| # taz.de -- Grenzverkehr im Burgenland: Wo der Zaun eisern stand | |
| > Die ehemalige Grenzregion zwischen Österreich und Ungarn ist heute | |
| > vielbesuchtes Naturschutzgebiet und attraktives Radlerparadies. | |
| Bild: Denkmal am Platz des paneuropäischen Picknicks an der österreich-ungari… | |
| Es regnete und die Nacht war finster, als Jochen Rocke, seine Frau Barbara | |
| und ihre beiden Kinder Ramona und Enrico sich am 18. August 1989 durch den | |
| Wald kämpften. Vom ungarischen Dorf Fertörákos waren sie unterwegs Richtung | |
| Mörbisch im Burgenland. Vor ihnen der Eiserne Vorhang und möglicherweise | |
| ungarische Grenzsoldaten. | |
| Im Gepäck: ein aus Berlin mitgebrachter Bolzenschneider. Der bereits | |
| brüchige Grenzzaun war nicht mehr mit Tretminen gesichert und die | |
| ungarischen Soldaten hatten keinen Schießbefehl. Dennoch war man am Vortag | |
| einer Patrouille in die Arme gelaufen. | |
| Die hatte die Flüchtlinge aus der DDR in eine Kaserne zum Verhör gebracht. | |
| „Sie waren eigentlich sehr nett“, erinnert sich Jochen Rocke. „Sie haben | |
| uns bewirtet und wir mussten auf den Dolmetscher warten“, ergänzt seine | |
| Frau Barbara. Wenig später ließ man die Familie wieder frei, obwohl die | |
| Beamten zu verstehen gaben, ihnen sei klar, dass es nicht zurück nach | |
| Ostberlin, sondern in den Westen gehen würde. | |
| ## Als die Grenze aufging | |
| Der zweite Fluchtversuch gelang. Auf der österreichischen Seite traf die | |
| Familie auf Martin Kanitsch, der sie im Auto zu sich nach Mörbisch brachte. | |
| Kanitsch ist vor fünf Jahren gestorben. Aber seine Witwe Berthilde kam – | |
| fast 25 Jahre nach dem denkwürdigen Tag – zu einem Treffen im benachbarten | |
| Rust. Die Frau, die sich selbst als „klein und quirlig“ treffend | |
| beschreibt, breitet Fotos und Briefe auf dem Tisch im Heurigenlokal aus. | |
| Sie erinnert sich an 25 DDR-Flüchtlinge, die bei ihr die erste Nacht im | |
| freien Westen verbrachten. „Wir wussten, zu welcher Uhrzeit die Grenze | |
| nicht kontrolliert wird. Diesen Zeitpunkt haben wir abgewartet und die | |
| Menschen durch den Wald geschleust“, erinnert sich Frau Kanitsch. | |
| Familie Rocke hätte sich den mühsamen Weg durch den Wald sparen können. | |
| Denn der folgende Tag, der 19. August, sollte zu einem historischen Datum | |
| werden. Das Ungarische Demokratische Forum und der oppositionelle Rundtisch | |
| von Sopron hatten zum „Paneuropäischen Picknick“ an der Grenze geladen. | |
| Unter der Schirmherrschaft von Otto Habsburg, Sohn des letzten Königs von | |
| Ungarn, und dem ungarischen Staatsminister Imre Pozsgay durften Ungarn und | |
| Österreicher zu einem gemeinsamen Fest zusammenkommen. | |
| Der Kaisersohn und der Reformpolitiker waren zwar nicht persönlich | |
| anwesend, doch an Attraktionen sollte es nicht fehlen. Das besondere | |
| Souvenir: „Die Teilnehmer dürfen sich am Abriss des Eisernen Vorhangs | |
| beteiligen und das mit Zertifikat versehene Stück mitnehmen!“ | |
| Johann Göltl, damals Kommandant der österreichischen Grenzwache am Übergang | |
| Klingenbach, bekam Bescheid, dass er am Sonntag Dienst tun müsse. Das seit | |
| Jahrzehnten geschlossene Tor an einer Nebenstraße würde für ein paar | |
| Stunden geöffnet werden. Österreicher und Ungarn sollten zwischen 15 und 18 | |
| Uhr mit Sichtvermerk, aber ohne weitere Prüfung durchgelassen werden. | |
| Ähnlich waren die Instruktionen, die Oberstleutnant Árpád Bella auf der | |
| anderen Seite bekam. Beide waren gleichermaßen überrumpelt, als sich dann | |
| plötzlich eine Menschenmenge im Laufschritt auf die offene Grenze | |
| zubewegte. Mehr als 660 DDR-Untertanen hatten von der Veranstaltung Wind | |
| bekommen, sich in einer nahe gelegenen Scheune gesammelt und die | |
| Gelegenheit zur Republikflucht ergriffen. | |
| ## Ein Vogelparadies | |
| Die kleine Nebenstraße ist heute die kürzeste Verbindung zwischen dem | |
| burgenländischen St. Margarethen und dem ungarischen Sopron. Da noch immer | |
| wenig Verkehr herrscht, genießt sie als Radstrecke große Beliebtheit. Die | |
| Wiese neben dem Grenzübergang heißt heute Platz der Freiheit und wird von | |
| einem ziemlich monströsen Denkmal namens „Umbruch“ geziert. Eine marmorne | |
| Tür am Straßenrand erinnert daran, dass hier einst Welten voneinander | |
| getrennt waren.Überdachte Tische laden zum Picknick. | |
| Der Eiserne Vorhang zwischen Österreich und Ungarn war damals bereits | |
| größtenteils abgebaut. Schon 1987 stand das ungarische Regime vor einer | |
| Entscheidung: den Grenzzaun aufrüsten oder abbauen. Und der Abbau des Zauns | |
| war weit billiger als seine Modernisierung. Deswegen wurde mit der | |
| Beseitigung des Eisernen Vorhangs zwischen Ungarn und Österreich schon im | |
| Mai 1989 begonnen. | |
| Michael Cramer, deutscher EU-Abgeordneter der Grünen, befasst sich seit | |
| Jahren mit dem Grenzgebiet: „Das ging auch durch die Presse, aber nur als | |
| kleine Notiz.“ Österreichs Außenmininister Alois Mock erkannte die | |
| Gelegenheit, in die Geschichte einzugehen, und er kontaktierte seinen | |
| Amtskollegen Gyula Horn in Budapest. Cramer: „Deshalb wollten sie am 27. | |
| Juni den Eisernen Vorhang aufschließen. Sie gingen zu den Militärs und die | |
| haben gesagt, nee, wir haben nichts mehr. Für dieses berühmte Foto ist dann | |
| der Eiserne Vorhang in der Nähe von Sopron noch mal aufgebaut worden, und | |
| das ging dann um die Welt.“ | |
| Das Foto, auf dem Mock und Horn mit dem Bolzenschneider den Zaun | |
| demontieren, entstand am Grenzübergang Klingenbach. Hans Sipötz, damals | |
| Landeshauptmann des Burgenlands, war auch dabei. Und er erinnert sich | |
| schmunzelnd, wie er dem Minister erklären musste, wie er das Ding zu halten | |
| hatte. | |
| Sipötz, ursprünglich Weinbauer, weiß aber auch zu berichten, dass die | |
| offene Grenze anfangs in den burgenländischen Gemeinden keineswegs auf | |
| ungeteilte Begeisterung gestoßen sei, „weil sie gesagt haben, wir wollen | |
| den Verkehr nicht haben“. Heute ist die Integration der Region weit | |
| fortgeschritten. Der Neusiedler See Nationalpark, ein von der Unesco | |
| geschütztes Vogelreservat, erstreckt sich über die Grenze. Eine Fähre | |
| verkehrt zwischen Illmitz im burgenländischen Seewinkel und dem ungarischen | |
| Fertörákos, wo die österreichischen Edelgastronomen Eselböck das | |
| Seerestaurant gepachtet haben. Der Radweg um den See ist komplett | |
| ausgeschildert. | |
| In den meisten Dörfern kann man Räder mieten. Für die Burgenländer ist es | |
| selbstverständlich geworden, für die Fahrt vom Südwestufer zum Südostufer | |
| des Neusiedler Sees die kürzere Strecke über Ungarn zu nehmen. Genauso wie | |
| man bestimmte Einkäufe am besten in Sopron/Ödenburg – der größten Stadt d… | |
| Region – erledigt. | |
| 14 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
| ## TAGS | |
| Ungarn | |
| Österreich | |
| Reiseland Ungarn | |
| Fehmarn | |
| DDR | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wasservogelreservat auf Fehmarn: Ganz allein mit Chip und Chap | |
| Ein Besuch im Wasservogelreservat Wallnau ginge ohne Freiwillige gar nicht. | |
| 25 Naturschützer halten hier den Betrieb am Laufen. | |
| Zwangsarbeit in der DDR: Alle Branchen machten mit | |
| Fast alle Wirtschaftszweige in der DDR profitierten von Zwangsarbeit, zeigt | |
| eine neue Studie von Opferverbänden. Auch West-Firmen waren Nutznießer der | |
| Gefangenen. |