach dem „Warum des plötzlichen Rechtsrucks des postkommunistischen | |
Staates“. Eine Antwort glaubt er in der Vergangenheit zu finden und | |
versetzt das Publikum zurück in die Achtzigerjahre. In eine Zeit, als der | |
Geheimdienst und das gegenseitige Ausspionieren Teil des Alltags waren – | |
eine Epoche, die in Ungarn nie aufgearbeitet worden ist. Hier liegen für | |
Pintér die Probleme der Gegenwart begründet, indem er sie im Theater zeigt, | |
will er auch die Zukunft seines Landes verändern. | |
Damit bewegt sich Pintér auf ganz ähnlichem Terrain wie das chilenische | |
Stück „Das Jahr, in dem ich geboren wurde“ in der Regie von Lola Arias. Die | |
Kinder der Pinochet-Diktatur hat die Performerin auf der Bühne versammelt. | |
Elf Chilenen, deren Eltern Marxisten und Militärs, Guerilleros und | |
Mitläufer waren. Opfer und Täter sind heute vereint und versuchen in der | |
Performance, gemeinsam eine Perspektive für die Zukunft zu finden. | |
Neben klassischen Spielsituationen sind auch in diesem Jahr bei den | |
Theaterformen wieder Arbeiten zu finden, die die Grenzen zwischen | |
Zuschauerraum und Bühne aufbrechen. Auch wenn es weniger sind als in den | |
vergangenen Jahren, als die Theaterformen für ihre Performances jenseits | |
des klassischen Theaters fast schon berüchtigt waren. Gänzlich ohne | |
Schauspieler kommt der Audiowalk „B“ aus, der seine Besucher in ein | |
Labyrinth aus Räumen entführen will, in denen sie immer wieder auf Spuren | |
aus dem Schneewittchen-Märchen-Komplex stoßen und mit der eigenen | |
Vergänglichkeit konfrontiert werden. Wie auch in “Mein Angstfreier Raum“, | |
der sehr wohl Angst machen kann, denn die Besucher erkunden ganz allein die | |
Katakomben unter dem Theater auf der Suche nach ihren eigenen Phobien. | |
„Dunkle Alleen“ betreten auch die Zuschauer des lettländischen Beitrages, | |
finden sich aber dann ganz klassisch als Zuschauer im Braunschweiger | |
LOT-Theater wieder. Der Abend zeigt „neun schonungslose Geschichten über | |
die Liebe“. Und die „gehen unter die Haut“, betont Festivalleiterin Anja | |
Dirks. | |
## ■ Festival Theaterformen: Mi, 11. 6. bis So, 22. 6., Braunschweig, Infos | |
und Programm: | |
6 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohlmann | |
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